Politik

Präsident reist nach Israel Steinmeier versucht die sanfte Konfrontation

Frank-Walter Steinmeier muss die Wogen glätten, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen zu kneifen.

Frank-Walter Steinmeier muss die Wogen glätten, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen zu kneifen.

(Foto: dpa)

Bundespräsident Steinmeier besucht Israel inmitten einer schweren diplomatischen Krise. Der erfahrene Außenpolitiker ist dabei klug genug, die Krise nicht weiter zu verschärfen - auch wenn er sehr wohl Kritiker von Netanjahus Siedlungspolitik trifft.

Unter den vielen Anrufern, die Frank-Walter Steinmeier am Tag seiner Wahl zum Bundespräsidenten gratulieren, ist auch Reuven Rivlin, der israelische Präsident. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel gelten seit langem als stabil und freundschaftlich, was für viele vor allem ältere Deutsche angesichts der Gräueltaten der Nazis bis heute an ein Wunder grenzt. Als Rivlin das neue deutsche Staatsoberhaupt zu einem möglichst frühen Antrittsbesuch in sein Land einlädt, sagt Steinmeier sofort zu. Nun tritt der Bundespräsident diese Reise an.

Steinmeier freut sich darauf. Allein als Außenminister war er elf Mal in Israel, kennt die palästinensischen Gebiete gut, hat die Region auch privat bereist, nicht erst seit seine Tochter vor ihrem Studium ein paar Monate in einem Kibbuz gelebt hat. Es hätte ein schöner harmonischer Besuch werden können. Überschrift: Auch in international schwierigen Zeiten ist im deutsch-israelische Verhältnis alles im Lot.

Ein erstes störendes Körnchen schleicht sich schon zwei Tage später in das ansonsten routiniert arbeitende Getriebe der Reiseplanung, als die Bundesregierung die für Mai geplanten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen absagt und auf 2018 verschiebt. Offiziell aus Termingründen, aber tatsächlich illustriert die Absage die Kritik der Deutschen an der israelischen Siedlungspolitik.

Netanjahu nimmt Gabriels Provokation nicht hin

Der massive Ausbau jüdischer Siedlungen im Westjordanland inklusive des sogenannten Legalisierungsgesetzes, mit dem die Knesset 4000 illegal errichtete Wohnungen auf palästinensischem Privatland nachträglich für rechtens erklärt, stößt auf Unverständnis. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärt dazu ungewohnt undiplomatisch: "Das Vertrauen, das wir in das Bekenntnis der israelischen Regierung zur Zwei-Staaten-Lösung haben, ist nachhaltig erschüttert."

Immerhin leben mittlerweile 600.000 Israelis in mehr als 200 Siedlungen im Westjordanland und dem arabischen Teil von Jerusalem – die Bildung eines palästinensischen Staates ist kaum noch möglich. Dass die Bundeskanzlerin mitsamt ihres gesamten Kabinetts nicht nach Jerusalem kommt, empfindet der israelische Ministerpräsident durchaus als Affront, aber auch Benjamin Netanjahu hat kein Interesse an zerrütteten Beziehungen zu Deutschland.

Andererseits sind sie ihm aber auch nicht so wichtig, dass er einen aus seiner Sicht unerhörten Schritt des deutschen Außenministers ohne Konsequenzen hinnimmt. Als Sigmar Gabriel eine Woche nach Ostern nach Israel kommt, liegt der Ärger schon in der Luft. Gabriel wird die Lage nicht entschärfen können und die Auswirkungen beeinflussen noch zwei Wochen später den Antrittsbesuch von Frank-Walter Steinmeier in Israel.

Vorbereitung bereitet Kopfzerbrechen

Sigmar Gabriel – auch er in seiner Funktion als Bundesaußenminister zum Antrittsbesuch in Jerusalem, auch er voller Vorfreude – gerät innerhalb von nur wenigen Stunden in einen ausgewachsenen Konflikt, der – zumindest in dem Moment, als das Kind mit einem lauten Plumps in den Brunnen gefallen war – von beiden Seiten nicht mehr zu lösen ist. Netanjahu wollte mit Druck und Drohungen verhindern, dass sich Gabriel mit Vertretern der regierungskritischen Organisationen "Breaking the Silence" und "B’Tselem" trifft, drohte anderenfalls mit der Absage eines fest vereinbarten Treffens. "Breaking the silence" ist eine 2004 von ehemaligen Soldaten gegründete Veteranenorganisation, die Aussagen und Dokumente von israelischen Soldaten über problematische Vorfälle während ihres Dienstes in den besetzten Gebieten sammelt und veröffentlicht.

Netanjahu tobt und wird mit den Worten zitiert, er empfange "grundsätzlich keine Diplomaten anderer Länder, die Israel besuchen und sich dabei mit Organisationen treffen, die unsere Soldaten Kriegsverbrecher nennen". Der deutsche Außenminister aber kann sein Gespräch mit den NGO nicht canceln, ohne als Marionette der Israelis dazustehen – und reist nach etlichen Versuchen auf buchstäblich allen diplomatischen Kanälen, den Eklat doch noch abzuwenden, nach Berlin zurück, ohne den Ministerpräsidenten, der gleichzeitig auch israelischer Außenminister ist, gesehen zu haben. Das ist ohne Zweifel eine ernste Verstimmung in den Beziehungen zwischen Berlin und Jerusalem – und für Steinmeier eine denkbar undankbare Ausgangslage für seinen Besuch bei den israelischen Freunden.

Niemand in der deutschen Politik hat so viel außenpolitische Erfahrung wie Frank-Walter Steinmeier und niemand – mit Ausnahme der Bundeskanzlerin – kennt so viele der Akteure persönlich, auch in Israel. Und dennoch – oder vermutlich gerade deshalb – hat ihm die Vorbereitung dieser Reise Kopfzerbrechen bereitet. Was soll er tun, wen soll er treffen? Und – noch wichtiger – wen nicht?

Steinmeier wählt einen Mittelweg

Trifft er keine zwei Wochen nach dem Außenminister dieselben Regierungskritiker wie Gabriel und sagt daraufhin Netanjahu auch das Gespräch mit ihm, dem Bundespräsidenten, ab, wird aus dem Gewitter in den deutsch-israelischen Beziehungen womöglich eine Eiszeit. Mit Folgen, die niemand wollen kann – weder die Israelis noch die Deutschen. Trifft Steinmeier die NGO nicht, setzt er sich dem Vorwurf aus, vor Netanjahu zu kneifen – die Gründe, aus denen er sich womöglich gegen ein Treffen mit umstrittenen Organisationen entschieden hätte, würden dann keine Rolle mehr spielen.

Steinmeier hat sich für den diplomatischen Weg entschieden. Er wird sich nicht mit "Breaking the Silence"" und "B’Tselem" treffen, wofür es nebenbei auch zwei Wochen nach der Zusammenkunft mit Gabriel keinen zwingenden Grund gibt, aber 'kein Treffen mit den Kritikern' heißt nicht 'keine Konfrontation mit der Kritik'. Im Programm finden sich stattdessen Begegnungen mit israelischen Intellektuellen, darunter die Schriftsteller Amos Oz und David Grossman.

Der heute 77-Jährige Amos Oz hat wie so viele Israelis Krieg in seiner Heimat miterlebt, er hat selbst im Sinai gekämpft, Menschen sterben sehen, vielleicht sind sogar Menschen durch seine Hand gestorben. Diese Erfahrungen haben ihn zu einem, wie er selbst sagt, "dickköpfigen Friedensaktivisten" gemacht, der die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für dessen Siedlungspolitik scharf kritisiert. Genauso wie David Grossman, auch er ein Friedensaktivist.

Mit diesen Treffen will Steinmeier verhindern, den Konflikt zwischen Deutschland und Israel sehenden Auges noch weiter zu vertiefen, aber gleichzeitig nicht dem Thema aus dem Weg gehen. Ob diese Strategie aufgeht und Benjamin Netanjahu die Hand ergreift, die ihm der deutsche Bundespräsident nach dem diplomatischen Debakel entgegenstreckt, hängt nicht allein von Steinmeiers Geschick und Erfahrung ab. Die heftige Reaktion des israelischen Ministerpräsidenten auf Sigmar Gabriel hatte vor allem auch innenpolitische Gründe, immer mehr Israelis kritisieren die aggressive Siedlungspolitik ihrer Regierung. Steinmeier weiß das, wird dieses Wissen vielleicht nutzen, aber nicht ausnutzen. Dieser Besuch ist nicht geeignet, Punkte zu machen. Dieser Besuch soll die Wogen glätten, das traut man Steinmeier zu.

Quelle: ntv.de

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