Politik

Ukraine-Verhandlungen"Seit Alaska spielt Trump Putins Spiel"

20.12.2025, 08:42 Uhr
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Trump und Putin trafen sich im August in Alaska zu einem Gipfel. (Foto: Julia Demaree Nikhinson/AP/dpa)

Einen Waffenstillstand lehnt Putin ab, er strebt ein "vollumfassendes Friedensabkommen" an und hat den US-Präsidenten darbei auf seine Seite gezogen, sagt der ukrainische Politologe Wolodymyr Fessenko. "Leider ist es gut möglich, dass sich der aktive Krieg bis ins Jahr 2027 hinzieht." Fessenko glaubt nicht, dass Russland sich vom Ziel einer "Entmilitarisierung" der Ukraine verabschiedet hat.

ntv.de: Herr Fessenko, nach langen Verhandlungen hat sich die EU auf einen zinslosen Kredit für die Ukraine in Höhe von 90 Milliarden EU geeinigt, womit der ukrainische Haushalt in den nächsten zwei Jahren finanziert wird. Die eingefrorenen Gelder der russischen Zentralbank werden dafür aber vorerst nicht eingesetzt. Blickt man in Kiew trotzdem erleichtert auf diese Entscheidung?

Wolodymyr Fessenko: Definitiv. Für die Ukraine ist es gerade in solchen Zeiten extrem wichtig, Planungssicherheit zu haben. Denn leider ist offensichtlich, dass Wladimir Putin keine Absicht hat, den Krieg in absehbarer Zeit einzustellen - weder in ein paar Wochen noch in ein paar Monaten. Das geht nicht nur aus der Rhetorik des Kremls, sondern vor allem aus dem militärischen Geschehen hervor.

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Wolodymyr Fessenko ist einer der führenden ukrainischen Politikexperten. Seit 2003 ist der Politikwissenschaftler Chef des Zentrums für angewandte politische Forschung Penta in Kiew. Fessenko ist auch als Politikerberater tätig. (Foto: privat)

Zum einen ist der militärische Bedarf bei einem solchen Krieg riesig. Zum anderen ist die Ukraine finanziell sowieso geschwächt, weil US-Hilfen für den sonstigen Haushalt schon seit Längerem gänzlich ausbleiben. Umso bedeutender ist es, dass sich die EU geeinigt hat. Wie genau der Kompromiss zustande gekommen ist, ist eine innere Sache der EU und hat für die Ukraine keine allzu große Bedeutung. Zumal das Thema der russischen Vermögenswerte damit nicht gänzlich vom Tisch ist. Und: Weil der eigentliche Bedarf dadurch nicht komplett gedeckt werden kann, müssen die Ukrainer weiter daran arbeiten, dass dieses Thema in der EU gepusht wird.

Neben den ununterbrochenen russischen Angriffen, etwa auf die ukrainische Energieinfrastruktur, stand 2025 für die Ukraine stark im Zeichen der schwierigen Beziehung zur Trump-Regierung.

Die Lage ist, wie sie ist. Die Grundausrichtung dieser Beziehungen war von Beginn des Jahres, spätestens seit dem öffentlichen Konflikt im Oval Office am 28. Februar, klar. Leider ist es so, dass die Ukraine auf einige Waffenarten angewiesen ist, vor allem im Bereich der Flugabwehr. Und wir sind von den Aufklärungsdaten aus den USA abhängig. Deswegen ist es unausweichlich, dass diese Gespräche geführt werden - unabhängig davon, wie sinnvoll sie mit Blick auf ein Ende des Kriegs sind. Hier fährt die ukrainische Seite eine in vielem erzwungene, aber trotzdem kluge Strategie.

Wie sieht die aus?

Wir sagen Trump nicht Nein, sondern führen Verhandlungen über die Details. Das ist kein Spiel auf Zeit. Es ist nicht übertrieben, dass bei 90 Prozent der Fragen eine Einigkeit zwischen Kiew und Washington besteht. Bei schwierigeren Themen wie der Nato-Perspektive der Ukraine oder beim Status des Atomkraftwerks Saporischschja, gibt es rote Linien auf der ukrainischen Seite. Doch es gibt durchaus Raum für einen Kompromiss. Beim Truppenabzug aus dem Donbass steckt man allerdings auch nach Verhandlungen in Genf, Miami und Berlin in einer Sackgasse. Und ich sehe nicht, dass sich das ändert.

Dabei wird der Truppenabzug aus der Region Donezk von den USA offensichtlich als eine Art Bedingung an Sicherheitsgarantien für die Ukraine geknüpft. Ist das nicht gefährlich?

Natürlich ist das gefährlich. Die freiwillige Räumung von Städten wie Kramatorsk und Slowjansk ist weder militärisch noch humanitär oder politisch sinnvoll. Militärisch handelt es sich um gut aufgebaute Verteidigungsstellungen, dessen Einnahme nach unterschiedlichen Experteneinschätzungen mindestens anderthalb Jahre dauern könnte. Ich würde aber vor allem den politischen Aspekt hervorheben. Putin setzt beim ganzen Prozess auf mehrere Fallen. Der Donbass ist wohl die wichtigste von allen. Sollte die Ukraine auf dieses Ultimatum eingehen, kommt unbedingt ein neues Ultimatum. Schließlich werden in der russischen Verfassung auch die teilbesetzten Gebiete Cherson und Saporischschja aufgelistet, was die russische Seite immer wieder betont. Da darf man sich nichts vormachen, ähnliche Forderungen werden folgen.

Generell geht die größte Gefahr von der Inkonsequenz der Trump-Administration aus. Ich habe spaßeshalber mitgezählt: Die US-Position in Sachen Verhandlungen hat sich 2025 mindestens sieben Mal verändert. Zunächst fokussierte sich Washington auf einen Waffenstillstand. So war das auch genau richtig. Zwischen der Ukraine und Russland gibt es darüber hinaus zu viele Fragen, die einfach nicht gelöst werden können. Sie müssten einfach vertagt werden und dies wird wohl irgendwann auch passieren. Stattdessen spielt Trump seit dem Treffen in Alaska im August Putins Spiel mit dem sogenannten "vollumfassenden Friedensabkommen" mit. Das ist ein großer Fehler.

Kann man sich eigentlich vorstellen, dass Russland eine 800.000 Mann starke ukrainische Armee akzeptieren würde? Ein Kriegsziel war doch die "Entmilitarisierung" der Ukraine.

Diese "Entmilitarisierung" gehört zu wichtigsten Zielen Russlands. Sie wird aus taktischen Gründen derzeit rhetorisch etwas nach hinten geschoben. Doch es ist klar, dass es hier keine Einigung geben kann. Allerdings gibt es unter den Russen außenpolitisch auch unterschiedliche Strömungen. Figuren wie Kirill Dmitrijew und teilweise Putins außenpolitischer Berater Jurij Uschakow sehen schon Chancen darin, die Beziehungen mit den USA unter Trump wiederaufzubauen. Sie wären vielleicht kompromissbereiter. Außenminister Sergej Lawrow ist eher derjenige, der die USA als eine Art Klassenfeind sieht und sich darauf fokussiert, was für die Zeit nach Trump im Rahmen der allgemeinen russischen Strategie haltbar wäre. Trump wird ja nicht ewig im Weißen Haus sitzen. Letztlich kommt es einzig und alleine darauf an, was Putin denkt. Und er dürfte zum letzteren Lager zählen, obwohl er bei Verhandlungen bewusst überwiegend auf Leute wie Dmitrijew und Uschakow setzt.

Innenpolitisch hat die Ukraine ebenfalls schwierige Wochen hinter sich. Die Antikorruptionsenthüllungen führten zur Entlassung von Andrij Jermak, des mächtigen Bürochefs Wolodymyr Selenskyjs, der eine Schlüsselrolle in der Innen- und Außenpolitik des Landes spielte. Schaut man aber auf die Umfragen, sind die Vertrauenswerte des Präsidenten sogar etwas gestiegen. Wie ist das zu erklären?

Auf einer Ebene hat das sicher mit dem Druck aus den USA zu tun. Wie nach dem Eklat im Weißen Haus Ende Februar hatte Selenskyj mit dem aggressiven Vorgehen Washingtons in Sachen 28-Punkte-Plan Glück im Unglück. Vielleicht nicht im damaligen Maßstab, doch selbst seine Kritiker sehen, unter welchem Druck er steht, und nebenbei ukrainische Interessen verteidigen muss. Dafür gibt es sicher Pluspunkte. Darüber hinaus sorgte die Entlassung Jermaks, der als Strippenzieher im Hintergrund auch im Team um Selenskyj oft als fragwürdig galt, für eine große Erleichterung. Das sieht man auch Selenskyj selbst an, der sich in dieser kurzen Zeit stark veränderte - vielleicht nicht zuletzt deswegen, weil nun wieder viel mehr Personen Zugang zu ihm haben. Er hat weiterhin keinen Büroleiter, doch das merkt man gar nicht. Das sollte nicht missverstanden werden: Die Probleme des Landes, die hauptsächlich mit dem Krieg zu tun haben, haben sich wegen einer Entlassung nicht verändert. Doch man sieht schon jetzt, dass das Parlament und die Regierung deutlich stärker in die strategischen Entscheidungen eingebunden werden. So sollte es in einer semipräsidentiellen Republik auch sein, obwohl die Selenskyj-Partei auf dem Papier unverändert über die absolute Mehrheit in der Werchowna Rada verfügt und das Kriegsrecht den Präsidenten sowieso stärkt.

Wie blicken Sie persönlich auf das Jahr 2026 für die Ukraine?

Was ich von 2025 mitnehme, sind nicht zuletzt die sommerlichen Proteste gegen die wohl von Jermak initiierte und am Ende gescheiterte Einschränkung der Befugnisse der Antikorruptionsorgane. Das war ein starkes Zeichen: Junge Menschen, die in Zeiten des Krieges auf die Straße gehen, jedoch keinesfalls das Land destabilisieren wollen. Das macht die Ukraine stärker, nicht schwächer. Insgesamt ist es positiv, dass Russland die Karte der inneren Destabilisierung der Ukraine bisher nicht ausspielen konnte, obwohl Moskau die Operation "Midas" sicher ausnutzen wollte. Ansonsten ist es leider gut möglich, dass sich der aktive Krieg bis ins Jahr 2027 hinzieht. Sollte aber etwas völlig Unerwartetes passieren, könnten eventuell sogar in der zweiten Jahreshälfte Wahlen stattfinden. An Wahlen vor einem Waffenstillstand glaube ich allerdings nicht. Die Durchführung von Wahlen würde eine vollkommen neue innenpolitische Realität für die Ukraine bedeuten. Doch Stand jetzt sind sie eine theoretische Diskussion - und alles bleibt größtenteils beim Alten.

Mit Wolodymyr Fessenko sprach Denis Trubetskoy

Quelle: ntv.de

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