Politik

Warum sollte Moskau zustimmen?Sicherheitsexperten bewerten Ukraine-Gespräche skeptisch

16.12.2025, 10:22 Uhr
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Während in Berlin verhandelt wird, bombt Russland weiter, wie hier am Sonntag in Kramatorsk, (Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire)

Nach den Gesprächen in Berlin zur Ukraine loben die Europäer die Fortschritte. Und US-Präsident Trump erklärt: "Ich denke, wir sind jetzt näher dran als je zuvor." Doch ist die Begeisterung gerechtfertigt? Schließlich sind die großen Brocken nicht ausgeräumt.

Die Sicherheitsexpertin Claudia Major hat die Ergebnisse der Ukraine-Gespräche in Berlin zurückhaltend bewertet. "Es ist in der Tat ein Fortschritt, dass es eine konzertierte Position zwischen den Ukrainern, den Europäern und den USA gibt. Das hatten wir zuvor nicht", sagte die Politikwissenschaftlerin im ARD-"Morgenmagazin". Allerdings seien bisherige Verhandlungen "immer an dieser russischen Bereitschaft gescheitert", sich auf einen Waffenstillstand und auf einen Friedensprozess "überhaupt einzulassen".

Auch hinsichtlich der von Bundeskanzler Friedrich Merz als "wirklich beachtlich" bezeichneten Sicherheitsgarantien für Kiew sieht Major keinen echten Fortschritt. Diese Idee sei "nicht neu". Zwar sei sie nun in das Abschlussdokument vom Montag eingebracht worden. Aber es seien "keine Sicherheitsgarantien, wie wir sie in der Nato kennen", betonte Major. "Es ist eine Unterstützung. Es ist aber keine rechtlich bindende Verpflichtung, die Ukraine im Falle eines neuen Angriffs zu verteidigen." Die Frage sei auch: "Verändert das das russische Kalkül? Hält das Russland von einem erneuten Angriff ab?"

Eine weitere Frage betrifft aus Sicht der Expertin einen erneuten russischen Angriff auf die Ukraine. "Kommen dann Truppen? Kommt dann jemand, der die Ukraine verteidigt, wie in der Nato? Und das ist nicht der Fall." Major sieht angesichts der unter anderem vom russischen Präsidentenberater Juri Uschakow und Außenminister Sergej Lawrow vorgebrachten Positionen "überhaupt keine Indikationen, dass es ein Interesse an Waffenstillständen gibt. Sondern eher ein Interesse an einem Sieg".

Major plädiert daher dafür zu fragen, was das russische Kalkül verändere, "wenn Russland diese Positionen der Amerikaner, Ukrainer und Europäer ablehnt". So lange die USA keinen Druck auf Moskau ausübten, "dann sind wir wieder bei Square One, dann geht es wieder von vorne los - wie so häufig in den letzten Monaten".

"Eigentlich nichts Neues passiert in Berlin"

Der Moskau-Korrespondent von ntv, Rainer Munz, ordnet das ähnlich ein: Er hält die entscheidenden Fragen für "ungelöst". Und: "Es ist ja eigentlich nichts Neues passiert in Berlin." Auch wenn es noch keine Reaktionen aus dem Kreml gebe, ließen sich diese gut einschätzen. Was eine internationale Truppe betreffe, die einen Waffenstillstand schützen solle, habe der Kreml bereits klargestellt, dass er keine Truppen aus Nato-Staaten in der Ukraine akzeptiere.

Und es gibt noch ein Problem, wie Munz darlegt: "Die territorialen Fragen sind ja alle überhaupt gar nicht gelöst." Es klinge zwar irgendwie nett, wenn man sage, 90 Prozent der Fragen sind gelöst. "Aber die entscheidenden 10 Prozent sind eben nicht gelöst." Dabei gehe es um die russische Forderung, dass sich die Ukraine aus dem Donbass zurückziehe - was der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ablehnt. Munz' Fazit ist daher ernüchternd: "Ich denke, für das, was die Verhandlungen mit Russland betrifft, ist man dort, wo man schon einmal war, und dazu hat Russland Nein gesagt."

Ähnlich skeptisch zeigte sich auch der Militärhistoriker Sönke Neitzel: Er sehe zwar einen Fortschritt auf diplomatischer Seite in der Zusammenführung der Europäer, der USA und der Ukraine, sagte er dem ZDF am Montagabend. Zugleich gab er zu bedenken: "Einen Waffenstillstand kann es ja nur mit Russland geben. Und über Russland wissen wir eigentlich noch gar nichts." Die bisherigen öffentlichen Äußerungen aus Moskau stimmten "nicht sehr hoffnungsfroh".

Laut Neitzel ist es offen, ob Russland wirklich zu einem Waffenstillstand oder Frieden bereit ist. Wahrscheinlicher als das sei das Szenario, dass der Kreml weiter auf Krieg und Eskalation setze, "weil er glaube, "dass er diesen Krieg langfristig gewinnen wird". Russland habe in der Vergangenheit immer Maximalforderungen bei Verhandlungen erhoben - für die Ukraine und deren Präsidenten verheißt das nichts Gutes: "Ich glaube, dass Selenskyj klar ist, dass er so manche Kröte schlucken muss."

Wie sicher sind die Sicherheitsgarantien?

Auch die westlichen Sicherheitsgarantien sieht Neitzel kritisch. Die Frage sei: "Sind die Europäer, sind die Amerikaner letztlich bereit, Russland auch ein Stück weit zu einem solchen Frieden zu zwingen?" Dass diese so konzipiert würden, dass im Falle einer Verletzung die USA militärisch gegen Russland agierten, könne er sich nicht vorstellen.

Der Politikwissenschaftler Joachim Weber äußert sich ebenfalls zurückhaltend, was mögliche US-Garantien für die Ukraine anbelangt. "Das ist einer der Knackpunkte der Gespräche. Die Europäer haben nicht die militärische Stärke, um Russland gegebenenfalls in die Schranken zu weisen, sollte es ein weiteres Mal über die Ukraine herfallen", sagte er dem "Focus". Nur die USA hätten die Kraft, substanziell einzugreifen. "Ich frage mich, woher ein plötzlicher amerikanischer Sinneswandel in dieser Frage kommen könnte. Und wenn es den tatsächlich in Berlin gegeben haben sollte: Ist das verlässlich, oder gibt es bald schon den nächsten Sinneswandel zurück in die andere Richtung?"

Auch die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff hält die Sicherheitsgarantien für schwierig: "Das ist eines der ganz großen Probleme. Die Ukraine wird sich natürlich nicht allein auf die USA verlassen", sagte sie in der ARD am Montagabend. "Am Ende wird es darum gehen: Sind die Europäer bereit, die Ukraine finanziell und militärisch so zu unterstützen, dass sie sich selber so aufstellen kann, zukünftige russische Angriffe abzuwehren? Und sind die Amerikaner bereit, in die Luftverteidigung, d.h. in die Luftabwehr der Ukraine, so zu investieren oder auch mitzuhelfen, dass Russland keinen neuen Angriff wagen wird?"

Allerdings findet Deitelhoff auch lobende Worte für Bundeskanzler Friedrich Merz: "Merz hat eine herausragende Rolle in den Verhandlungen gespielt", sagt sie ntv.de. "Ihm ist es gelungen, Europa wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Das ist schon eine Glanzleistung." Damit zeige sich Deutschland als "Führungsnation in Europa".

Quelle: ntv.de, ghö/AFP

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