Schüsse im US-Kongress Trump-Anhänger stürmen Kapitol in Washington
06.01.2021, 20:10 Uhr
Mit gezogenen Waffen müssen Trump-Anhänger davon abgehalten werden, in den Sitzungssaal einzudringen.
(Foto: imago images/UPI Photo)
In einer Rede schwadroniert der scheidende US-Präsident Trump zum wiederholten Male von angeblichem Wahlbetrug. Dann ruft er seine Anhänger auf, das Parlament in der Hauptstadt Washington zu stürmen. Diese ziehen bereitwillig und bewaffnet zu Hunderten los. Die Polizei wird überrannt. Dann fallen Schüsse.
Nach dem Ansturm Hunderter Unterstützer von US-Präsident Donald Trump auf das Kapitol in Washington ist der Parlamentssitz abgeriegelt worden. Im Inneren hatten sich die Mitglieder von Senat und Abgeordnetenhaus versammelt, um das Ergebnis der Präsidentenwahl vom 3. November zu bestätigen. Auf Bildern mehrerer TV-Sender war zu sehen, wie Trump-Anhänger auf den Parlamentssitz zumarschieren und sich Handgreiflichkeiten mit Einsatzkräften liefern. Wenig später zeigte der Sender NBC Bilder aus dem Gebäude, wie der Mob in Richtung des Sitzungssaales lief. Demnach sind die Mitglieder des Senats, Vizepräsident Mike Pence und die designierte Vizepräsidentin Kamala Harris an geheimen Orten in Sicherheit gebracht worden. Einem Reporter zufolge könnten sie das Gebäude über einen der zahlreichen Tunnel verlassen haben. Die Bürgermeisterin von Washington, Muriel Bowser, ordnete angesichts der Proteste eine Ausgangssperre an.
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Einem Bericht von CNN zufolge kam es vor dem Sitzungssaal des Repräsentantenhauses zu einer Konfrontation der Parlamentspolizei mit Bewaffneten. Es seien Waffen gezogen worden, heißt es. Ein Reuters-Reporter berichtet, dass Trump-Anhänger an die Türen des Saales gehämmert hätten, um Einlass zu erhalten. Einige Abgeordnete sollen sich zu dem Zeitpunkt noch in dem Raum befunden haben. Auf Bildern des Senders C-Span war der Einsatz von Tränengas zu sehen. NBC zufolge rief die Polizei des Kapitols die Abgeordneten auf, Gasmasken bereitzuhalten.
Der Minderheitenführer der Republikaner im Repräsentantenhaus Kevin McCarthy nannte die gewalttätigen Proteste auf Fox News "unamerikanisch". Sie müssten sofort aufhören. Seinen Angaben zufolge wurden Schüsse abgegeben. NBC berichtet, die Parlamentspolizei habe auf eine Trump-Anhängerin geschossen. CNN zufolge ist sie lebensgefährlich in der Brust verletzt worden. Einem Mitglied der Rettungskräfte zufolge gab es noch "andere Verletzte". Nach Angaben des Weißen Hauses wurde inzwischen die Nationalgarde mit anderen Bundeseinheiten zum Kapitol geschickt.
Auf weiteren Bildern von NBC ist zu sehen, wie Trump-Anhänger in die Büros der Abgeordneten eindringen. So soll sich ein Mann in den Stuhl der demokratischen Mehrheitsführerin Nancy Pelosi gesetzt haben. Andere Eindringlinge haben anscheinend begonnen, das Kapitol zu plündern.
Aufruf von Trump persönlich
Der Aufruf zu der Attacke kam womöglich von Trump persönlich. Er hatte in einer Rede vor seinen Anhängern erneut von angeblichem Wahlbetrug gesprochen und erklärt, er werde seine Niederlage niemals anerkennen. Dann rief er die Menschen auf, zum Kapitol zu ziehen. Darin sind der US-Senat und das US-Abgeordnetenhaus beherbergt. Nachdem seine Anhänger in das Kapitol eingedrungen waren, rief Trump sie über Twitter auf, friedlich zu bleiben. "Vergesst nicht, wir sind die Partei von Recht und Ordnung."
In einer aufgezeichneten Videobotschaft forderte Trump seine Anhänger später auf, friedlich nach Hause zu gehen. Er verstehe den Ärger über den Ausgang der Wahl, aber "wir müssen Frieden haben, wir müssen Recht und Ordnung haben" und die Sicherheitskräfte respektieren, sagte er. Niemand dürfe verletzt werden. Gleichzeitig wiederholte Trump seine mehrfach gerichtliche widerlegte Behauptung, ihm sei der "Wahlsieg gestohlen" worden.
Tausende Anhänger von Trump waren in die US-amerikanische Hauptstadt gekommen, weil sie überzeugt sind, dass Trump am 3. November der Wahlsieg gestohlen wurde. Der Journalist Elijah Schaffer erklärte, dass sie bei ihrem Sturm vier Sicherheitsringe überwunden hätten, ehe sie sich am Eingang des Kapitols Handgreiflichkeiten mit der Polizei lieferten. Die Polizei ist seinen Angaben zufolge überrannt worden.
Ivanka Trump spricht von "Patrioten"
Der kommende Präsident Biden nannte die Erstürmung des Kapitols durch militante Trump-Anhänger einen "beispiellosen Angriff" auf die US-Demokratie. Die Gewalt "grenzt an Aufruhr", sagte er in seiner Heimatstadt Wilmington im Bundesstaat Delaware. Er forderte Trump auf, seine Anhänger in einer Fernsehansprache zu einem "Ende der Belagerung" des Kapitols aufzurufen.
Ivanka Trump bezeichnete die militanten Anhänger ihres Vaters auf Twitter als "Patrioten". Nach kritischen Kommentaren löschte sie ihren Tweet wieder und konkretisierte: "Friedlicher Protest ist patriotisch. Gewalt ist inakzeptabel und muss aufs Schärfste verurteilt werde."
Pence stellt sich gegen Trump
Das US-Repräsentantenhaus und der Senat waren in Washington zu einer gemeinsamen Sitzung zusammengekommen, um den Sieg des Demokraten Joe Biden bei der US-Präsidentschaftswahl offiziell zu bestätigen. Dies ist üblicherweise eine Formalie im Nach-Wahl-Prozedere der Vereinigten Staaten. Diverse Republikaner aus beiden Kongresskammern hatten jedoch angekündigt, Einspruch gegen die Resultate aus mehreren US-Bundesstaaten einzulegen - angetrieben durch Trumps unbelegte Betrugsbehauptungen.
Aussicht auf Erfolg hat die politische Störaktion nicht. Beide Kongresskammern müssten einem Einspruch zustimmen, was angesichts der Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus als ausgeschlossen gilt.
Kurz vor Beginn der Sitzung hatte sich auch Vizepräsident Mike Pence gegen Trump gestellt. Anders als von Trump gefordert, kündigte er an, das Ergebnis ratifizieren zu wollen. Die Verfassung hindere ihn daran, "einseitig" darüber zu entscheiden, "welche Wählerstimmen gezählt werden sollten und welche nicht", erklärte er. Trump warf seinem Stellvertreter anschließend "mangelnden Mut" vor. Der Vizepräsident der Vereinigten Staaten ist gleichzeitig Präsident des Senates.
Auch der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, warnte zu Beginn der Sitzung eindringlich vor Versuchen seiner eigenen Partei, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen. Die Wähler, die Bundesstaaten und die Gerichte hätten gesprochen - "wenn wir sie überstimmen, könnte das unsere Republik für immer beschädigen", sagte er.
Quelle: ntv.de, chr/dpa/AFP/rts