US-Vize ist die Ukraine egalTrump führt das Schwert, aber Vance ruft Attacke

Die offene Konfrontation der Verbündeten im Weißen Haus hatte einen Wortführer: Vizepräsident Vance. Mit seinem Angriff auf Ukraines Präsident Selenskyj missachtet er 80 Jahre außenpolitischer Linie. Trump stimmt schnell mit ein.
Vizepräsidenten der USA sind Gehilfen. Häufig sind es Ja-Sager, die mit Aufgaben betraut werden, für die der Staatschef selbst keine Zeit hat, die protokollarische Termine wahrnehmen, andere Staaten besuchen, die nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stehen, und keinen Zentimeter von der Leitlinie ihres Chefs abweichen. J.D. Vance ist anders. J.D. Vance wetzt Donald Trumps Schwert und ruft zum Angriff.
So wie am Freitag im Oval Office, als er entschied, Wolodymyr Selenskyj vorzuführen, und Ukraines Präsident mit Trump wie einen ungezogenen Jungen demütigte. Der Dankbarkeit für die USA einforderte, obwohl Selenskyj eben dies seit Jahren immer wieder sagt und auch bei der Pressekonferenz mehrfach getan hatte. Der ihn "respektlos" nannte, weil dieser nicht stehen lassen wollte, dass Wladimir Putin sich plötzlich an sein Wort oder Abkommen hält, nur weil Trump im Weißen Haus sitzt. Der ihm "Propagandatouren" durchs Kriegsgebiet für ausländische Politiker vorwarf.
"Von welcher Art Diplomatie sprechen Sie, J.D.?", hatte Selenskyj provokant gefragt, nachdem er die Vertragsbrüche Putins mit der Ukraine aufgezählt hatte, die in Trumps erster Präsidentschaft wie in der Barack Obamas und Joe Bidens geschehen seien: "Was meinen Sie?" Vance griff an. "Ich spreche von der Art Diplomatie, die die Zerstörung Ihres Landes beenden wird", antwortete er. "Herr Präsident, bei allem Respekt, ich finde es respektlos, dass Sie ins Oval Office kommen, um zu versuchen, dies vor den amerikanischen Medien zu verhandeln."
Trump stutzte kurz, hob den Zeigefinger und machte Selenskyj ebenfalls nieder, warf ihm vor, den Dritten Weltkrieg zu provozieren. Jegliche Versuche des ukrainischen Staatschefs, die Situation wieder zu beruhigen, waren vergebens. Selenskyj hatte ihm praktisch abgesprochen, worauf der Republikaner immer wieder verweist: Er könne kraft seiner Dealmaker-Fähigkeiten und Beziehungen zu Diktatoren internationale Krisen lösen, die zuweilen eher geopolitische gordische Knoten sind.
"Europäer subventionieren, damit sie nichts tun"
Vance ist die Ukraine herzlich egal. Das war bereits bekannt, bevor er das Treffen im Oval Office in eine ganz andere Richtung lenkte. Als er 2022 mit Trumps Unterstützung für den US-Senat kandidierte, sagte Vance, er halte es für lächerlich, dass sich die USA "auf die Grenze zwischen der Ukraine und Russland" konzentrierten. "Es ist mir eigentlich egal, was mit der Ukraine passiert, so oder so." Nach dem Beginn von Russlands Überfall meinte er, es gebe viele Demokratien auf der Welt und der Konflikt gehe die USA nichts an. Vergangenes Jahr sagte Vance, der Krieg führe nirgendwo hin, "was letztlich gut für unser Land wäre". Es laufe darauf hinaus, "die Europäer zu subventionieren, damit sie nichts tun".
Vance könnte eine Möglichkeit gesehen haben, vor den Augen aller die Überzeugung Trumps zu stärken, der Krieg in der Ukraine müsse enden, um Geschäfte mit Russland zu machen. In den vergangenen Wochen beschimpfte Trump mehrfach Selenskyj, er habe die USA bequatscht, Hunderte Milliarden Dollar für einen Krieg auszugeben, der nicht zu gewinnen sei, bezeichnete ihn fälschlicherweise als "Diktator", und manches mehr. Ukraines Staatschef wird so öffentlich diskreditiert, die US-Regierung kann auf dieser Basis jegliche Entscheidung rechtfertigen - selbst wenn es das Ende der Unterstützung bedeuten sollte.
Vance übernahm am Freitag nicht das erste Mal die aggressive Rolle. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hatte er bereits den anderen europäischen Verbündeten zwischen den Zeilen mit einem Ende der Freundschaft gedroht, sollten sie Extremisten in ihren Ländern nicht machen lassen, was sie wollen. In Washington hatten Trump und Vance anscheinend gewollt, dass Selenskyj "als Bittsteller" komme, sagte Christopher McKnight Nichols, Geschichtsprofessor an der Ohio State University. Doch dies sei nicht die Art, wie die USA ihre Verbündeten üblicherweise begrüßten.
Alle Hilfen auf der Kippe
Doch Selenskyj trat nicht als Bittsteller auf. Er ließ sich dazu verleiten, öffentlich anzusprechen, was in den vergangenen zehn Jahren zwischen seinem Land und Russland vorgegangen war und was die Ukrainer benötigen, wenn sie für die Europäer und die USA als Vorhut demokratische Werte mit ihrem Leben verteidigen sollen. Manche sagen, der Eklat war geplant. "Seit München drehten sich die internen Gespräche um die Vorbereitung darauf, die Ukraine fallen zu lassen", wird Sam Greene, Professor für russische Politik am King's College London, vom "Guardian" zitiert: "Wenn ein echter Deal nicht zustande kommen würde, müsste jemand die Schuld dafür auf sich nehmen - und das wären wahrscheinlich die Ukrainer." Die US-Regierung dementiert ein solches Vorhaben.
Nach der Konfrontation im Oval Office, der ausgebliebenen Unterschrift Selenskyjs und dessen Abreise sprach die US-Regierung davon, sie erwäge, alle Militärhilfen an Kiew zu stoppen - also auch Munition, Fahrzeuge und Raketen, die schon finanziert sind und geliefert werden sollen. Es ist die Konsequenz von Vance' Angriff, ob vorher geplant oder aus einem Impuls heraus, weil er sich oder Trump angegriffen und bloßgestellt fühlte. Der Vizepräsident missachtete damit ein 80 Jahre altes Prinzip US-amerikanischer Außenpolitik: Die USA stellen sich öffentlich auf die Seite der Demokratien. Offensichtlich und fälschlicherweise ging Selenskyj davon aus, dass dies noch immer gilt.