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Es bleibt kompliziert Trotz Londons "Neuanfang": Brexit macht weiter Probleme

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Die Beziehung zwischen London und Brüssel ist noch immer kompliziert.

Die Beziehung zwischen London und Brüssel ist noch immer kompliziert.

(Foto: picture alliance / Wiktor Dabkowski)

Von der neuen britischen Regierung erhofft sich die EU auch Fortschritte. Und tatsächlich verbessert sich das Verhältnis. Doch auf viele nette Worte folgen meist wenig Taten.

Mit einer wahren Charmeoffensive bemüht sich der britische Premierminister Keir Starmer seit seinem Amtsantritt um gute Beziehungen mit der EU. Von "Neuanfang" ist viel die Rede, nachdem unter der konservativen Vorgängerregierung die Stimmung oft frostig war. Die ersten Ziele des neuen Regierungschefs waren nun Berlin, Paris und Brüssel.

Dort stößt Starmer durchaus auf Gegenliebe. Für das neue Jahr lud EU-Ratspräsident António Costa den Premier bereits zum inoffiziellen Treffen der Regierungschefs ein. Mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant Starmer regelmäßige Spitzentreffen. "Lieber Keir, in diesen sehr unsicheren Zeiten müssen gleichgesinnte Partner wie wir enger zusammenarbeiten", sagte von der Leyen bei einem Besuch Anfang Oktober.

Neue Vereinbarungen sind absehbar. Es dürfte etwa Einigkeit bei einem sogenannten SPS-Abkommen geben, das Kontrollen von Lebensmitteln sowie von lebenden Tieren, Futtermitteln, Pflanzen oder Saatgut erleichtern würde. Auch in der Rüstungszusammenarbeit und Verteidigung rücken die beiden Partner enger zusammen, mit Deutschland schloss Großbritannien bereits ein entsprechendes Abkommen.

Und dennoch: Starmer hat rote Linien

Groß sind vor allem von britischer Seite die Erwartungen an eine Überprüfung des Handelsabkommens, das Brüssel und London an Weihnachten 2020 geschlossen hatten. Doch die EU bremst: Wirklich einschneidende Veränderungen werde es nicht geben, der Vertrag werde nicht wieder aufgemacht, sagt jemand, der Einblicke in die Gespräche hat.

Fraglich ist ohnehin, wie viel Spielraum es gibt. Denn Starmer hat mehrere rote Linien gezogen: keine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt und die Zollunion, die Großbritannien vor vier Jahren, am 1. Januar 2021, verließ. Und auch kein gemeinsames Programm für einen Austausch junger Menschen, wie es die EU fordert. Damit könnten 18- bis 30-Jährige in der EU beziehungsweise in Großbritannien visafrei bis zu zwei Jahre studieren oder arbeiten.

Den zwischenmenschlichen Bereich traf der Brexit besonders hart. Die Zahl deutscher Studierender im Vereinigten Königreich nimmt seither kontinuierlich ab. Nach Angaben der britischen Higher Education Statistics Agency lag die Zahl der Studentinnen und Studenten zwischen 2016 und 2019 noch relativ konstant bei knapp 14.000. Seit dem Brexit ist sie kontinuierlich auf 8240 im Zeitraum 2022/2023 geschrumpft.

Dabei hatte Corona nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nur einen geringen Anteil. "Die starken Rückgänge seit 2020/2021 haben mit der Umsetzung des Brexits ab 1.1.2020 und den deutlich gestiegenen Studiengebühren für Ausländerinnen und Ausländer sowie Visa-Regelungen zu tun", heißt es auf Anfrage.

Schüleraustausch viel zu teuer geworden

Schüleraustausche haben sich laut einer Stichprobe des AJA Arbeitskreises gemeinnütziger Jugendaustausch verschoben. Den Zahlen der im AJA vertretenen Organisationen zufolge machen deutlich mehr Schülerinnen und Schüler statt einjähriger nur noch halbjährige Aufenthalte im Vereinigten Königreich. "Ein ganzjähriger Schüleraustausch kostet nun häufig über 20.000 Euro", heißt es.

Der AJA fordert unter anderem Visafreiheit. "Schüleraustauschprogramme sind Bildungsprogramme. Sie dienen neben der persönlichen Entwicklung immer auch der Verständigung zwischen Gesellschaften und Nationen", sagte AJA -Geschäftsführer Jan Schütte.

Um den akademischen Austausch zu verbessern, wünscht sich der DAAD, dass die Briten wieder Teil des Erasmus-Programms werden. Zudem müsse es bessere Möglichkeiten für Austauschstudierende geben, Praktika zu machen. Kurzfristig ist das nicht zu erwarten. Die Kommission teilte dazu mit: "Bislang hat das Vereinigte Königreich kein Interesse an einer erneuten Teilnahme an Erasmus+ bekundet."

Auch der Wirtschaft ist die Freizügigkeit ein Anliegen. "Ein besonderer Herzenswunsch zu Weihnachten wären ernsthafte Änderungen beim Thema Immigration", sagt York-Alexander von Massenbach von der Britischen Handelskammer in Deutschland (BCCG). Dazu gehöre, Visaverfahren für qualifizierte Arbeitskräfte zu vereinfachen, Berufsqualifikationen anzuerkennen sowie die Freizügigkeit von Fachkräften zu verbessern.

Absehbar ist auch dies nicht. "Ich habe von Anfang an klargestellt, dass die Freizügigkeit für uns eine rote Linie ist und wir keine Pläne in Bezug auf die Freizügigkeit auf irgendeiner Ebene haben", sagte Starmer jüngst der Zeitung "Sun".

Diese Haltung stößt auf Unverständnis. In Interviews mit britischen Medien betont etwa der deutsche Botschafter Miguel Berger regelmäßig, ein "Youth Mobility Scheme" bedeute - anders als in London behauptet - keine unerwünschte Migration durch die Hintertür und biete vielmehr Vorteile für alle Seiten. Auch der britische Handelskammerverbund fordert ein Einlenken - und ein Dutzend weiterer Maßnahmen, um durch den Brexit entstandene Bürokratie abzubauen.

Dass dem positiven Ton auch bedeutende Schritte einer Wiederannäherung nach dem historischen Bruch des Brexits folgen, ist also kaum zu erwarten. Als zu groß gilt dafür auch die Furcht Starmers und seiner sozialdemokratischen Labour-Partei vor lautstarken Hardlinern wie der rechtspopulistischen Partei Reform UK um Nigel Farage. Der Brexit-Vorkämpfer rühmt sich enger Bande zum künftigen US-Präsidenten Donald Trump und dessen Verbündeten Elon Musk - der sich derzeit lautstark in die britische Politik einmischt und Reform UK mit Millionen unterstützen könnte.

Quelle: ntv.de, Benedikt von Imhoff und Marek Majewsky, dpa

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