Eine Festnahme und die Folgen "Russland muss sich jetzt klar positionieren"
25.05.2021, 17:07 Uhr
Roman Protassewitsch befindet sich seit Sonntag in Haft in Belarus. In einem vom Regime veröffentlichten Video sieht man Verletzungen, die von Misshandlungen stammen könnten.
(Foto: picture alliance/dpa/Telegram/Social Media)
Die SPD fordert eine internationale Untersuchung der erzwungenen Landung des Ryanair-Fluges in Minsk. "Wenn sich herausstellen sollte, dass Russland an dem Vorfall beteiligt war, muss man auch über Konsequenzen sprechen", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Schraps. Er plädiert zudem für eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu dem Thema. "Dann müsste Russland sich auch klar positionieren und deutlich machen, ob es ein solches Eingreifen in den internationalen Luftverkehr billigt oder verurteilt."
ntv.de: Was bezweckt Lukaschenko mit der Entführung von Roman Protassewitsch?

Johannes Schraps ist Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Belarus.
(Foto: Johannes Schraps)
Johannes Schraps: Lukaschenko ist schon durch die Demonstrationen nach der Wahl im August im vergangenen Jahr unter Druck geraten. Für ihn geht es seither darum, sich an der Macht zu halten. Dafür ist ihm offensichtlich jedes Mittel recht. Das hat man schon bei dem brutalen Umgang mit den Protesten gesehen.
Wird die Verhaftung von Roman Protassewitsch die belarussische Oppositionsbewegung weiter schwächen?
Ich glaube, das wird den Zusammenhalt unter den Oppositionellen, die sich gegen Lukaschenko stellen, eher noch stärken. Nichtsdestotrotz ist Protassewitsch eine wichtige Symbolfigur und eine wichtige Figur für den Widerstand in Belarus. Das schwächt natürlich, wird aber die Opposition noch anspornen, sich stärker zu engagieren.
Die nicht mal auf den ersten Blick glaubwürdige Begründung für die erzwungene Landung des Ryanair-Flugzeugs legt den Verdacht nahe, dass Lukaschenko völlig egal ist, was man im Westen oder auch in Belarus selbst über ihn denkt. Ist so jemand mit Sanktionen überhaupt zu beeindrucken?
International stand Lukaschenko ohnehin schon im Abseits. Mit seinem Vorgehen zeigt er in der Tat ganz klar, dass ihm nichts daran liegt, in die internationale Gemeinschaft zurückzukehren. Denn mit der erzwungenen Landung der Ryanair-Maschine haben sich staatliche Behörden terroristischer Mittel bedient. Die internationale Gemeinschaft darf das nicht hinnehmen. Deswegen ist es gut, dass der EU-Sondergipfel sich so schnell mit Belarus beschäftigen konnte und direkt Beschlüsse gefasst hat. Ob Lukaschenko sich davon beeindrucken lässt, wird sich zeigen. Aber es wird ihn definitiv treffen - etwa das Einfrieren von Konten, von dem mittlerweile auch seine Familie betroffen ist.
Haben solche Sanktionen denn eine Wirkung?
Sanktionen wirken grundsätzlich eher langfristig, weil sie beispielsweise die finanziellen Strukturen eines Regimes schwächen. Ich nehme schon an, dass es Lukaschenko und seinen Machtzirkel trifft, wenn sie infolge von Sanktionen finanziell und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden und Dinge nicht mehr in Anspruch nehmen können, die sie möglicherweise lieb gewonnen haben. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass Lukaschenko Roman Protassewitsch aufgrund der Sanktionen in wenigen Tagen freilässt. Aber dennoch musste die EU deutlich machen, dass hier rote Linien überschritten wurden.
Wäre es eine Ergänzung zu Sanktionen, gezielt oppositionelle belarussische Exilmedien zu unterstützen, etwa den Info-Kanal Nexta?
Es wird ja schon nach vielen Wegen gesucht, wie man auch demokratische Strukturen in Belarus unterstützen kann. Dazu gab es im Bundestag im vergangenen November einen Antrag der Koalitionsfraktionen, den auch andere Fraktionen unterstützt haben. Damit haben wir Geld im Haushalt verankert, um die Zivilgesellschaft in Belarus zu unterstützen.
Kann Belarus eine solche Aktion wie die erzwungene Landung eines Passagierflugzeugs durch die Inszenierung eines geplanten Terroranschlags durchführen, ohne vorher in Moskau die Genehmigung eingeholt zu haben?
Prinzipiell könnte Lukaschenko das sicherlich tun, aber er muss sich dennoch sicher sein, dass derjenige, der hinter ihm steht, weiter zu ihm hält. Im Spätsommer und im Februar, als er bei seinen Treffen mit Putin demütig neben dem russischen Präsidenten stand, konnte man ja sehen, wie sehr er auf die Unterstützung aus Moskau angewiesen ist. Wegen der internationalen Dimension, die die erzwungene Landung hat, sollte sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Thema beschäftigen. Dann müsste Russland sich auch klar positionieren und deutlich machen, ob es ein solches Eingreifen in den internationalen Luftverkehr billigt oder verurteilt.
Wenn die russische Regierung ihre Finger im Spiel hatte, muss dann nicht der Westen seine Sanktionen zumindest auch gegen Russland richten, um Putin dazu zu drängen, seinerseits Druck auf Lukaschenko auszuüben?
Dazu ist zunächst eine internationale Untersuchung dieses Vorfalls notwendig. Das müsste sich in einem solchen Fall sicherlich auch leichter und deutlicher nachweisen lassen als in anderen Fällen - etwa beim Abschuss des Flugs MH17 über der Ostukraine. In diesem Fall ist ja eindeutig, dass ein staatliches Flugzeug, die MiG, aufgestiegen ist, um die Landung zu erzwingen. Wenn sich herausstellen sollte, dass Russland an dem Vorfall beteiligt war, muss man auch über Konsequenzen sprechen.
Mit Johannes Schraps sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de