Plötzlich um Millionen reicher Trump wollte angeklagt werden und sinnt auf Rache
15.06.2023, 20:24 Uhr Artikel anhören
Immer nach vorne: Ex-US-Präsident Donald Trump
(Foto: AP)
Nur nicht klein beigeben: Ex-US-Präsident Trump schlug offenbar Ratschläge in den Wind, im Fall der Geheimdokumente eine außergerichtliche Einigung anzustreben. Stattdessen bringt ihm die Anklage viel Geld. Er soll zudem radikale Pläne haben.
Nach Miami fliegen, den eigenen Anwalt auf "nicht schuldig" plädieren lassen, dann Hände schütteln und sich besingen lassen, in New Jersey eine geifernde Angriffsrede halten, alles unter höchster öffentlicher Aufmerksamkeit, Berichterstattung gratis - und nach einem Spendendinner 2,1 Millionen Dollar minus Reisekosten mehr auf den Konten haben. Das war der Dienstag des Donald Trump. Seit Bekanntwerden der Anklage in der vergangenen Woche sind insgesamt 6,6 Millionen Dollar Spenden an ihn geflossen. Der Ex-Präsident macht seine Probleme zu Geld.
Zwar ist der 77-Jährige nun angeklagt von der Bundesstaatsanwaltschaft, wegen Verstoßes gegen das Anti-Spionage-Gesetz, Vorwürfen der Falschaussage und Behinderung von Ermittlungen; wird er verurteilt, könnte das eine Gefängnisstrafe bis ans Lebensende bedeuten. Aber als einer seiner hoch bezahlten Anwälte im vergangenen Jahr vorschlug, sich mit den Ermittlern außergerichtlich zu einigen, um dieser Gefahr auszuweichen, lehnte der Ex-US-Präsident ab. Dies berichtet die "Washington Post".
Die präsentierte Idee war demnach, dem Justizministerium, in dem die Staatsanwaltschaft beheimatet ist, vollständige Zusammenarbeit und Rückgabe der Dokumente anzubieten und "die Temperatur zu senken", wie der Anwalt zitiert wird. Er soll nicht der einzige Jurist gewesen sein, der Trump darauf drängte, sich kooperativer zu zeigen. Trump hatte kistenweise Dokumente, darunter Geheimdienstinformationen, aus der Zeit seiner Präsidentschaft in seinem Wohnsitz in Mar-a-Lago versteckt, bis das FBI sie im Rahmen einer Razzia herausholte.
Aggressives Opfertum
Über die Motivation des Ex-Präsidenten lässt sich diskutieren: Er könnte sich, erstens, tatsächlich im Recht sehen. Oder, zweitens, er ist nicht sicher und lässt es drauf ankommen. Womöglich weiß er nur zu gut, drittens, dass er sich über das Gesetz stellte, wofür die Indizien und insbesondere Belege der Staatsanwälte nahezu eindeutig sprechen; sieht aber einen Nutzen darin, sich anklagen zu lassen. Die Vorbereitungen der Gerichtsverhandlung können sich noch sehr lange hinziehen. Trump dürfte jedes Detail im Vorwahlkampf, möglichen Wahlkampf 2024 und sogar potenziellen Präsidentschaft ausschlachten.
Darüber hinaus gehört es zum aggressiven Opfertum der Republikaner, sich als verfolgte Konservative der Demokraten und der Regierung zu präsentieren. Beim konservativen Sprachrohr "Fox News" lief am Mittwoch sogar die Zeile "Möchtegern-Diktator spricht im Weißen Haus, nachdem er seinen politischen Rivalen festnehmen ließ" über den Sender, während er gleichzeitig Präsident Joe Biden und Trump bei ihren Reden zeigte. Zwar änderte der Sender die Zeile wieder. Aber die polemische Zuspitzung ist ganz im Sinne Trump'scher Rhetorik und der seines Parteiflügels.
In ihrer Welt sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und Anklagen allesamt politisch motiviert, die Regierung und die staatlichen Institutionen werden als Waffe in einem Feldzug gegen alle Konservative eingesetzt, deren edler Streiter selbstredend Trump ist. Es gibt sogar einen entsprechend benannten Ausschuss im Repräsentantenhaus, der öffentliche Anhörungen dazu aufführt. Trumps Anwalt sagte nach der Anklage, das als "Waffe" genutzte Justizministerium wolle seinem Mandanten "maximalen politischen Schaden" zufügen.
Dabei war es Trump selbst, der sich während seiner Präsidentschaft immer wieder dafür gefeiert hatte, insbesondere die Justiz im Sinne der Konservativen zu beeinflussen. Er besetzte in seiner Amtszeit ein Viertel aller Bundesrichterposten sowie ein Drittel der Obersten Richterposten am Supreme Court mit konservativen Juristen, die seither höchst umstrittene Urteile sprechen. Das Justizministerium und dessen Ressortchef William Barr mussten sich ständigen Übergriffen aus dem Weißen Haus widersetzen, so gut sie konnten.
Nun, nach der Anklage in Miami, kündigte Trump an, es bei einem Wahlsieg Biden heimzahlen zu wollen und einen Sonderermittler gegen den Demokraten einzusetzen, "um den korruptesten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten, Joe Biden, zu verfolgen, und die ganze Biden-Familie". Er werde "den tiefen Staat völlig zerstören", tönte er.
Trump will Justizministerium gefügig machen
Der Konflikt liegt tatsächlich ein Stück weit im System, da der Minister zugleich Oberster Staatsanwalt ist. Der soll jedoch mit seinen untergeordneten Ermittlern, wozu derzeit auch der Sonderermittler in Sachen Trump gehört, unabhängig agieren. Die Republikaner behaupten, dies sei unter Biden nicht der Fall. Vieles klingt nach Spielplatz, Fingerzeigen und einer Diskussion, wer mit dem Schmutz schmeißen eigentlich angefangen hat.
Trump will laut "New York Times" im Falle einer erneuten Präsidentschaft einen historischen Paradigmenwechsel durchsetzen. Er will das Justizministerium zu einem weisungsgebundenen Ressort wie jedes andere machen. Heißt: Das Weiße Haus dürfte Ermittlungen anordnen. Ohnehin ist für Trump die Präsidentschaft eine Allzweckwaffe nach seinen Vorstellungen.
Am Ende seiner ersten Amtszeit, wenige Tage vor dem Aufstand des 6. Januar 2021, hatte Trump laut "New York Times" seinen Minister ersetzen wollen. Der designierte Nachfolger sollte ihm demnach dabei helfen, das Wahlergebnis in Georgia mit einem Trick in seinem Sinne abzuändern, womit Trump als wiedergewählt gegolten hätte. Jedoch habe deshalb die gesamte Führungsebene des Justizressorts mit Rücktritt gedroht - woraufhin Trump von der Kabinettsumbildung absah. Die Unabhängigkeit des Justizministeriums brachte Trump also dahin, wo er heute ist.
Ob der Ex-Präsident die angekündigte Rache für seine Wahlniederlage nach seinen Vorstellungen wird umsetzen können, ist auch davon abhängig, wie die Prozesse gegen ihn laufen wird. Auch davon, wann welche Anklagen hinzukommen, insbesondere die zu seiner Rolle beim Aufstand des 6. Januar - ebenfalls aus dem Justizministerium - sowie des versuchten Wahlbetrugs im Bundesstaat Georgia.
Wird ihm irgendetwas davon das politische Genick brechen? Trump ist offenbar sicher, dass dies nicht geschieht. Dass ihm die Aufmerksamkeit bislang nutzt, zeigen Umfragen unter Republikanern ebenso wie die Millionen Dollar, die wegen der Anklage im Fall der Geheimdokumente in wenigen Tagen auf seine Konten flossen. Mit einem Deal im Hinterzimmer mit Quasi-Schuldeingeständnis wäre dies nicht geschehen. Und im Wahlkampf um die Präsidentschaft werden sich die Emotionen noch intensivieren.
Quelle: ntv.de