Totalausfall und Notbetrieb So ist die Lage in den Kliniken von Gaza-Stadt
14.11.2023, 17:15 Uhr Artikel anhören
Dieses Bild aus dem Oktober zeigt, wie ein Verletzter ins Al-Schifa-Krankenhaus eingeliefert wird. Laut WHO ist die Klinik noch immer in Betrieb.
(Foto: REUTERS)
Nach Angaben der WHO sind 20 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen außer Betrieb. Vor allem im Norden geraten die Kliniken zwischen die Frontlinien. Israel wirft der Hamas vor, Einrichtungen für militärische Zwecke zu missbrauchen. Zugleich verschlimmert sich die Versorgungslage stetig. Eine Übersicht über die wichtigsten Kliniken in Gaza-Stadt und was über ihre aktuelle Situation bekannt ist.
Al-Schifa-Krankenhaus
Mit rund 700 Betten ist das Al-Schifa-Krankenhaus die größte Klinik in Gaza. Die israelische Armee geht davon aus, dass sich im Gebäude ein Kommandostützpunkt der Hamas befindet und ist mit Panzern bis an den Eingang des Krankenhauses vorgerückt. Die Hamas bestreitet eine militärische Nutzung. In den umliegenden Straßen toben Gefechte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beklagt "entsetzliche Zustände". "Ständiger Beschuss und Bombenangriffe in der Gegend" hätten die Lage nochmals verschlimmert.
Zwischenzeitlich hatten Zehntausende im Klinikkomplex Schutz gesucht. Viele sind mittlerweile in den Süden des Gazastreifens geflohen. Das der Hamas unterstellte Gesundheitsministerium in Gaza spricht jedoch von mindestens 2300 Menschen, die sich noch immer im Inneren der Klinik aufhalten, darunter Patienten, Klinikpersonal und schutzsuchende Zivilisten. Die Vereinten Nationen vermuten sogar bis zu 10.000 Menschen im Gebäude.

Das Al-Schifa-Krankenhaus im Gazastreifen auf einer Satellitenaufnahme vom 11. November.
(Foto: via REUTERS)
Entgegen palästinensischer Angaben ist die Schifa-Klinik trotz Stromausfalls weiter in Betrieb, teilt die WHO mit. "Für uns ist es wegen des heroischen Einsatzes des verbleibenden Personals ein funktionierendes Krankenhaus", so WHO-Sprecherin Margaret Harris. Es seien noch rund 700 schwer kranke Patienten zu versorgen. Jedoch fehlt es an Treibstoff, um die Generatoren zu betreiben. Für den Betrieb einiger kritischer Systeme werde Solarenergie benutzt, berichtet die BBC.
Die Kühlung in den Leichenhallen funktioniert offenbar nicht mehr. Ein Journalist vor Ort, der mit der Nachrichtenagentur AFP zusammenarbeitet, sagt, der Geruch von verwesenden Leichen in dem Klinikkomplex sei erdrückend. Nach Aussage des Krankenhausdirektors Mohammed Abu Salamia wurde auf dem Gelände ein Massengrab ausgehoben. Unter den beigesetzten 179 Toten seien sieben Babys und 29 Patienten von der Intensivstation.
Die Situation der Neugeborenen ist besonders dramatisch. Drei von 39 Säuglingen sind nach Klinikangaben am Wochenende gestorben. Das Personal habe Frühchen aus den Inkubatoren holen müssen. "Wir wickeln sie in Folie und stellen heißes Wasser neben sie, um sie zu wärmen", erklärt Abu Salamia. Israel organisiert nach eigenen Angaben die Lieferung von Brutkästen nach Gaza, um die Babys zu retten, wie die Armee auf X mitteilt.
Israels Militär gibt an, am Sonntag rund 300 Liter Treibstoff unweit des Krankenhauses deponiert zu haben. Die Hamas habe das Klinikpersonal aber daran gehindert, die Behälter abzuholen. Klinikdirektor Abu Salamia dementiert das. Zudem sagt er, der bereitgestellte Treibstoff würde für "keine Viertelstunde" reichen.
Al-Kuds-Krankenhaus
Das zweitgrößte Krankenhaus in Gaza ist das Al-Kuds. Ein Sprecher des Palästinensischen Roten Halbmonds sagt der Nachrichtenagentur Reuters, die Klinik sei seit fast einer Woche von der Außenwelt abgeschnitten. Nach Angaben des Roten Halbmonds von Samstag seien 500 Patienten und 14.000 Vertriebene, vor allem Frauen und Kinder, im Krankenhaus eingeschlossen. Am Sonntag hieß es, das Krankenhaus sei aufgrund des zur Neige gehenden Treibstoffs und des Stromausfalls nicht mehr funktionsfähig.
Auch in der Gegend des Krankenhauses toben Kämpfe. Israels Armee teilte am Montag mit, 21 Terroristen bei Gefechten getötet zu haben. Israelische Soldaten seien zuvor aus dem Eingangsbereich des Krankenhauses angegriffen worden. Die Angreifer sollen sich unter Zivilisten gemischt haben.
Al-Ahli-Krankenhaus
In der Al-Ahli-Klinik werden offenbar weiter Patienten versorgt - wenn auch über die Kapazitätsgrenzen hinaus. Der Arzt Ghassan Abu Sittah sagte der BBC, das Krankenhaus nehme derzeit alle Verwundeten in Gaza-Stadt auf. Allerdings würden die Ressourcen nicht ausreichen, um jeden zu versorgen.
Alle zehn Minuten kämen Krankenwagen mit Verletzten an. "Wir haben keinen Röntgentechniker und es fehlt uns an Medikamenten, sodass wir bei großen Wunden extrem schmerzhafte Eingriffe vornehmen müssen, um sie sauber zu halten, und zwar ohne Schmerzmittel und ohne Betäubung", sagt der Arzt laut BBC.
Das Al-Ahli-Krankenhaus war Mitte Oktober Schauplatz einer Explosion. Israel und die Hamas gaben sich gegenseitig die Schuld an der Rakete, die offenbar den Parkplatz traf. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass eine fehlgeleitete palästinensische Rakete dafür verantwortlich war.
Al-Rantisi und Al-Nasr
Das kleine Krankenhaus Al-Rantisi ist auf die Behandlung von Kindern spezialisiert. Im umliegenden Stadtviertel gab es vergangene Woche heftige Gefechte. Am Freitag wurde das Krankenhaus in Absprache mit der israelischen Armee evakuiert, ebenso das angrenzende Al-Nasr-Krankenhaus. Hunderte Menschen mussten das Gebäude verlassen.
Besonders schwer verletzte Patienten wurden nach Angaben der Klinikleitung ins Al-Schifa-Krankenhaus gebracht, das zu diesem Zeitpunkt bereits überlastet war. In einem von der BBC verifizierten Video sind Menschen zu sehen, die beim Versuch, Al-Nasr zu verlassen, unter Beschuss gerieten. Es war unklar, wer die Schüsse abgefeuert hatte.
Die israelische Armee hat ein Video veröffentlicht, das die Nutzung des Al-Rantisi-Krankenhauses durch die Hamas belegen soll. Demnach haben die Terroristen im Keller Waffen gelagert und Geiseln gehalten. Armeesprecher Daniel Hagari zeigt unter anderem Aufnahmen von Gewehren und Raketenwerfern sowie Räumlichkeiten, die als Kommandozentrale gedient haben sollen.
Indonesisches Krankenhaus
Das 2015 mit Unterstützung der indonesischen Regierung errichtete Krankenhaus am Rande von Dschabalia gehört zu den moderneren Einrichtungen in Gaza. Es verfügt über 110 Betten. Der Betrieb geht derzeit noch weiter. "Das Krankenhaus arbeitet aber nur mit 30 bis 40 Prozent seiner Kapazität", sagt Leiter Atef Al-Kahlot. Ein AFP-Video zeigt, wie Verletzte trotz Stromausfällen behandelt werden. Das Personal versorgt darin Verwundete mithilfe von Taschenlampen.
Quelle: ntv.de, mit rts/AFP