US-Wahl 2024

Demokratie retten ohne Vorwahl Harris' fast sichere Nominierung bringt Trump auf die Palme

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Kamala Harris, am Montag nach Bidens Verzicht.

Kamala Harris, am Montag nach Bidens Verzicht.

(Foto: REUTERS)

Weniger als zwei Tage nach Joe Bidens Verzicht auf die US-Präsidentschaftskandidatur läuft alles auf Kamala Harris hinaus. Rivale Trump sieht in der schnellen Einigkeit der Demokraten "eine Gefahr für die Demokratie". Harris beschimpft er.

Sie ist die logische Kandidatin, aber keine von allen Seiten umjubelte. Vize Kamala Harris soll statt Präsident Joe Biden für die Demokraten eine weitere Präsidentschaft Donald Trumps verhindern. Sie ist nicht automatisch Kandidatin, nur weil sie Bidens Vize war, sondern muss die freigewordenen Delegierten von sich überzeugen, damit diese die Kalifornierin auch nominieren. In weniger als 36 Stunden nach Bidens Verzicht hat sie bereits eine Mehrheit hinter sich, melden US-Medien.

Das macht sie angreifbar vonseiten der Republikaner und Trump, aber auch von solchen in der eigenen Partei, die lieber einen offeneren Prozess oder gar eine Kampfabstimmung gesehen hätten. Denn dazu wird es beim Parteitag in Chicago nun nahezu sicher nicht kommen. Die Demokraten müssen einen Drahtseilakt vollführen, um nicht als Heuchler hingestellt zu werden. Und damit Harris nicht zu sehr in die Defensive gerät.

Einerseits möchte die Partei Einheit demonstrieren nach Bidens desaströsem TV-Duell und den öffentlichen Zerwürfnissen um dessen Kandidatur, die in seiner Unterstützung für Harris mündeten. Andererseits soll es aber auch nicht nach einer von oben verordneten Ernennung seiner Vizepräsidentin aussehen. Biden hatte eine monatelange Vorwahl an der Basis gewonnen. Harris nicht, auch wenn sie als seine Vertreterin mit dabei war. Trotzdem zog sie heute strahlend in Bidens Wahlkampfzentrale ein, und Biden schaltete sich telefonisch dazu, um seine Unterstützung zu versichern.

Um die frühere Staatsanwältin und Senatorin der Demokraten schart sich bereits eine überwältigende Mehrheit von Unterstützern, und zwar nicht irgendwer. In der Partei, die sich häufig als das letzte Bollwerk der Demokratie präsentiert, riecht es damit ein wenig nach Elitentum und fehlender Willensbildung. Der inzwischen unabhängige Kandidat Robert F. Kennedy beklagt schon länger, die Partei habe ihm keine Chance gegeben, sich um die Kandidatur zu bewerben.

Die Partei hatte nach Bidens Verzicht am Sonntag sogleich wissen lassen, es werde einen "geordneten und transparenten" Prozess bis zur Kandidatenkür geben. Schon am Montagabend informierte sie über den Plan. Rund zwei Wochen vor dem Parteitag soll es bereits am 7. August eine virtuelle Abstimmung der Delegierten geben und die Nominierung damit feststehen. Der Parteitag würde wie üblich zum Schaulaufen. Eine Kampfabstimmung, die Kritikern wohl den Boden unter den Füßen wegziehen würde, wäre damit vom Tisch. Am Mittwoch soll der Plan beschlossen werden.

"Dumm wie ein Stein"

Die Demokraten haben die Wahl zwischen Biden und Trump im November zur heroischen Verteidigungsschlacht gegen Möchtegern-Autokraten gemacht. Die Republikaner nutzen das jetzt gegen ihre politischen Gegner. "Die Demokraten haben Biden das Rennen gestohlen, nachdem er es in den Vorwahlen gewonnen hatte", polterte Trump bei "Truth Social": "Diese Leute sind die wahre Gefahr für die Demokratie!" Harris beschimpfte der Kandidat der Republikaner als "gescheitert und unfähig" sowie "dumm wie ein Stein". Harris darf sich geadelt fühlen: Konkurrenten, die Trump besonders gefährlich werden können, beschimpft er auch besonders intensiv.

Inhaltlich ist Harris zwar keine sichere Bank für die Demokraten, aber für Trump unberechenbarer als ein altersschwacher Biden. Als Vize sollte sie die Immigration an der Südgrenze unter Kontrolle bekommen, aber am Ende half nur ein Dekret aus dem Weißen Haus, um die Rekordzahlen an Grenzübertritten zu drücken. Dabei hieß es immer, sie solle die Migrationsursachen in Süd- und insbesondere in Zentralamerika bekämpfen. Das gelang nicht. Harris ist als amtierende Vize auch leicht angreifbar, was die Inflation angeht; das, was die Republikaner eine "Erschwinglichkeitskrise" nennen. Die Konservativen versprechen zugleich Steuersenkungen und protektionistische Handelspolitik, um Verbraucherpreise zu senken.

Beim Thema Abtreibungen ist Harris als Frau wesentlich glaubwürdiger. Ein Delegierter der Demokraten twitterte bereits am Sonntag ein Video von ihr, in dem sie Brett Kavanaugh vor dessen Bestätigung als Supreme-Court-Richter mit einem sarkastischen Lächeln fragt: "Fallen Ihnen Gesetze ein, die der Regierung die Macht geben, Entscheidungen über den männlichen Körper zu treffen?" Der konservative Kavanaugh votierte später für die Abschaffung des allgemeinen Abtreibungsrechts. Der Videoschnipsel wurde innerhalb eines Tages mehr als 7 Millionen Mal angesehen. Abtreibungen sind vielleicht das wichtigste Thema, um Demokraten zu motivieren.

Harris ist zwar 59 Jahre alt und damit auch schon älter als viele andere mögliche Bewerber, aber immerhin 19 Jahre jünger als Trump. Umfragen aus Kalifornien deuten darauf hin, dass Harris vorwiegend bei jüngeren und unabhängigen Wählern in umkämpften Wahlkreisen mehr punkten kann als Biden. So könnte sich die Hoffnung erfüllen, dass die Vizepräsidentin Wähler motivieren kann, die sich für Biden nicht mehr begeistern konnten und im November womöglich zu Hause geblieben wären.

Spendenrekord für Harris

Dem Plan der Partei zufolge können auch andere Bewerber bei der virtuellen Abstimmung mitmachen, falls sie eine Mindestzahl an Delegierten vorweisen können. Harris hat bereits jetzt eine Mehrheit, es wäre fast ein politisches Himmelfahrtskommando, sich jetzt gegen sie zu stellen. Wenn es jemand bei den Demokraten ernst damit gemeint hätte, Harris herausfordern zu wollen, hätte er gut vorbereitet sein und schon am Sonntag die Beine in die Hand nehmen müssen: Ein eigenes Team aus dem Boden stampfen, allerorten Spenden eintreiben und zudem die rund 4000 Delegierten bearbeiten. All das kostet viel Geld. Harris hat Zugriff auf Bidens Wahlkampfkasse, sein Team arbeitet für sie.

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Nancy Pelosi, die Grande Dame der Demokraten, hatte zwar für einen offenen Prozess plädiert, sich aber einen Tag nach Bidens Verzicht enthusiastisch auf Harris' Seite geschlagen. Auch die Parteichefs der Bundesstaaten haben sich hinter Harris gestellt, zudem mehrere bekannte Gesichter, denen Chancen oder Ambitionen aufs höchste Amt nachgesagt wurden: Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, Pennsylvanias Gouverneur Josh Shapiro, Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer. Sie und andere werden auch als mögliche Vizekandidaten gehandelt.

Prominent abwesend von der Liste der Unterstützer sind bislang Ex-Präsident Barack Obama sowie die Fraktionschefs der Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat. Sie ließen durchklingen, dass sie warten, bis ein Kandidat nominiert sein wird. Harris sammelte 81 Millionen Dollar (rund 74 Millionen Euro) Wahlkampfspenden von 888.000 Personen in den ersten 24 Stunden ein, teilte ihr Team mit, das ist historischer Rekord. 60 Prozent davon waren demnach neue Spender. Zum Vergleich: Trump hatte nach seiner Verurteilung im Schweigegeldprozess 53 Millionen Dollar erhalten. Harris' Nominierung mag also ein Drahtseilakt werden - aber den halten offenbar viele Wähler für keine so schlechte Idee.

Quelle: ntv.de

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