Politik

Heikles Thema in der IMK Sollen Straftäter nach Syrien abgeschoben werden?

Direktflüge nach Damaskus gibt es nicht.

Direktflüge nach Damaskus gibt es nicht.

(Foto: dpa)

Die Innenminister der Länder sind uneins, ob Straftäter und Gefährder nach Syrien abgeschoben werden sollen. Das Thema ist kompliziert: Auch wenn die Minister einig wären, blieben entscheidende Hürden bestehen.

Das syrische Regime geht "weiterhin rücksichtslos gegen die Bevölkerung vor", heißt es, wenn das Auswärtige Amt die aktuelle Sicherheitslage in Syrien einschätzt. Wer wissen will, was solch ein Satz bedeutet, kann Till Küster fragen. "Über ein Dutzend Geheimdienste operieren nach unserer Kenntnis im Land", sagt der Syrien-Koordinator der Hilfsorganisation Medico International. Wer dem Regime Baschar Al-Assads negativ auffalle, lande sehr wahrscheinlich in einem der geheimen Folterzentren, die in den Kellern von Militärkrankenhäusern eingerichtet sind. "Dort werden Inhaftierte ausgehungert, Militärärzte amputieren intakte Gliedmaßen, tausendfach kommen Menschen ums Leben", berichtet Küster ntv.de. "Wir haben schon Partner vor Ort verloren, die einfach plötzlich verschwanden."

Dieses plötzliche Verschwinden mag damit zusammenhängen, dass in der syrischen Justiz eine Datenbank existiert, auf der sich die Namen von anderthalb Millionen Menschen befinden, die per Haftbefehl gesucht werden, wie das Auswärtige Amt berichtet. In einem Land, das geschätzte 19 Millionen Einwohner hat, heißt das: Einer von zwölf syrischen Bürgern muss jederzeit mit seiner Verhaftung rechnen.

Medico International unterstützt eine Gruppe von syrischen Anwälten, die zumindest zu den offiziellen Gefängnissen Zugang haben. Sie helfen Angeklagten, organisieren Entlastungszeugen, verhandeln informell mit Richtern. Die Arbeit ist für die Anwälte selbst lebensgefährlich. Quasi allen Angeklagten droht ein Todesurteil, daher bleibt den Anwälten oft nur noch, den Prozess in die Länge zu ziehen. Ein ehemaliger syrischer Totengräber sagte in einem Verfahren gegen zwei syrische Geheimdienstler vor dem Koblenzer Oberlandesgericht aus, er habe zum Teil mehrere hundert Leichen pro Tag in Massengräbern verscharrt.

"Es geht um ein Zeichen"

"Weiterhin sehr komplex", nannte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes die Sicherheitslage in Syrien im Oktober. Sie äußerte sich dazu, weil kurz zuvor ein junger Syrer verhaftet worden war, der im Verdacht steht, am 4. Oktober in Dresden ein schwules Pärchen mit einem Messer attackiert zu haben. Nur einer der beiden Männer überlebte den Angriff.

Nach der Tat wurde bekannt, dass der Tatverdächtige der Terrormiliz Islamischer Staat angehörte, dass er kurz vor dem Mordanschlag erst aus der Haft entlassen worden war und weiterhin als Gefährder galt. Das befeuerte eine Debatte, die heute auch bei der Konferenz der Innenminister auf der Tagesordnung steht: die Frage, warum schwere Straftäter nicht nach Syrien abgeschoben werden.

Die einfachste Antwort darauf lautet: Weil die Innenministerkonferenz (IMK) vor acht Jahren einen Abschiebestopp nach Syrien beschlossen hat. Und weil dieser Beschluss seitdem jedes Jahr erneuert wurde, einstimmig. Bei der Innenministerkonferenz, die noch bis Freitag andauert, will Horst Seehofer, Ressortchef im Bund, dafür eintreten, den generellen Abschiebestopp zu kippen. Stattdessen sollen die Behörden "künftig zumindest für Straftäter und Gefährder wieder in jedem Einzelfall prüfen, ob Abschiebungen nach Syrien möglich sind", sagte Seehofer im Vorfeld der Schalte der Landesinnenminister.

Unterstützung für dieses Vorhaben bekommt er von mehreren Seiten. Der CDU-Außenexperte und Kandidat für den CDU-Vorsitz, Norbert Röttgen, sagte der "Welt", es gehe um "ein klares politisches Zeichen nach innen und außen, dass Deutschland kein Schutzort für terroristische Gefährder ist". Durch den pauschalen Abschiebestopp "genießen Gefährder momentan eine Garantie, dass wir sie nicht zurückschicken".

Abschiebungen ohne diplomatische Beziehungen?

Nach Zahlen des Innenministeriums handelt es sich derzeit um etwa 90 Syrer, die von den Landesbehörden als Gefährder eingeschätzt werden. "Bei den Gefährdern in Brandenburg machen Syrer nicht die Menge aus", sagt Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen, ebenfalls CDU, ntv.de. "Doch geht es auch um Intensivtäter, um inhaftiere Straftäter, und da sind die Zahlen andere, auch was Syrer betrifft." Wie die anderen Innenminister der Union unterstützt Stübgen Seehofers Vorstoß und verspricht sich davon vor allem, dass nach acht Jahren Bewegung in die Sache kommt. Würde der Abschiebestopp nicht verlängert, sei der Bund dadurch aufgefordert, nach Wegen zu suchen, "dass solche Abschiebungen in irgendeiner Form auch mal möglich sind".

Denn an der schieren Möglichkeit mangelt es, und das erwähnt Bundesminister Seehofer bislang nicht in seinen öffentlichen Statements: Völkerrechtlich ist es Deutschland kaum möglich, nach Syrien abzuschieben, solange den Abgeschobenen dort Gefahr für Leib und Leben drohen würde. Diese Gefahr lässt sich kaum ausschalten, zumal es für eine Abschiebung zwingend notwendig ist, mit den Behörden des Herkunftslandes zusammenzuarbeiten. So, und nur so, funktioniert Abschiebung: Deutsche Sicherheitsbehörden müssen die Abgeschobenen an Sicherheitsbehörden vor Ort übergeben, im Falle Syriens also an Getreue des Unrechts-Regimes von Baschar Al-Assad.

In Vorbereitung einer solchen Abschiebung müsste Deutschland wieder diplomatische Beziehungen zu Syrien aufnehmen, müsste das Regime kontaktieren, um dann mit ihm bei der Durchführung von Abschiebungen zusammenzuarbeiten. "Dass man dafür in eine Kooperation mit dem Kriegsverbrecher Assad gehen müsste, das ist es, was Seehofer so dramatisch verschweigt", sagt Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, ntv.de.

Thüringens SPD-Innenminister Georg Maier, derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz, fragt auch nach praktischer Durchführbarkeit: "Wie sollen wir Abschiebungen vornehmen, ohne dass wir diplomatische Beziehungen haben? Es gibt keine direkten Flüge nach Syrien." Sein Parteikollege Andreas Geisel, Innensenator in Berlin betont: "Auch wenn es aus Sicherheitsgründen mitunter schwer zu akzeptieren oder zu vermitteln ist: Man kann Menschen, selbst solchen, die hier als Gefährder oder schwere Straftäter bekannt sind, nicht in ein Land zurückschicken, in dem sie von Verfolgung oder mit dem Tod bedroht sind."

Straftäter könnten im Einzelfall abgeschoben werden

Die Schwierigkeit der Situation ist auch den Ressortkollegen anderer Bundesländer bewusst. Michael Stübgen geht es nach eigenem Bekunden erstmal darum, dass eine solche Debatte geführt wird. "Ich bin überhaupt noch nicht entschieden, ich will nur den Diskurs darüber, ob wir in Zukunft ausreisepflichtige Schwerstverbrecher oder Gefährder nach Prüfung des Einzelfalls und der Gefährdungslage abschieben können." Das werde nicht in den nächsten Monaten sein, wahrscheinlich auch nicht im nächsten Jahr.

Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp, FDP, erhielt vor wenigen Tagen ein von ihm bestelltes Rechtsgutachten zu der Frage, unter welchen Umständen Abschiebungen nach Syrien möglich wären. Das Gutachten differenziert: Weil Gefährdern danach besonders häufig "Folter oder unmenschliche Behandlung" drohen würden, sei eine Abschiebung praktisch unmöglich. Anders verhält es sich laut dem Gutachten hingegen bei Straftätern. Sie könnten im Einzelfall in die Hauptstadt Damaskus abgeschoben werden. Also ein Jein?

So vertrackt die Lage erscheint, ist sie auch. Denn die Innenministerkonferenz entscheidet einstimmig. Kommt keine Einigung zustande, dann verfahren die Ministerien der Länder nach eigener Linie. Für eine weitere Verlängerung des Abschiebestopps sind die unionsgeführten Ressorts wohl nicht mehr zu haben. Neben der Kompromissidee, nur noch um ein halbes Jahr zu verlängern und dann erneut die Sicherheitslage zu prüfen, gibt es noch einen weiteren Vorschlag: Den Abschiebestopp zu verlängern, jedoch Gefährder und Straftäter davon auszunehmen und dort die Einzelfälle zu prüfen. Die Grüne Amtsberg sieht bei Gefährdern vor allem dringenden Handlungsbedarf in Deutschland: Die Beobachtung von Gefährdern müsse unbedingt intensiviert werden. Die einseitige Fokussierung der Diskussion um mögliche Abschiebung "täuscht auch darüber hinweg, dass der größte Teil der Gefährder die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt".

Quelle: ntv.de

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