US-Wahl 2024

USA-Experte zu Biden-Nachfolge "Ein Superstar wie Oprah würde gegen Trump gewinnen"

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Biden unterstützt Harris' Nominierung.

Biden unterstützt Harris' Nominierung.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Joe Biden will, dass Kamala Harris um das Präsidentenamt kämpft. Aber es gibt auch andere fähige Leute in den Reihen der Demokraten. Hätten die vielleicht bessere Chancen, wenn man einen echten Vorwahlkampf zulässt? Der USA-Experte Simon Wendt erklärt, wo die Fallstricke liegen und wo die Chancen.

ntv.de: Innerhalb der Demokratischen Partei gibt es einige Stimmen, die sagen: Kamala Harris ist vielleicht nicht die beste Lösung, aber es gibt sonst keinen und es ist sowieso zu spät. Wäre in Wirklichkeit mehr Musik drin, wenn die Partei sich nur trauen würde, einen Mini-Wahlkampf noch zuzulassen?

Simon Wendt: Noch bevor Joe Biden gestern auf seine erneute Kandidatur verzichtet hat, gab es eine Reihe von Demokraten, die dafür plädiert haben, einen kurzen, knackigen Nominierungsprozess zu starten, indem man eine Art Mini-Primaries, also Mini-Vorwahlen veranstaltet, in denen sich die besten Köpfe der Demokraten präsentieren. Ein Ziel dieses Vorschlags war auch: Trump sollte die kostenlose Werbung in den Medien genommen werden. Im Fernsehen und in sozialen Medien wurde nur noch über Trump berichtet. Da könnte ein offener Prozess bei der Kandidatenwahl den Fokus auf die Demokraten lenken. Mittlerweile schlägt das Pendel aber tatsächlich in Richtung von Kamala Harris aus.

Simon Wendt ist Professor für amerikanische Geschichte.

Simon Wendt ist Professor für amerikanische Geschichte.

(Foto: privat )

Unter anderem könnte sie die 90 Millionen US-Dollar, die für Bidens Wahlkampf zur Verfügung stehen, einfach übernehmen. Ein anderer Kandidat könnte das nicht. Inhaltlich wird es schon schwieriger, sie einfach an die Spitze durchmarschieren zu lassen, oder?

Kamala Harris war ja schon Teil von Joe Bidens Kampagne. Die Wahlkampagne könnte darum schnell umschalten auf Harris. Es würde aber eine Art von Dynastie geschaffen, in der der Stab an die Nachfolgerin übergeben wird, aber viele andere Stimmen nicht zu Wort kommen. Kamala Harris kampflos die Kandidatur zu übergeben, das wäre nicht so, wie die Vorwahlen gedacht sind. Und so etwas bietet natürlich Angriffsfläche für die Republikaner. Auch führende Demokraten wie Nancy Pelosi plädieren darum für einen offenen, kompetitiven Prozess. Weil das Ergebnis und damit der Kandidat oder die Kandidatin danach einfach legitimer wirkt. Idealerweise bräuchten die Demokraten eine Art Gegenstück zu Trump, eine Prominente, einen Superstar. Oprah wäre super. Oprah würde gewinnen.

Oprah Winfrey, die TV-Moderatorin? Wäre sie eine ernsthafte Option?

Sie war in den letzten zehn Jahren immer wieder mal im Gespräch, nur halb ernst, aber trotzdem. Jemanden wie sie bräuchten die Demokraten.

Michelle Obama ist prominent - und auch jetzt im Gespräch.

In der afroamerikanischen Gemeinde der USA wäre der Effekt sicherlich sehr hoch, wenn sie kandidieren würde. Aber das reicht in der Regel nicht. Und viele Amerikaner blicken voller Hass auf Michelle Obama. Wegen ihrer Verbindung mit Ex-Präsident Barack Obama, wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft. Der Rassismus und die weiße Überheblichkeit sind extrem stark in den USA. Sexismus ebenso.

Wie sehr wären beide Faktoren auch für die Kandidatur von Kamala Harris ein Problem?

Ich befürchte, Rassismus und Sexismus würden eine große Rolle im Wahlkampf spielen. Erinnern wir uns an das Attentat gegen Donald Trump und die Frage, ob der Secret Service an der Stelle Fehler gemacht und den Anschlag mitzuverantworten hat. Viele Republikaner haben sofort darauf verwiesen, dass derzeit eine Frau den Secret Service führt. Gemeint war damit: Eine Frau dort an der Spitze, das muss der Grund dafür sein, dass das Attentat überhaupt möglich wurde.

Gibt es mit Blick auf Kamala Harris ähnliche Narrative?

Sie wird schon jetzt als die erste Diversity-Kandidatin der Demokraten beschimpft. Hier behaupten die Republikaner: Die Demokraten schaffen es nicht, eine kompetente Person als Kandidaten für das Weiße Haus aufzustellen, weil sie so auf dieser "Diversity-Schiene" sind, also unbedingt eine Frau und noch dazu eine Afroamerikanerin aufstellen wollen. Trumps Lager nutzt den Vorwurf, dass die Demokraten in der Diversity-Falle stecken würden. Das ist natürlich gefährlich für Harris' Kandidatur. Aber es ist nicht absehbar, wie stark sich diese Strategie auswirken würde. Vor allem auf die Frage, wie viele Menschen tatsächlich zur Wahl gehen werden. Denn das ist die entscheidende Frage, wie auch schon 2020 und 2016: Wie mobilisiert man Wählerinnen und Wähler, tatsächlich an die Urne zu gehen?

Wie sehr ist Trump da gerade im Vorteil?

Mit Blick auf Wählermobilisierung ist Trump nach dem Attentat deutlich stärker. Seine Anhänger denken ja inzwischen, "he is the chosen one", also ein von Gott auserwählter und geschützter Mensch. Für den muss man auf jeden Fall wählen gehen, um das Land zu retten. Dazu kommt, was wir nicht vergessen dürfen: Es geht vor allem um das Ergebnis in den Swing States. Zum Beispiel in Wisconsin. Dort hat Biden vor vier Jahren mit nur 20.000 Stimmen Vorsprung gewonnen. Es geht um Staaten wie Michigan, Pennsylvania, Virginia, Arizona, und da könnte ich mir für dieses Jahr vorstellen, dass in einigen Bundesstaaten 10.000 oder sogar nur 5000 Stimmen die Wahl entscheiden könnten. Wie kann man diese Leute dort erreichen?

Vielleicht mit einem demokratischen Gouverneur, möglichst aus einem dieser Staaten, der ins Rennen um das Weiße Haus gehen würde? Er oder sie könnte das Vertrauen der Menschen in den anderen Swing States vielleicht leichter gewinnen als Kamala Harris aus der Washingtoner Politblase.

Das könnte grundsätzlich ein Vorteil sein, ja. Und alle Namen, die da bislang kursieren, sind fähige, erfahrene Politikerinnen und Politiker, die auch im Fernsehen gut rüberkommen. Gavin Newsom, Gretchen Whitmer, Josh Shapiro - sie alle würden im Weißen Haus einen guten Job machen. Entscheidend ist aber, was die Republikaner vorher im Wahlkampf mit ihnen machen könnten. Der Gouverneur Gavin Newsom kommt aus Kalifornien, einem Bundesstaat, der als extrem links gilt. Kalifornien ist in den Augen vieler die Hochburg von Diversity, von Umweltschutz, das bietet Angriffsfläche für Trumps Wahlkampf.

Dann vielleicht besser Gretchen Whitmer aus Michigan?

Auch sie wird in der amerikanischen Öffentlichkeit als sehr linke Politikerin wahrgenommen. Als weiße Frau spricht sie potenzielle schwarze Wählerinnen nicht so an. Ein guter Kompromisskandidat wäre Josh Shapiro, der Gouverneur von Pennsylvania. Er kommt aus einem Bundesstaat, den die Demokraten auf jeden Fall gewinnen müssen, hat 2022 gegen seinen republikanischen Kontrahenten haushoch gewonnen, und hat gute Umfragewerte in Pennsylvania. Das Problem bei jemandem wie Josh Shapiro als Kandidaten wäre der Faktor Zeit. Um Shapiro USA-weit bekannt zu machen und klarzumachen, dass er der bessere Präsident wäre, ist Zeit und Aufwand notwendig. Sie müssen sich vorstellen: Wenn normalerweise ein US-Politiker Ambitionen hat, Präsident zu werden, schreibt er zwei, drei Jahre vorher erstmal eine Autobiografie. Anschließend versucht er dann langsam, sich ins Spiel zu bringen.

Um so bekannt zu werden wie J.D. Vance, Trumps Vizekandidat?

Er hat 2016 ein sehr erfolgreiches Buch geschrieben, "Hillbilly Elegy". Dadurch ist er schon sehr bekannt und eine Art Held für die Republikaner, "unser Obama", wie ihn mal ein republikanischer Kommentator bezeichnet hat. Jemand Prominentes wie Vance haben die Demokraten derzeit nicht und den können sie so schnell auch nicht mehr aufbauen. Die Problematik, dass für den Wahlkampf einem der Gouverneure sehr viel weniger Geld zur Verfügung stehen würde als Harris, habe ich ja schon erwähnt. Es würde schwierig, Shapiro mit begrenzten finanziellen Mitteln in kurzer Zeit ausreichend zu etablieren.

Um wirklich mit Trump in Konkurrenz treten zu können?

Einen solchen Trump-Konkurrenten brauchen die Demokraten. Und sie müssen es schaffen, den Wahlkampf wieder in die Richtung zu drehen, die eigentlich geplant war: eine Abstimmung über Donald Trump. Es wurde dann plötzlich zu einer Abstimmung über das Alter von Joe Biden. Die Frage ist: Gelingt es den Demokraten, das wieder zurückzudrehen?

Können sie das nur an der Person Trump festmachen?

Das geht auch um die politischen Entscheidungen, die er auf den Weg gebracht hat. Zum Beispiel beim Thema Abtreibung. Das Grundrecht auf Abtreibung gilt in den USA nicht mehr, jeder Staat macht seine eigenen Gesetze dazu. In vielen von den Republikanern regierten Bundesstaaten ist Abtreibung fast komplett verboten. Selbst die Abtreibungspille soll in manchen Staaten abgeschafft werden.

Kann man mit dem Thema im Wahlkampf punkten?

Das kann man, denn eine Mehrheit der Amerikaner befürwortet nach wie vor das Recht auf Abtreibung. Wenn das Recht auf Abtreibung in den USA in Gefahr ist, das kann durchaus Leute mobilisieren, zur Wahl zu gehen. Kamala Harris hat in ihrem bisherigen Wahlkampf dieses Thema stark gemacht. Die Frage wäre: Reicht das in Wisconsin? In Michigan? In Georgia? Das ist schwer zu beantworten. Aber Harris als bekannteste Demokratin im Ringen um die Macht im Weißen Haus, mit Shapiro, dem Gouverneur aus Pennsylvania, als möglichem Vizepräsidenten - das könnte funktionieren.

Könnte es für die möglichen demokratischen Kandidaten von Vorteil sein, dass sie deutlich jünger sind als Trump? Könnte man dessen Alter nun ins Visier nehmen, so wie das vorher bei Biden im Fokus war?

Im Falle von Trump würde ich sagen: Eher nein. Das derzeit bekannteste Bild von Trump zeigt ihn mit erhobener Faust, die Worte "Fight, fight, fight!" sprechend.

Das war unmittelbar nach dem Attentat.

Genau. Trump hat dieses Gespür, er hat gewusst, dieser Moment ist wichtig. Also hat er seinen Secret Service zurückgehalten, der ihn schon ins Auto bringen wollte. Trump wollte nochmal kurz die Faust heben. Dieses Bild reicht aus, um sämtliche Skeptiker mundtot zu machen. Trump wird als Kämpfer, als eine starke Führungspersönlichkeit wahrgenommen. Für einen Fokus auf sein hohes Alter fehlt den Demokraten schlicht das Argument.

Mit Simon Wendt sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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