Reisners Blick auf die Front "Trump wird nochmal nachlegen"
04.03.2025, 09:00 Uhr Artikel anhören
US-Präsident Donald Trump begrüßt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Ende Februar im Weißen Haus. Stunden später wurde Selenskyj nach dem Kamin-Eklat faktisch rausgeschmissen.
(Foto: dpa)
Nach dem Eklat im Oval Office erklärt die US-Regierung, die US-Militärhilfe für die Ukraine vorerst einzufrieren. Unklar ist, ob sich dies auch auf Unterstützung der militärischen Aufklärung und Unterstützung bei der Kommunikation der ukrainischen Armee bezieht. Dabei sind Elon Musks Starlink und die ISTAR-Satelliten entscheidende Faktoren für die Ukraine. Würden sie ausfallen, würde dies die ukrainischen Fähigkeiten an der Front massiv schädigen. Militärexperte Oberst Reisner analysiert das Gefechtsfeld und die Gefahr drastischer Folgen für Europa.
ntv.de: Die USA stoppen ihre Militärhilfe mit sofortiger Wirkung. Was bedeutet das?
Markus Reisner: Das Stoppen, wenn auch vorläufige Stoppen, der militärischen Unterstützung der Ukraine vonseiten der USA ist gravierend. Und Donald Trump und J.D. Vance handeln nicht alleine. Bei den Republikanern sehen wir zum Teil eine krasse Kehrtwende. Senator Lindsey Graham etwa hat bislang vehement zur Ukraine gestanden. Am Wochenende hat er sich vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgewandt und gesagt, wenn die Europäer noch zu Selenskyj stünden, sollten sie die Ukraine allein verteidigen.
Um was geht es da?
Gemäß bestehenden Zusagen der Regierung Joe Bidens sind noch Hilfen im Wert von fast vier Milliarden US-Dollar in Produktion oder unterwegs. Da geht es um Fliegerabwehr, Munition, weitere Ausrüstung und Finanzhilfe.
Und die Fehlen der Ukraine nun?
Die werden nun wohl nicht mehr in der Ukraine ankommen.
Kann die Ukraine das verkraften?
Sagen wir so: Ein Ende der US-Militärhilfe ist vor allem aufgrund der Qualität der Systeme schmerzlich für die Ukraine. Ein Beispiel: Das Himars-System hat etwa im Sommer 2022 einen Unterschied gemacht. Es dauerte Monate, bis die Russen sich dagegen durch Störmaßnahmen wehren konnten.
Die Ukrainer sind enorm angewiesen auf zwei weitere US-Komponenten. Das Satellitennetzwerk Starlink brauchen sie für ihre Kommunikation an der Front. Mit dem Aufklärungssystem ISTAR erkennen die USA, was die Russen vorhaben, und können weitreichende Waffensysteme gezielt russische Truppen und Infrastruktur attackieren lassen. Sehen Sie an der Front schon Defizite, also Folgen des Zerwürfnisses vom Freitag?
Noch sehen wir nichts Konkretes. Allerdings gibt es Befürchtungen, dass Elon Musk als Starlinkbesitzer die Verfügbarkeit einschränken könnte. Im Moment hält er sich noch zurück. Wenn es an der Front bereits zu Kommunikationsausfällen kommen würde, dann wüssten wir das recht schnell. In den sozialen Netzwerken würden ukrainische Soldaten oder Kommandeure ihrem Frust darüber Luft machen.
Gibt es damit schon Erfahrung?
Zumindest zwei Fälle gab es in der Vergangenheit, die prominent berichtet wurden. Ich gebe ein Beispiel: Beim Einsatz unbemannter Systeme im Schwarzen Meer im September 2022 kam es 70 km vor dem Angriffsziel plötzlich zu Ausfällen bei der Steuerung der fünf Überwasserdrohnen. Die Drohnen wurden dann führerlos an der Küste der Krim angeschwemmt und von den Russen erbeutet. Das hat im Netz für ziemliche Aufregung gesorgt. Wenn also Starlink von einem Moment auf den anderen von den USA abgedreht würde, dann ginge es sofort rund in den entsprechenden Chatgruppen im Internet.

Markus Reisner ist Historiker und Rechtswissenschaftler, Oberst des Generalstabs im Österreichischen Bundesheer und Leiter des Institutes für Offiziersgrundausbildung an der Theresianischen Militärakademie. Wissenschaftlich arbeitet er u.a. zum Einsatz von Drohnen in der modernen Kriegsführung. Jeden Montag bewertet er für ntv.de die Lage an der Ukraine-Front.
(Foto: privat)
Ich hatte Elon Musks Starlink bislang für wichtig erachtet mit Blick auf Kommunikation untereinander - vom Kommando zur Infanterietruppe, vom einen Bataillon zum anderen, vom Drohnenpiloten zu seinem kleinen Quadkopter über den feindlichen Stellungen. Aber auch die Steuerung so großer Waffen läuft über Starlink?
Die Ukraine hat es geschafft, die russische Schwarzmeerflotte aus dem westlichen und zentralen Schwarzen Meer zurückzudrängen und das gelang durch den Einsatz dieser unbemannten Angriffsboote. Die kommunizieren tatsächlich über Starlink. Wenn das gestört ist, sind diese Seedrohnen nicht mehr steuerbar. Die treiben dann auf dem Meer. Zwei Fähigkeiten basieren also maßgeblich auf Starlink. Kommunikation zum einen: Eine Zielkoordinate wird mittels Starlink übermittelt an eine Artilleriebatterie, und die feuert dann auf das Ziel. Zum anderen ist es die Steuerung von Systemen, wie zum Beispiel von weitreichenden Drohnen oder unbemannten Systemen im Meer. Noch wichtiger ist allerdings die US-Aufklärung mit dem ISTAR-Sensormix. Darauf basiert in vielen Bereichen die weitreichende ukrainische Zielerfassung. Ich will nicht sagen, ohne ISTAR wären die Ukrainer von einem Moment auf den anderen blind, aber sie wären enorm eingeschränkt. Doch auch das erleben wir derzeit noch nicht.
Wie sieht es denn aus aktuell an der Front. Halten die Ukrainer das eroberte Gebiet in Kursk?
Nein, das gelingt ihnen nicht. Eine ihrer wichtigsten Versorgungsrouten ist unter russischem Feuer durch First-Person-View-Drohnen. Um nicht abgeschnitten zu werden, mussten sich die ukrainischen Truppen binnen weniger Tage aus den Orten Pogrebki, Orlovka und Novaja Sorotschina zurückziehen. Das eroberte Gelände wird immer enger, der Nachschub zunehmend unmöglich.
Wie steht es im Donbass?
Wir sehen an vielen Frontabschnitten schwere Kämpfe - an den drei Brückenköpfen, die die russischen Truppen bei Kupjansk, am Westufer des Oskil-Flusses bilden konnten. Ein ähnliches Bild bei Terny, bei Tschassiw Jar, das schon zu 90 Prozent in russischer Hand ist, in Pokrowsk, wo wichtige Versorgungslinien unterbrochen sind, und auch in Saporischschja, wo die Russen stetig vorrücken. Bei Torezk gelingen den Ukrainern im Moment lokal begrenzt Gegenangriffe. Einen Teil des Geländes im Norden der Stadt konnten sie wieder in Besitz nehmen. Die Kämpfe sind heftig.
Könnte aus diesem lokalen Erfolg mehr erwachsen?
Der Erfolg der Ukrainer hier bindet die Russen mit ihren Kräften, das ist positiv. Aber wir sehen keine großangelegte Offensive, die eine Befreiung von Torezk zum Ziel haben könnte. Dazu fehlen den Ukrainern momentan die Kräfte.
Unter Militärs gilt die Regel: Für einen Angriff benötigt man die dreifache Stärke im Vergleich zum Gegner. Ist das dort gegeben? Sind in diesem Frontabschnitt die ukrainischen Kräfte zahlenmäßig besser aufgestellt als an anderen?
Die Ukrainer haben hier sehr intelligent agiert. Nachdem die russischen Truppen Torezk in Besitz genommen hatten, haben die Ukrainer genau beobachtet, wie die Russen vor Ort ihre Kräfte umstrukturiert haben. Man versucht in der Regel, die abgekämpften Soldaten durch neue zu ersetzen. Hier haben die Ukrainer angesetzt, einen günstigen Moment des Austauschs abgewartet und sind hineingestoßen. Damit haben sie die Russen überrascht.
Die russische Seite hat entsprechend dort einen Fehler begangen?
Das Entscheidende ist: Wenn Sie ein Gelände in Besitz nehmen, müssen Sie es sofort konsolidieren. Tun Sie das nicht, sondern ruhen sich auf Ihrem Erfolg aus, dann kann ein Gegenstoß des Feindes Sie sofort aus den neuen Stellungen wieder hinauswerfen. Das ist den Russen in Torezk passiert.
Wenn Sie sagen, die Ukrainer haben das geschickt gemacht, genau im richtigen Moment: Konnte die Armee diesen Moment dank mithilfe der US-Aufklärung abpassen, um deren Fortbestand sie sich nun solche Sorgen macht?
Um das zu beurteilen, müsste man den Hintergrund kennen. Möglich wäre es, aber sicher lässt es sich derzeit nicht sagen.
Sollte es zu einem Waffenstillstand in der Ukraine kommen, dann müsste dieser entlang der Frontlinie gesichert werden. Dafür waren auch EU-Truppen im Gespräch, doch nun heißt es von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, das Thema sei erstmal vom Tisch. Warum?
Im Raum stand eine Truppe von zwischen 25.000 und 30.000 Soldaten, die jedoch nicht an der Frontlinie selbst stehen würden, sondern in der Tiefe des Landes, westlich des Flusses Dnipro. Die Absicherung der Nulllinie zwischen ukrainisch und russisch kontrolliertem Gebiet wäre Aufgabe der Ukrainer. Das ist jedoch in der Tat kein Thema mehr, da die große und alles entscheidende Frage im Raum steht: Wer schreckt die Russen so ab, dass sie die europäischen Truppen nicht angreifen? Da reichen die europäischen Fähigkeiten allein nicht aus. Europäische Truppen wären in Zukunft im selben Grad auf amerikanische Aufklärung angewiesen, wie es schon heute die Ukrainer sind.
Zugleich wird immer deutlicher, dass die USA ihr Interesse auf andere Fragen fokussieren. Verteidigungsminister Pete Hegseth hat das US-Cyber-Kommando angewiesen, Maßnahmen gegen Russland einzustellen. Wie riskant ist diese Anordnung?
Seit dem ersten Kriegstag versucht Russland, die Ukraine durch Cyberangriffe zusätzlich zu schwächen. Auch in Richtung Europa werden immer wieder Warnsignale ausgesendet, etwa mit Sabotageakten oder Cyberangriffen. Man muss davon ausgehen, dass hinter den Kulissen noch viel mehr passiert, weil dieser Krieg hybrid, also unter der Wahrnehmungsschwelle, geführt wird. Wenn jetzt aber die USA ihre Cyberkapazitäten umschichten, weg von Russland und hin zur Bekämpfung von Drogenkartellen in Mexiko, wie Hegseth ankündigte, dann reißt das auf jeden Fall auch eine Lücke in die US-Cyberabwehr zur Unterstützung Europas. Wenn die Europäer verhindern wollen, dass Russland mit seinen Cyberaktivitäten auf ihrem Territorium aktiv ist, müssen sie diese Lücke schnell selbst schließen.
Wenn die USA also ihre Cyberressourcen von Russland auf den Drogenkrieg in Mexiko umschichten, dann spricht das dafür, dass sie sich vom Kreml weniger bedroht fühlen. Kann das eine Folge der gefährlichen Einschätzung Trumps sein, dass er Putin vertrauen kann, weil dieser ihn "respektiert"?
Dazu gibt es von US-Seite interessante Signale: Auf dem Tisch liegt der Vorschlag für eine gemeinsame Exploration in der Nordpolregion. Das Eismeer geht zurück, und Russland und die USA könnten dort gemeinsam Rohstoffe abbauen. Aus meiner Sicht wirkt das so, als wolle Trump Russland aus seiner Allianz mit China herausbrechen.
Ein Abwerbeversuch?
Genau, denn China ist ja das eigentlich Ziel Trumps und der US-Regierung. Man kommt Putin entgegen und sagt, wir schaffen Ruhe in Europa, der Ukrainekonflikt wird eingefroren, die Europäer kümmern sich um die Waffenruhe auf diesem Nebenkriegsschauplatz. Und dann versuchen wir, die Russen aus der chinesischen Umklammerung herauszuholen, denn Russland hat ja kaum einen anderen Markt für seinen Rohstoffverkauf als China und Indien. Ziel wäre eine Allianz mit Putin oder zumindest ein neutrales Russland, damit sich die USA dann komplett auf die Konkurrenz mit China konzentrieren können. Peking wird auch schon leicht nervös.
Wie äußert sich das?
Die Chinesen versichern Moskau ihrer Treue, signalisieren aber zugleich, dass sie auch neue Partner haben, falls sich die Situation verändert. Das ist, so glaube ich, das große Bild im Hintergrund, falls man der Trump-Regierung eine gewisse Ratio unterstellen darf. Falls es die nicht gibt, falls er einfach irrational agiert, dann müssen wir uns aus meiner Sicht auf noch viel Schlimmeres gefasst machen.
Sie meinen, Trump wird nochmal nachlegen.
Auf jeden Fall wird Trump nochmal nachlegen. Der Rohstoffdeal ist ja schon vom Tisch. Nach dem Einfrieren der Militär-Mittel könnte die Abschaltung von Starlink und ISTAR der nächste Schritt sein. Die USA könnten auch aus der Nato aussteigen. Sie könnten US-Truppen aus Europa abziehen. Im Verteidigungsministerium wird gerade der Sparstift angesetzt und drastisch bei den Landstreitkräften gekürzt, zugunsten von Marine und Luftwaffe. Denn die beiden letzteren sind im Konflikt mit China wichtiger. Landstreitkräfte haben vor allem für Europa Bedeutung. Da kann noch einiges auf uns zu kommen. Europa sollte tunlichst verstehen, dass es ernst ist.
Woran würde man aus Ihrer Sicht erkennen, dass zumindest Deutschland das Ausmaß der Bedrohung verstanden hat?
Es steht mir nicht zu, hier gute Tipps zu geben, aber versuchen wir kurz eine neutrale Bewertung! Sobald Deutschland einen neuen Bundeskanzler hat, müsste dieser eine sicherheitspolitische Grundsatzrede halten und einen klaren Richtungspunkt vorgeben. So wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer dies gerade versuchen. Das "Weimarer Dreieck" aus Frankreich, Deutschland und Polen müsste sich zudem gemeinsam mit Großbritannien als geeinte Kraft präsentieren. Man sollte - und hier denken wir mal "out of the box" - die Rüstungsindustrie zum Teil verstaatlichen, denn sonst werden die Preise für Rüstungsgüter bald ins Unerschwingliche steigen. Bedenken Sie bitte, die Unternehmen wollen vor allem eines: Gewinne machen. Hinter ihnen stehen die Anleger. Zudem müsste man überlegen, die Wehrpflicht wieder einzuführen. An solchen Schritten würde deutlich: Lage erkannt.
Mit Markus Reisner sprach Frauke Niemeyer
Quelle: ntv.de