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An der Front "wird's schwierig" So kann es die Ukraine auch ohne Trump und Musk schaffen

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Die 44. Artillerie-Brigade posiert vor einer Haubitze im Raum Saporischschja

Die 44. Artillerie-Brigade posiert vor einer Haubitze im Raum Saporischschja

(Foto: IMAGO/NurPhoto)

Vier Tage nach dem Eklat im Oval Office legt US-Präsident Trump nach: Sämtliche US-Militärhilfen für die Ukraine werden gestoppt. Ist das das Ende ihrer Widerstandskraft? Verloren sind die Ukrainer noch nicht, aber in einigen militärischen Fähigkeiten wird es besonders schwierig.

Luftverteidigung

Hier verlässt sich die ukrainische Armee sehr auf das amerikanische Patriot-System. Das ist auch in Europa in Nutzung und weit verbreitet, weshalb der Großteil der Systeme von europäischen Unterstützern geliefert wurde. Die Munition allerdings kommt aus den USA. Der Rüstungskonzern MBDA baut zwar in Deutschland eine Produktionslinie auf, doch noch ist die nicht so weit, liefern zu können. Hier wird es sehr eng auf einem wichtigen Feld, denn die Flugabwehrsysteme schützen ukrainische Städte, Infrastruktur und Rüstungsbetriebe vor dem russischen Beschuss durch Marschflugkörper, ballistische Raketen und weitreichende Angriffsdrohnen.

Logistik und Munition für Kampfjets.

Die westlichen F16-Kampfflugzeuge, die inzwischen für die Ukraine fliegen, sind aus amerikanischer Produktion. Geliefert wurden sie von Dänemark, den Niederlanden und Norwegen. Doch Ersatzteile, Instandhaltung und auch Munition für die Jets müssen von den USA zur Verfügung gestellt werden. Der österreichische Militärexperte Gustav Gressel sähe die Europäer in der Lage, die F16 mittelfristig durch Eurofighter oder Gripen zu ersetzen. Doch auch hier wäre mit Blick auf Munition ein Engpass programmiert.

"Luft-Luft-Lenkwaffen, vor allem aber auch Luft-Boden-Lenkwaffen, die europäische Armeen nutzen, kommen aus US-Produktion", sagt Gressel ntv.de. "Damit europäische Staaten diese an die Ukraine weitergeben können, bräuchten sie mindestens das Einverständnis der USA." Das würde auch für deutsche Patriot-Munition gelten, die auf US-Lizenz angewiesen ist. Ohne grünes Licht der USA ginge nichts in Richtung Kiew.

Atacms-Raketen

Diese hochmodernen ballistischen Raketen nutzt die ukrainische Armee vor allem, um sie gegen russische Infrastruktur oder Waffensysteme zu richten, etwa gegen Militärflugplätze, Flugabwehrsysteme oder auch geparkte Kampfhubschrauber. Mit einer Reichweite von 165 oder 300 Kilometern können und dürfen sie laut einem Entscheid von Ex-US-Präsident Joe Biden auch russisches Territorium erreichen, was die Raketen besonders wertvoll macht.

Elon Musks Satellitennetzwerk Starlink

Mit Starlink, dem System von Trump-Berater Elon Musk, kommunizieren die Ukrainer in Richtung Front und an der Front. Zudem werden über das Netzwerk auch große Kampfdrohnen gesteuert, zum Beispiel unbemannte Kampfboote im Schwarzen Meer oder weitreichende Drohnen, die russische Raffinerien oder Munitionslager in großer Entfernung zur Frontlinie angreifen.

Istar Satellitenaufklärung

Die Aufklärungsergebnisse durch US-Satelliten sind das ukrainische Auge über dem Schlachtfeld. Wo positionieren die Russen ihre Kommandostände? Wo verstecken sie ihre Fliegerabwehr? Die taktisch-operative Aufklärung, anhand derer die Ukrainer ihr Verhalten auf dem Gefechtsfeld ausrichten, kommt von US-Satelliten. Europa ist im Vergleich weit hinten, auch mit Blick auf Fähigkeiten wie etwa Radarsignaturen abzuschöpfen oder Gefechtsfeldfunk des Gegners mitzuschneiden.

Können die Ukrainer und Europäer die Lücke füllen?

Um das abzuschätzen, ist eine entscheidende Frage zu klären: Wollen die USA in erster Linie kein Geld mehr ausgeben für die militärische Unterstützung Kiews? Dann könnten sie ihre Hilfe einstellen aber den Europäern zum Beispiel Patriot-Munition verkaufen, die dann weiter in die Ukraine geliefert werden könnte. Und sie könnten erlauben, dass F16-Ersatzteile aus US-Produktion von europäischen Staaten an die Ukraine geliefert werden.

Geht es US-Präsident Donald Trump jedoch nicht nur um Einsparungen, sondern darum, die Ukraine wehrlos zu machen, um sie zu einem Diktatfrieden mit Russland zu zwingen, ist die Situation weitaus prekärer. In diesem Fall könnten die USA die Weitergabe sämtlicher in Amerika hergestellter oder von US-Firmen lizenzierter Waffen und Munition ablehnen. Den verbliebenen Unterstützern wären bei US-Systemen dann die Hände gebunden. Noch hat sich das Weiße Haus dazu nicht geäußert. "Ich habe bei ukrainischen Kollegen nachgefragt, was ihrer Ansicht nach auf dem Spiel steht, aber die wissen es auch noch nicht", sagt Gressel.

Welches wichtige US-System wäre denn wodurch ersetzbar?

Luftverteidigung

Wenn Patriot als Flugabwehrsystem wegen Munitionsmangels ausfiele, müssten die Europäer versuchen, möglichst schnell die Produktion des noch recht neuen Systems SAMP/T zu erweitern. Das System wird in französisch-italienischer Zusammenarbeit produziert und ist bereits in der Ukraine im Einsatz. Es ist in der Lage, Kampfjets, Hubschrauber und auch angreifende Marschflugkörper abzuwehren und könnte Patriot am ehesten ersetzen.

Kampfjets

Wenn die F16 wegen fehlender Munition und fehlender Ersatzteile nicht mehr aufsteigen würden, dann könnten sie theoretisch durch Eurofighter und Gripen ersetzt werden. Doch Kampfjet-Munition gibt es nur in den USA. Würde sich Donald Trump querstellen, dann könnten die Kampfflieger in der Verteidigung keine maßgebliche Rolle mehr spielen.

Atacms

Rund 40 Prozent ihrer Waffen und Munition produziert die Ukraine inzwischen selbst. Die Atacms-Raketen wären wie das amerikanische Himars-Raketensystem jedoch nicht ohne weiteres ersetzbar, schon gar nicht von den Ukrainern selbst.

Die Ukraine nutzt allerdings bereits Marschflugkörper wie Storm Shadow und Scalp von Großbritannien und Frankreich. Die können ebenfalls präzise Angriffe auf weit entfernte Ziele fliegen. Eine weitere Option könnte der deutsche Taurus-Marschflugkörper sein. Auch der eine hochmoderne Präzisionswaffe mit noch höherer Reichweite als Atacms und Himars. Bislang hat Deutschland eine Lieferung strikt abgelehnt, doch die künftige Bundesregierung zeigt sich offen für diese Überlegung.

Starlink

Schon seit längerem arbeitet die Ukraine an Ersatz für Starlink, denn Betreiber Musk hat sich in den vergangenen Monaten als unzuverlässiger Unterstützer gezeigt. Stattdessen könnten die Soldaten mit Glasfaserkabeln und terrestrischen Stationen arbeiten. "Das funktioniert an den meisten Teilen der Front gut, weil die Ukraine in der Defensive ist und sich nicht vorwagen muss", sagt Gressel.

Probleme sieht er an sehr exponierten Stellen der Front. Dazu zählen Spezialkräfte, die im Rücken der Russen zur Aufklärung und Steuerung der Kampfdrohnen eingesetzt werden. "Es gibt natürlich Konkurrenzprodukte zu Starlink, nur ist deren Datenvolumen sehr begrenzt. Gerade ein Drohnenpilot braucht für die Steuerung per Videoübertragung aber Bilder in Echtzeit", sagt Gressel. "Eine Drohne lässt sich nicht mit fünf Sekunden Video-Verzögerung manövrieren."

Zudem hat Starlink etwa zehnmal so viele Satelliten wie die Konkurrenz im All. Entsprechend wäre die Abdeckung bei Alternativen weniger dicht und die Übertragungsrate niedriger. Man kann mit den Geräten der Wettbewerber zwar auch Drohnen steuern, aber viel weniger Flugkörper in einem bestimmten Gebiet in der Luft halten, weil statt 7000 Satelliten vielleicht nur 250 zur Verfügung stünden. "Das kann die Ukraine taktisch umschiffen, man kann Systeme etwas anders betreiben, aber es wird unbequemer und weniger leistungsfähig", befürchtet Gressel.

US-Satellitenaufklärung

Im Bereich der Aufklärung sieht der Experte große Probleme. Zwar hat Großbritannien einige Fähigkeiten in diesem Bereich, auch mit Blick auf Nachrichtendienste, aber an die der USA reichen sie bei weitem nicht heran. "Wo die Ukrainer wirklich Probleme haben werden, ist die taktisch operative Ebene", sagt Gressel. "Da können die EU-Europäer wenig und die Briten nicht sehr viel mehr."

Wird der Wegfall der US-Hilfe schnell an der Front sichtbar sein?

Mit Blick auf den Mangel an Artilleriemunition "wird die Ukraine wahrscheinlich sehr schnell anfangen und auch jetzt schon anfangen, diese Munition zu rationieren", schätzt Sicherheitsexperte Thomas Wiegold bei ntv. Ein stärkeres Vorrücken an der Front, vermehrte zivile Opfer durch russische Luftangriffe erwartet Wiegold "vielleicht nicht unbedingt kurzfristig, aber in den kommenden Monaten könnten wir diese Tendenz sehen".

Ein hochrangiger ukrainischer Geheimdienstmitarbeiter warnt in der "Financial Times", die Ukraine werde wahrscheinlich die letzten amerikanischen Militärgüter in "zwei oder drei Monaten" aufgebraucht haben. "Danach wird es für uns sehr schwierig werden", so der Beamte. Es werde kein totaler Zusammenbruch sein, aber man werde gezwungen sein, sich schneller aus Gebieten zurückzuziehen.

Derzeit tauschen die USA weiterhin nachrichtendienstliche Informationen mit der Ukraine aus, das bestätigt eine mit der Situation vertraute Quelle gegenüber CNN. Das geschieht demnach trotz der gestrigen Ankündigung, die Lieferung von Waffen und weitere militärische Unterstützung an die Ukraine auszusetzen. Würden Starlink und Istar den Ukrainern erhalten bleiben, wäre schon einmal viel erreicht.

Gustav Gressel sagt für die kommende Zeit voraus, dass es "richtig schwierig wird. Aber es kommt darauf an, was die Europäer jetzt machen. Wenn die Europäer wirklich handeln, dann kann man zumindest die Ukraine überleben lassen."

Quelle: ntv.de

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