Der Kriegstag im Überblick Ukraine will verhandeln, mit Putins Nachfolger – Cherson in der Hand von Plünderern
07.11.2022, 20:51 Uhr
Kiew will reden, aber nicht mehr mit ihm: Der russische Präsident Putin am Montag vor einem Meeting.
(Foto: via REUTERS)
Auf Empfehlung der USA zeigt sich die ukrainische Regierung offen für Verhandlungen mit Russland, allerdings nicht mit dem derzeitigen Präsidenten. In Cherson gibt es kein Wasser und keinen Strom, dafür sollen Plünderer die Stadt heimsuchen. Der Kreml schweigt zu einem Bericht, dass zwischen Moskau und Washington geheime Atomgespräche geführt werden. Der 257. Kriegstag im Überblick.
Kiew: "Wir verhandeln mit dem nächsten Staatschef"
Die Ukraine ist nach den Worten von Präsidentenberater Mychajlo Podoljak zu Verhandlungen mit Russland bereit - aber nur mit dem künftigen Nachfolger von Präsident Wladimir Putin. "Die Ukraine hat sich nie geweigert, zu verhandeln", schrieb er auf Twitter. "Unsere Verhandlungsposition ist bekannt und offen." Russland solle zunächst seine Truppen aus der Ukraine abziehen. "Ist Putin bereit? Offensichtlich nicht. Deshalb sind wir konstruktiv in unserer Einschätzung: Wir werden mit dem nächsten Staatschef sprechen."
Die Äußerungen von Podoljak folgten auf US-Medienberichte, wonach die Regierung von US-Präsident Joe Biden die ukrainische Führung privat ermutigt haben soll, ihre Bereitschaft zu Verhandlungen mit Moskau zu signalisieren. Der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan soll zudem geheime Gespräche mit hochrangigen russischen Vertretern geführt haben - in der Hoffnung, das Risiko zu verringern, dass der Krieg in der Ukraine zu einem Atomkonflikt überschwappt oder eskaliert, wie das "Wall Street Journal" berichtete.
"Cherson wird geplündert"
Die russisch besetzte Stadt Cherson blieb auch an diesem Montag im Fokus des Kriegsgeschehens. Präsidentenberater Podoljak warf den russischen Truppen vor, Stadtbewohner gezwungen zu haben, ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen. Und jetzt würden sie diese plündern: "Raub an denen, die sie 'beschützen' wollten - die beste Illustration der 'russischen Welt'."
Das ukrainische Militär erklärte zudem, russische Soldaten würden als Zivilisten verkleidet Wohnhäuser besetzen, um sich besser für Straßenkämpfe in Stellung zu bringen. Russische Journalisten wiederum würden die Inszenierung von Videos vorbereiten, mit denen fälschlicherweise belegt werden soll, dass die ukrainische Soldaten Zivilisten Schaden zufüge. Russland äußerte sich zu den Vorwürfen zunächst nicht. Cherson liegt im Süden der Ukraine. Es ist die einzige Regionalhauptstadt, die Russland seit Beginn seiner Invasion am 24. Februar erobern konnte. Vor dem Krieg lebten dort etwa 300.000 Menschen. In den vergangenen Tagen ordnete Russland Evakuierungen an, angeblich um die Zivilbevölkerung vor einer bevorstehenden Offensive der Ukraine zur Rückeroberung der Stadt in Sicherheit zu bringen.
Seit 48 Stunden ohne Strom und Wasser
In den vergangenen 48 Stunden lag die Stadt nach Angaben beider Kriegsparteien im Dunkeln, nachdem die Strom- und Wasserversorgung für die umliegende Gegend gekappt worden sei. Die von Russland eingesetzte Verwaltung beschuldigte die Ukraine der Sabotage. Ukrainische Behördenvertreter warfen dagegen Russland vor, Stromkabel demontiert zu haben. Elektrizität werde es vermutlich erst wieder geben, wenn das Gebiet wieder unter Kontrolle der Ukraine stehe. Die Lage in der Stadt konnte zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
Die Rückeroberung Chersons ist eines der Hauptziele der ukrainischen Gegenoffensive, die im Oktober begann. In den vergangenen Tagen war von ukrainischer Seite zu hören, dass mit einer erbitterten Schlacht zu rechnen sei. Russland hat Tausende Soldaten zur Verstärkung nach Cherson geschickt. In den vergangenen Tagen gab es aber auch Andeutungen, dass sich die russischen Truppen zurückziehen könnten.
Putin: "50.000 Rekruten an der Front"
Russland musste in den vergangenen Wochen mehrere schwere Rückschläge einstecken. Präsident Wladimir Putin reagierte mit der Einberufung Hunderttausender Reservisten und der Annexion besetzter ukrainischer Landesteile. 50.000 bei der Teilmobilmachung eingezogene Russen seien inzwischen in der Ukraine im Kampfeinsatz, teilte Putin am Mittag mit.
Flugabwehr aus Norwegen, Spanien und den USA
Die Ukraine verdankt einige ihrer jüngsten Erfolge auch den Waffenlieferungen aus dem Westen. Inzwischen erhielt sie eine erste Lieferung der Luftverteidigungssystems NASAMS und Aspide, wie Verteidigungsminister Olexij Resnikow mitteilte. Er dankte Norwegen, Spanien und den USA für die Lieferungen. "Diese Waffen werden die ukrainische Armee erheblich stärken und unseren Himmel sicherer machen."
Die ukrainische Regierung übernahm fünf als "strategisch wichtig" bezeichnete Unternehmen. Olexij Danilow, Sekretär des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, erklärte, dass die Aktien der Unternehmen auf Grundlage der Kriegsgesetze an das Verteidigungsministerium übergehen. Der ukrainische Verteidigungsminister Resnikow erläuterte, die Transaktion sei keine Verstaatlichung, es gehe um die Einziehung von Anteilsscheinen in Kriegszeiten.
Soldaten begehren gegen Offensive in Donezk auf
Angehörige der russischen 155. Marine-Infanteriebrigade der Pazifikflotte beschwerten sich in einem Brief an den Gouverneur der Region Primorje, Oleg Kozhemyako, darüber, dass das Vorgehen ihrer Befehlshaber zu schweren Verlusten geführt habe. Mehrere kremlnahe Quellen, darunter der "Kriegskorrespondent" des staatlichen Rundfunks, Alexander Sladkow, berichteten über die Beschwerde. Der Text des Briefes wird in vollem Wortlaut auf dem Telegram-Kanal Grey Zone veröffentlicht.
Dort schreiben die Soldaten, dass sie im Laufe von vier Tagen während einer "unverständlichen Offensive" im Dorf Pawliwka in der Nähe von Wuhledar in der Region Donezk "etwa 300 Männer verloren haben - tot, verwundet und vermisst". Sie hätten zudem die Hälfte der Fahrzeuge verloren. Laut den Verfassern des Schreibens planten ihre Befehlshaber - "General Muradow und sein Landsmann und Kumpel Achmedow" - die Offensive so, dass Erster "vor den Führern des Generalstabs eine Prämie verdienen" und Zweiter den Titel "Held Russlands" erhalten würde. "Sie kümmern sich um nichts, außer sich selbst zu schmücken. Sie nennen die Menschen Fleisch", heißt es in dem Brief.
"Opferzahlen übertrieben"
Die Marineinfanteristen bitten Kozhemyako um die Entsendung einer "unabhängigen" Kommission, die nicht mit dem Verteidigungsministerium verbunden ist, heißt es. Tatsächlich meldet das russische Verteidigungsministerium am 5. und 6. November "Niederlagen gegen Einheiten der ukrainischen Streitkräfte" in der Nähe des Pawliwka. Der Gouverneur wiegelte am Mittag ab. Die Opferzahlen seien stark übertrieben.
Geheimverhandlungen mit Washington?
Der Kreml lehnte eine Stellungnahme zu einem Bericht des "Wall Street Journal" ab, wonach der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, hinter den Kulissen Gespräche mit Spitzenvertretern Russlands über die Vermeidung einer weiteren Eskalation im Krieg mit der Ukraine geführt haben soll. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erläuterte lediglich, dass Russland zwar offen für Gespräche bleibe. Mit der ukrainischen Regierung könne aber nicht verhandelt werden, weil Kiew Gespräche mit Moskau ablehne.
Weitere Artikel zum Ukraine-Krieg:
- Abstruser Aufruf zu mehr Kindern: Russischer Skandal-Priester stirbt bei Beschuss in Cherson
- Putins "Patentochter" ist zurück: Xenia Sobtschaks EU-Exil dauert nur eine Woche
- Kaum Betrieb in St. Petersburg: Sanktionen führen zu Kahlschlag an russischen Häfen
Alle weiteren Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine können Sie in unserem Liveticker nachlesen.
Quelle: ntv.de, mau/rts