Reise in Blue-Wall-Bundesstaaten Harris buhlt um Wählerschaft mit polnischen Wurzeln
20.09.2024, 07:52 Uhr Artikel anhören
Viele polnischstämmige Amerikaner sorgen sich, dass Putin nach einer ukrainischen Niederlage Polen ins Visier nehmen könnte.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Amerikaner mit polnischen Wurzeln stellen keine große Bevölkerungsgruppe dar, jedoch leben viele von ihnen in wahlentscheidenden Bundesstaaten. Im Kampf um den Einzug ins Weiße Haus will Kamala Harris diese Stimmen für sich gewinnen - und setzt dabei auf Trumps Schlingerkurs im Ukraine-Krieg.
Die US-Demokraten werben verstärkt um Wahlstimmen polnischstämmiger Amerikaner. Denn angesichts der extrem engen Rennen in wahrscheinlich wahlentscheidenden Bundesstaaten könnte Unterstützung aus dieser Gemeinschaft ihre Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris am Ende über die Ziellinie bringen - oder umgekehrt ihren Kontrahenten Donald Trump.
Harris hofft, Kapital aus der historischen Feindseligkeit der polnischen Amerikaner gegenüber Russland und aus dem Zögern bei der Ukraine-Unterstützung zu schlagen, das Trump in der jüngsten TV-Debatte mit Harris an den Tag legte. Darauf aufbauend hat das Team der Vizepräsidentin am Mittwoch eine Telekonferenz mit polnisch-amerikanischen Unterstützern organisiert, um lokale Netzwerke zu eigenen Wahlkampf-Veranstaltungen für Harris zu ermuntern.
Harris bereist Blue-Wall-Staaten
Amerikaner mit polnischen Wurzeln stellen zwar keine besonders große Bevölkerungsgruppe dar, aber viele von ihnen leben in den sogenannten Blue-Wall-Bundesstaaten, die am 5. November sowohl für Harris als auch Trump entscheidend für den Sieg sein werden. Nach Schätzungen gibt es in Michigan 784.000 polnische Amerikaner, in Pennsylvania 758.000 und in Wisconsin 481 000. Besuche in allen drei Staaten standen diese Woche auf Harris' Reisekalender.
"Wir haben es mit einer Wahl zu tun, bei der ein Wechsel von ein paar Tausend Wählern in jedwedem dieser Staaten den Ausschlag geben kann", sagt Tom Malinowski, gebürtiger Pole und ehemaliger demokratischer US-Kongressabgeordneter. In den vergangenen Jahren sind polnisch-amerikanische Wähler bei Präsidentschaftswahlen zwischen Demokraten und Republikanern hin- und her gependelt. 2016 unterstützten sie mehrheitlich Trump, 2020 Joe Biden.
Filip Jotevski, der im Harris-Team für das Networking mit Diaspora- und ethnischen Gemeinschaften zuständig ist, sagte in der jüngsten Telefonkonferenz, dass Trump bei einer Rückkehr an die Macht "die Ukraine ausverkaufen" werde, nachdem er Jahre damit verbracht habe, sich beim russischen Präsidenten Wladimir Putin "einzuschmeicheln".
Trump weicht entscheidenden Fragen aus
Die Gemeinschaft der polnischen Amerikaner war während der Fernsehdebatte zwischen Harris und Trump am 10. September in Philadelphia ins Scheinwerferlicht geraten, als Trump zwei Mal der Frage auswich, ob er einen Sieg der Ukraine im Krieg gegen Russland wolle. "Handelt einen Deal aus", sagte der Republikaner. "Denn wir müssen der Zerstörung all dieser menschlichen Leben ein Ende setzen." Harris pfefferte zurück, dass "Putin in Kiew sitzen würde, mit seinen Augen auf den Rest von Europa" gerichtet, wenn Trump zum Zeitpunkt der russischen Ukraine-Invasion Präsident gewesen wäre. "Warum sagen Sie nicht den 800.000 polnischen Amerikanern hier in Pennsylvania, wie schnell Sie aufgeben würden", fügte sie hinzu.
Das kam offenbar bei vielen gut an. "Sie wusste, wovon sie geredet hat", sagte Tony Pol, ein 67-jähriger ehemaliger Feuerwehrchef aus Erie (Pennsylvania), der 25 Jahre lang geholfen hat, eine polnisch-amerikanische Bruderschaftsorganisation zu betreiben. "Ich glaube, dass jeder die Sorge hat - wenn die Ukraine untergeht, dann ist Polen als nächstes dran (...)."
Gosia Dodi, eine gebürtige Polin und jetzige US-Staatsbürgerin in Michigan, stimmt Harris "absolut darin zu", dass Russland nach einer ukrainischen Niederlage Polen ins Visier nehmen könnte. Die 61-Jährige nennt die Trump von Kritikern angelasteten Sympathien für Russland "gefährlich für Polen". Sie wolle auch, dass der Krieg aufhöre, "aber nicht auf die Weise, wie er es sagt", sagt Dodi.
Viele polnische Amerikaner eher konservativ
Polen verbrachte nach dem Zweiten Weltkrieg Jahrzehnte als ein Satellitenstaat der Sowjetunion. Eine Revolution beendete 1989 die kommunistische Herrschaft und ebnete den Weg des Landes zu einer modernen Mehrparteien-Demokratie. 1999 wurde Polen Mitglied der NATO, und wie Timothy L. Kuzma, ein polnischer Amerikaner in Pittsburgh (Pennsylvania) sagt, wollen die Wähler seiner Gemeinschaft jemanden im Weißen Haus, der für starke transatlantische Verbindungen ist. "Beide Kandidaten ...müssen ihre Unterstützung für Polen, die Ukraine, die NATO und insgesamt die Sicherheit Osteuropas - ganz Osteuropas - versprechen", findet Kuzma, der seinerseits eine Bruderschaft polnischer Amerikaner leitet.
Trump hat in der Vergangenheit angedeutet, dass die USA unter seiner Führung aus der NATO aussteigen könnten, wenn die anderen Mitgliedsstaaten nicht ihre eigenen Verteidigungsausgaben erhöhten und damit die Lasten für Washington verringerten. Täten sie das nicht, warnte er, würden die USA ihren Bündnisverpflichtungen nicht länger nachkommen und "sie (Russland) ermuntern zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen".
Der heute 53-jährige Pete Alibali war 16, als seine Familie aus Polen in die USA auswanderte. Selbst seit jeher ein Demokrat, räumt er ein, dass viele polnische Amerikaner konservativ seien - damit groß geworden, polnische Zeitungen zu lesen, in Unternehmen in polnischem Besitz zu arbeiten, polnisches Radio zu hören und in ihre katholische Nachbarschaftskirche zu gehen. Seinen Onkel in Chicago beschreibt er als einen "sehr fanatischen" Trump-Unterstützer. "Trump hat meine Familie gespalten", sagt er. Auch John Laka aus Appleton (Wisconsin) ist für Trump, er glaubt, dass er außenpolitisch insgesamt stärker wäre als Harris.
Quelle: ntv.de, lno/AP