Kabul spricht von Kriegsverbrechen Taliban ermorden dutzende Zivilisten
19.04.2016, 20:24 Uhr
An den Wracks der beteiligten Fahrzeuge ist die Schwere der Detonation zu erahnen.
(Foto: imago/Xinhua)
Ein Selbstmordattentäter sprengt sich nahe einer Sicherheitsbehörde in die Luft. Damit macht er den Weg für weitere Taliban-Kämpfer frei. Bei der Explosion und einer anschließenden Schießerei kommen mindestens 30 Menschen ums Leben, mehr als 300 werden verletzt.
Eine Woche nach dem Start ihrer Frühjahrsoffensive haben die radikalislamischen Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul mit einem verheerenden Anschlag angegriffen. Nach Angaben des Innenministeriums wurden bei der Attacke in einem dicht besiedelten Viertel mindestens 30 Menschen getötet und mehr als 320 weitere verletzt. Der Angriff, zu dem sich die Taliban bekannten, löste Entsetzen aus. Das afghanische Innenministerium sprach von einem "Kriegsverbrechen".
Es war der erste schwere Anschlag, seit die Taliban vor genau einer Woche den Beginn ihrer diesjährigen Frühjahrsoffensive verkündet hatten. Die Attacke ereignete sich in der Nähe des Verteidigungsministeriums. Nach Angaben des Kabuler Polizeichefs Abdul Rahman sprengte sich ein Selbstmordattentäter am Morgen mit seinem Lastwagen auf einem öffentlichen Parkplatz in der Nähe eines Regierungsgebäudes in die Luft. Nach der Explosion stieg dichter Rauch auf. Die Detonation ließ Fensterscheiben in mehreren Kilometern Entfernung zerbersten.
Laut Rahman eröffnete ein zweiter Angreifer nach der Explosion das Feuer auf die Sicherheitskräfte und lieferte sich mit ihnen einen Schusswechsel, bevor er erschossen wurde. Sicherheitsvertreter warnten, dass weitere Komplizen möglicherweise noch auf der Flucht seien. Der Tatort wurde weiträumig abgeriegelt.
Der Sprecher des Innenministeriums, Sedik Sedikki, sagte, insgesamt 30 Männer, Frauen und Kinder seien bei dem Anschlag getötet worden. Die Zahl der Todesopfer könne noch steigen, warnte er. Mehr als 320 Menschen seien verletzt, viele kämpften noch im Krankenhaus um ihr Leben.
Weltweites Entsetzen
Präsident Aschraf Ghani verurteilte den "feigen Terroranschlag". Das Innenministerium bezeichnete den Anschlag als "Kriegsverbrechen". Auch die UN-Mission in Afghanistan erklärte, mit der Auslösung einer Sprengstoffexplosion in einem dicht besiedelten Viertel hätten die Angreifer den Tod von Zivilisten in Kauf genommen und vermutlich ein Kriegsverbrechen begangen.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte den Anschlag aufs Schärfste. "Es gibt keinerlei Rechtfertigung für einen Angriff auf Zivilisten und Sicherheitskräfte", sagte er bei einem Besuch in Den Haag.
Das Auswärtige Amt in Berlin brachte angesichts des blutigen Anschlags seine "Abscheu" zum Ausdruck. "Er ist ein Angriff auf das afghanische Volk, das sich nach einem Leben in Frieden und Sicherheit sehnt", erklärte eine Sprecherin. Es bedürfe dringend einer politischen Lösung, um das Blutvergießen in Afghanistan zu beenden.
Geheimdienstzentrale besetzt?
Die Taliban erklärten zudem, ihren Kämpfern sei es gelungen, in die Geheimdienst-Zentrale einzudringen. Innenministeriums-Sprecher Sedikki räumte ein, dass ein Angreifer auf das Gelände gelangt sei. Er sei jedoch bei einem Schusswechsel niedergeschossen worden.
Erst am Freitag hatten die Taliban versucht, die nördliche Stadt Kundus zu erobern, doch die Regierungstruppen konnten den Angriff abwehren. Den Extremisten war es im vergangenen Jahr vorübergehend gelungen, Kundus einzunehmen. Es war ihr größter Erfolg, seit sie 2001 von einer internationalen Koalition von der Macht in Kabul vertrieben worden waren.
Der im Jahr 2001 begonnene Nato-Kampfeinsatz in Afghanistan wurde Ende 2014 beendet, für die Sicherheit im Land sind seitdem die afghanischen Sicherheitskräfte zuständig - und sie sind offenbar überfordert. Die Sicherheitslage verschlechterte sich zuletzt zusehends. Schätzungsweise 5500 afghanische Soldaten wurden im vergangenen Jahr getötet.
Die USA, China, Pakistan und Afghanistan bemühen sich seit Januar, Friedensverhandlungen mit der Islamistengruppe in Gang zu setzen - bislang aber ohne Erfolg. Die Taliban knüpften ihre Teilnahme an Vorbedingungen wie die Freilassung von Gefangenen und ein Ende der "Besatzung durch ausländische Truppen".
Quelle: ntv.de, Usman Sharifi/AFP