"Er hasst Selenskyj" Für Trump ist Selenskyj eine permanente Erinnerung an 2019


Selenskyj und Trump trafen sich am Rande der UN-Generalversammlung in New York am 25. September 2019. Die erste Einladung ins Weiße Haus erhielt der ukrainische Präsident erst im Dezember 2022, zehn Monate nach Beginn des russischen Überfalls. Der Präsident hieß jetzt Joe Biden.
(Foto: picture alliance/AP Photo)
Als Donald Trump die ersten Male mit Wolodymyr Selenskyj sprach, wollte er Beweise für Vorwürfe gegen Joe Biden. Bekommen hat er sie nie, die Anschuldigungen sind bis heute nichts als ein Verschwörungsmythos. Was Trump bekam, war ein Amtsenthebungsverfahren.
Am 25. April 2019 griff Donald Trump zum Telefon. Fast eine Dreiviertelstunde telefonierte der US-Präsident mit Fox-News-Moderator Sean Hannity, einem Trump-Loyalisten der ersten Stunde. Interviews dieser Art gab er damals häufiger: lange Telefonate, live im Fernsehen, ohne Bild. Am selben Tag hatte Joe Biden seine Bewerbung für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten erklärt. "Ich kenne Joe seit Jahren", kommentierte Trump. "Er ist nicht die hellste Birne in der Gruppe", gemeint waren die demokratischen Bewerber. "Aber er hat einen Namen, den sie kennen."
Trump beließ es nicht bei abfälligen Bemerkungen über Biden. Er kündigte auch an, sein Justizminister William Barr habe "unglaubliche" und "große" Erkenntnisse darüber, dass ukrainische Akteure 2016 den Wahlkampf der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton unterstützt hätten.
Der Mueller-Report war gerade erschienen
Wahlmanipulation durch die Ukraine, nicht durch Russland - das war die Botschaft, die Trump setzen wollte. Eine Woche zuvor, am 18. April, war der Mueller-Report erschienen. Sonderermittler Robert Mueller, ein früherer FBI-Direktor, legte darin dar, wie Russland Einfluss auf die Wahl von 2016 genommen hatte, mit dem Ziel, Trump ins Weiße Haus zu bringen. Diese Geschichte wollten Fox News und andere Trump-loyale Medien umdrehen: Nicht Russland hatte Trumps Wahlkampf unterstützt - es war die Ukraine, die Clinton unterstützt hatte.
Gerade erst war Trumps früherer Mitarbeiter Paul Manafort von einem Gericht in Virginia zu 47 Monaten Haft verurteilt worden. Im August 2016, mitten im Wahlkampf gegen Clinton, hatte Manafort als Wahlkampfmanager seinen Hut nehmen müssen, nachdem bekannt wurde, dass er mehrere Millionen Dollar von der Partei des früheren ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch angenommen hatte; Janukowytsch, der letzte prorussische Präsident der Ukraine, wurde 2014 im Zuge der Maidan-Revolution abgesetzt. Verurteilt wurde Manafort wegen Steuerhinterziehung und Bankbetrugs.
Manafort war auch beim legendären Treffen im Trump Tower dabei: Im Juni 2016 empfingen er sowie Trumps Sohn Donald Junior und sein Schwiegersohn Jared Kushner eine russische Anwältin, von der sie sich Informationen über Clinton erhofften. Auch diese Geschichte wollte Trump umdrehen: Nicht sein Wahlkampfteam hatte versucht, Informationen über Clinton aus Russland zu bekommen - die Demokraten hatten Informationen aus der Ukraine über Manafort erhalten!
Schon im März hatte Fox News über eine angebliche Manipulation der US-Wahlen durch die Ukraine berichtet. Es gehe um "mögliche geheime Absprachen zwischen Demokraten und der Ukraine in der Wahl von 2016", raunte der Sender. "Werden diese Vorwürfe genauso viel Aufsehen erzeugen wie die gegen Präsident Trump?"
Wäre es nach Trump, Hannity und Fox News gegangen, dann wäre es so gewesen.
Das erste Telefonat mit Selenskyj
Bisher hatte Trump es vor allem seinem Anwalt Rudy Giuliani überlassen, entsprechende Vorwürfe zu streuen. Im Telefon-Interview mit Hannity stieg der Präsident selbst in den Ring: "Das klingt nach einer großen Sache, sehr interessant, das mit der Ukraine", sagte er. "Ich habe gerade vor kurzem mit dem neuen Präsidenten gesprochen und ihm gratuliert."
Der neue Präsident war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht im Amt. Erst vier Tage zuvor hatte Wolodymyr Selenskyj die Stichwahl um die Präsidentschaft in der Ukraine gewonnen und sollte am 20. Mai vereidigt werden. Trumps Gratulationsanruf war vermutlich der erste Kontakt der beiden. Ob er bei dieser Gelegenheit auch über die Wahl von 2016 gesprochen hatte, ließ Trump bei Hannity offen.
All dies dürfte Trump durch den Hinterkopf gegangen sein, als er sich am Freitag im Weißen Haus, angespornt von seinem Vize J.D. Vance, das Wortgefecht mit Selenskyj lieferte.
"Eine ukrainische Verschwörung zur Unterstützung Clintons"
Ganz neu war die Idee einer ukrainischen Verschwörung nicht, als Trump im April 2019 mit Hannity telefonierte. Schon zwei Jahre vorher hatte Trump in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP Andeutungen gemacht, die nach Kiew deuteten. Auch da ging es um 2016, konkret: um einen Hackerangriff auf die Demokratische Partei, der nach Erkenntnissen des FBI von russischer Seite ausgeführt worden war. Eine an der Aufklärung des Angriffs beteiligte Firma, Crowdstrike, sitze in der Ukraine, behauptete Trump. "Ich habe gehört, sie gehört einem sehr reichen Ukrainer, das habe ich gehört." Sollte heißen: Die Untersuchungsergebnisse sind wertlos, sie kommen aus der Ukraine.
Trump wiederholte die Crowdstrike-Geschichte auch später immer wieder. Wahr ist sie nicht: Crowdstrike hatte seinen Sitz zunächst in Kalifornien, dann in Texas, nie in der Ukraine. Das Unternehmen gehört auch keinem ukrainischen Oligarchen, sondern US-Bürgern. Einer der Crowdstrike-Gründer ist gebürtiger Russe.
Mit ihrem Geraune über die Ukraine wollten Trump, Giuliani und andere Republikaner die Berichterstattung über die russische Einflussnahme auf den Wahlkampf von 2016 überlagern. In Teilen gelang das: "Während die Russland-Absprache in den Hintergrund tritt, zeichnet sich eine ukrainische Verschwörung zur Unterstützung Clintons ab", titelte selbst die politisch unverdächtige Nachrichtenseite The Hill am 20. März 2019. Erst später stellte sich der Artikel als falsch heraus. Der Journalist John Solomon, der ihn geschrieben hatte, ließ sich offenbar von Giuliani einspannen. Wer den Text heute aufruft, wird auf gleich mehrere Anmerkungen am Ende des Artikels hingewiesen. Die letzte davon: "US-Geheimdienste stellten fest, dass sich Russland, nicht die Ukraine, in die Präsidentschaftswahl 2016 eingemischt hat, mit der spezifischen Absicht, Donald Trump zu helfen, Hillary Clinton zu besiegen."
"Der verlogene Hunter-Biden-Joe-Biden-Betrug"
Die Crowdstrike-Geschichte und die Clinton-Verschwörung waren nicht die einzigen Legenden, die Trump gegen Biden ins Feld führte. Zentral ist bis heute ein Vorwurf, der auch beim Eklat am Freitag im Oval Office aus ihm rausplatzte: "der verlogene Hunter-Biden-Joe-Biden-Betrug". Im Kern lautet die Erzählung: Biden habe seine Position als US-Vizepräsident missbraucht, um den Rauswurf des ukrainischen Generalstaatsanwalts Wiktor Schokin zu erwirken. Der Grund: Dieser habe Ermittlungen gegen Bidens Sohn Hunter angestrengt.
Richtig daran ist, dass Biden die Ukraine Ende 2015 drängte, Schokin zu entlassen. Das gilt allerdings auch für die Europäische Union, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds - sie alle sahen Schokin als Hindernis im Kampf gegen die Korruption in der Ukraine an. Schokin ermittelte auch nicht gegen Hunter Biden, sondern gegen die ukrainische Burisma Holding - ein Konzern, in deren Verwaltungsrat Hunter Biden von 2014 bis 2019 saß. Bei den Ermittlungen ging es um Vorkommnisse aus den Jahren 2010 bis 2012.
Beweise für seine Anschuldigungen hat Trump nie vorgelegt. Hunter Biden wurde zwar im vergangenen Jahr wegen Steuerhinterziehung verurteilt, nicht aber wegen Korruption in der Ukraine. Es gibt auch keinerlei Hinweise, dass Joe Biden seinen Sohn im Sinn hatte, als er Schokins Entlassung forderte.
Das Telefonat vom Juli 2019
Solche Beweise hätte Trump indessen gern gehabt - und er bat Selenskyj darum, sie ihm zu liefern, wie im September 2019 bekannt wurde. Ein Whistleblower hatte sich an die Ermittlungsbehörden gewandt und mitgeteilt, dass Trump den ukrainischen Präsidenten in einem Telefonat um einen Gefallen gebeten habe - und zwar um die Sorte von Gefallen, die in den USA illegal ist: ausländische Hilfe im Wahlkampf.
Nach entsprechenden Berichten sah sich das Weiße Haus genötigt, eine Mitschrift des halbstündigen Telefonats zu veröffentlichen. Das Gespräch fand am 25. Juli statt, mehr als zwei Monate nach Selenskyjs Amtseinführung.
Trump gratuliert Selenskyj darin zunächst zu einem "großen Sieg"; Selenskyjs Partei hatte vier Tage zuvor die Parlamentswahlen gewonnen. Dann spricht Trump ausführlich darüber, wie viel die USA für die Ukraine tun und dass die Europäer stärker helfen müssten - auch das war damals schon ein Thema. Selenskyj stimmt ihm zu und erwähnt, dass die Ukraine mehr Panzerabwehrwaffen vom Typ Javelin aus den USA kaufen wolle.
Auf das Telefonat folgte ein Amtsenthebungsverfahren
"I would like you to do us a favor though", sagt Trump darauf: "Ich möchte aber, dass Sie uns einen Gefallen tun, denn unser Land hat viel durchgemacht und die Ukraine weiß viel darüber. Ich möchte, dass Sie herausfinden, was mit dieser ganzen Situation mit der Ukraine passiert ist." Trump erwähnt dann noch Crowdstrike und später auch den entlassenen Generalstaatsanwalt Schokin. "Viele Leute reden darüber, wie Ihr sehr guter Staatsanwalt abgesetzt wurde und dass einige sehr schlechte Leute daran beteiligt waren." Trump bittet Selenskyj, über all dies mit Giuliani und Justizminister Barr zu sprechen. Und er hat ein drittes Anliegen. "Die andere Sache: Es wird viel über Bidens Sohn geredet, dass Biden die Ermittlungen [gegen seinen Sohn] hat stoppen lassen, und viele Leute wollen das herausfinden, deshalb wäre alles, was Sie mit dem Justizminister machen können, großartig."
Selenskyj sichert zu, seinen neuen Generalstaatsanwalt auf "die Firma, die Sie erwähnt haben", anzusprechen - gemeint ist offenbar Burisma. Er bittet Trump auch um zusätzliche Informationen für weitere Ermittlungen. Solche Ermittlungen gab es jedoch nie. Das sei der Grund, warum Trump Selenskyj hasse, sagte Lev Parnas der Nachrichtenseite Politico schon vor einem Jahr. Parnas hatte einst für Giuliani gearbeitet, sich später aber gegen Trump gestellt.
Wichtig ist dieses zweite Telefonat zwischen Trump und Selenskyj, weil es der Ausgangspunkt für das erste Amtsenthebungsverfahren gegen den US-Präsidenten war. Kurz vor dem Gespräch hatte Trump Militärhilfe für die Ukraine eingefroren - da lag der Verdacht nahe, dass die Ukraine unter Druck gesetzt werden sollte. Später erklärten Zeugen, der ukrainischen Regierung sei am 10. Juli mitgeteilt worden, ein von Selenskyj gewünschtes Treffen im Weißen Haus werde es nicht geben, wenn die Ukraine nicht gegen Biden ermittle.
In der Zusammenfassung des Telefonats findet sich ein so deutlicher Zusammenhang nicht. Trump stellt Selenskyj lediglich einen Besuch in Aussicht: "Wann immer Sie ins Weiße Haus kommen wollen, sagen Sie einfach Bescheid. Geben Sie uns einen Termin und wir kriegen das hin."
Noch im September 2019 begannen im US-Repräsentantenhaus die Vorermittlungen zum Impeachment-Prozess. Im Februar 2020 wurde das Verfahren von der republikanischen Mehrheit im Senat niedergeschlagen. An Trumps Gefühlen für Selenskyj scheint das nicht viel geändert zu haben, im Gegenteil. Sein Hass gelte nicht nur dem ukrainischen Präsidenten, sondern dem ganzen Land: "Trump hasst die Ukraine", glaubt Parnas. "Er und die Leute um ihn herum glauben, dass die Ukraine die Ursache für alle Probleme von Trump ist."
Quelle: ntv.de