Politik

Winterkrieg in der UkraineHuljajpole droht die Einkesselung

18.12.2025, 17:23 Uhr 1000017286-8192-5464Von Martin Morcinek
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Kampfpause nach 130 Tagen Einsatz an der Front, hier bei Kostjantyniwka: Zwei ukrainische Soldaten Mitte Dezember 2025. (Foto: via REUTERS)

Gefährliche Entwicklung in der Ukraine: Abseits der Kämpfe um Kupjansk, Siwersk und Pokrowsk rücken russische Truppen im Süden weiter vor. Mit unablässigen Vorstößen nehmen sie die stark befestigte Kleinstadt Huljajpole in die Zange.

An der Front im Süden der Ukraine zeichnen sich gravierende Probleme für die ukrainischen Verteidiger ab. Die Stadt Huljajpole - bisher ein wichtiger Stützpunkt in den ukrainischen Linien - gerät von zwei Seiten in Bedrängnis. Bei den russischen Angriffen in der Region Saporischschja war die Kampfzone in den vergangenen Wochen bereits von Osten her bis an den Stadtrand von Huljajpole vorgerückt. Zuletzt gelang russischen Trupps nun offenbar zusätzlich auch ein Vorstoß von Süden.

Dabei sollen russische Kämpfer stellenweise bis ins Stadtgebiet von Huljajpole vorgedrungen sein. Die Lage ist bisher noch unklar, eine Bestätigung aus Kiew liegt nicht vor. Im aktuellen Lagebericht des ukrainischen Generalstabs heißt es lediglich: "Am Frontabschnitt Huljajpole griff der Feind zehnmal die Stellungen unserer Verteidiger an."

Vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine lebten in der Stadt Huljajpole rund 12.000 Menschen. Der Ort mit seinen weitläufigen Wohnstraßen und den typischen Plattenbauten im Ortskern liegt seit dem ersten Kriegsjahr in unmittelbarer Nähe zur Front. Durch den andauernden russischen Beschuss liegen viele Gebäude der Stadt in Trümmern.

Ein Großteil der Bewohner von Huljajpole hat die Stadt längst verlassen. In den Kellern und Ruinen der Stadt hat sich eine unbekannte Zahl ukrainischer Truppen verschanzt. Das Kampfgebiet liegt rund 100 Kilometer südwestlich von Pokrowsk. Die ukrainische Großstadt Saporischschja - Verwaltungszentrum der gleichnamigen Region - befindet sich in der Luftlinie rund 85 Kilometer weiter westlich.

Vorstoß ins Stadtgebiet

Bis zum vergangenen Sommer verlief die Hauptkampflinie im Abschnitt der sogenannten Saporischschja-Front rund zehn Kilometer entfernt im Süden der Stadt. Damit lag das Ortszentrum zwar bereits im Einflussbereich russischer Geschütze. Die Frontlinie selbst blieb in der Region jedoch über Monate hinweg vergleichsweise stabil.

Blick-aus-dem-All-auf-das-Stadtgebiet-von-Hujajpole-Bildmitte-mit-dem-Frontverlauf-Stand-Mitte-Dezember-rote-Linie-Der-juengste-russische-Vorstoss-soll-von-Sueden-erfolgt-sein
Blick aus dem All auf das Stadtgebiet von Hujajpole (Bildmitte) mit dem Frontverlauf Stand Mitte Dezember (rote Linie): Der jüngste russische Vorstoß soll von Süden erfolgt sein. (Foto: ntv.de Daten | Satellitenfoto © Copernicus Sentinel Data 2025)

Erst im Rahmen der russischen Herbstoffensive gelang es der russischen Kriegsführung, aus Richtung Osten auf die Stadt vorzurücken. Im Bereich östlich von Huljajpole, an der Nahtstelle zwischen Südabschnitt und Donbass-Front, konnten die Angreifer sogar die bislang umfangreichsten Geländegewinne des laufenden Jahres erzielen. An einzelnen Stellen drangen die russischen Angriffsspitzen dort bis zu 30 Kilometer tief ins ukrainische Hinterland vor.

Das Problem aus Sicht der Verteidiger: Starke und gut ausgebildete Kräfte sind in den Kämpfen um Pokrowsk, Myrnohrad, Siwersk, Lyman und Kupjansk gebunden. Dazu kommen weitere Brennpunkte wie etwa bei Wowtschansk, Kostantjaniwka, Tschassiw Jar und auch die Gefechte an der Grenze zur russischen Region Kursk, die ebenfalls laufend Wachsamkeit erfordern. Der Ukraine fehlt es offenbar an schlagkräftigen Reserven.

"Unsere Soldaten fügen den Besatzungstruppen erhebliche Verluste zu", betont der ukrainische Generalstab im Lagebericht. Ein weiteres Vorrücken der russischen Offensive am Südabschnitt könnte die Situation jedoch bald erheblich verschlechtern. Die Lage dort sei "prekär", erklärte der österreichische Militärexperte Oberst Markus Reisner im Gespräch mit ntv.de bereits Mitte November. Wenn die Russen die Stadt einnehmen, hieß es, stünden sie dort "hinter den ukrainischen Linien". Hinter Huljajpole erstreckt sich weitgehend flaches Land. In den weiten Agrarflächen bis zum Dnipro finden sich nur noch wenige natürliche Hindernisse und kaum noch größere Ortschaften.

Durchmarsch bis zum Dnipro?

Huljajpole sei bisher ein wichtiger Logistikknotenpunkt für die Ukrainer, erklärte Reisner. Die ukrainischen Verteidigungslinien in der Region sind früheren Angaben zufolge vor allem nach Süden ausgerichtet. Die Befürchtung: Sollte der Vormarsch bei Huljajpole den Fluss Haichul überspringen, könnten die Russen sich weiter in die Flanke der ukrainischen Stellungen vorarbeiten. Mittelfristig geriete dadurch die gesamte Saporischschja-Front von Huljajpole über Mala Tokmatschka und Orichiw bis zum Rand des Kachowka-Staubeckens in Gefahr. Die Russen könnten dann womöglich rasch bis an den Dnipro vordringen - falls der Militärapparat des Kreml diesen enorm kostspieligen und verlustreichen Angriffskrieg durchhalten kann.

Das Vorgehen folgt dabei dem bekannten Muster: Mit einem Dauerbeschuss aus Raketen, Bomben, Granaten und mittels glasfasergelenkter Drohnen versuchen die Kreml-Militärs wie zuvor in Wuhledar, Marjinka oder Pokrowsk, zunächst die ukrainischen Einheiten im frontnahen Gefechtsbereich von der Versorgung abzuschneiden. Ausschwärmende Drohnen halten die Zufahrtswege unter Feuer. Der gezielte Einsatz schwerer Gleitbomben soll anschließend befestigte Stellungen der Ukrainer in den Ortschaften ausschalten.

"Mit diesen Gleitbomben zerstören die Russen einen Häuserblock nach dem anderen", schildert Oberst Reisner die russische Taktik. "Das schont die eigenen Truppen und bringt die in den Häusern verschanzten ukrainischen Truppen in eine extrem schwierige Situation. Die Russen bomben die ukrainischen Stellungen sturmreif, schicken Drohnen und marschieren erst dann mit kleinen Stoßtrupps vor."

Die russische Winterkrieg-Offensive ist demnach weiter in vollem Gange. Ungeachtet aller Bemühungen im Westen, den Krieg in der Ukraine mit diplomatischen Mitteln zu beenden, arbeitet Russland ohne Rücksicht auf Verluste daraufhin, die Frontlinie immer weiter zu verschieben, um so noch mehr Territorium der Ukraine unter russische Kontrolle zu bringen.

Quelle: ntv.de

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