Der Kriegstag im Überblick Ukrainische Polizei kontrolliert Cherson - Getreideabkommen auf der Kippe
12.11.2022, 20:27 Uhr
Lehrer Jurii Newolchuk feiert die Befreiung seines Dorfes Blahodatne in der Region Cherson.
(Foto: REUTERS)
Die Ukraine bejubelt den russischen Abzug aus großen Teilen der Region Cherson. Laut britischer Einschätzung ist es eine der größten Niederlagen der Russen in diesem Krieg bislang. Und der Rückzug geht weiter. Offenbar will die Besatzungsverwaltung als nächstes die Stadt Nowa Kachowka nahe des gleichnamigen Staudamms räumen. Der 262. Kriegstag im Überblick.
Ukrainische Polizisten in Cherson
Die ukrainische Polizei ist nach dem Abzug russischer Truppen nach Cherson zurückgekehrt. Der Chef der Nationalen Polizei der Ukraine, Ihor Klymenko, sagte in einem Facebook-Beitrag, dass etwa 200 Beamte in der Stadt im Einsatz seien, Kontrollpunkte errichteten und Beweise für mögliche Kriegsverbrechen dokumentierten. Polizeiteams arbeiteten auch daran, Blindgänger zu identifizieren und zu neutralisieren. Auch Nationale Fernseh- und Radiosendungen werden nach ukrainischen Angaben in der befreiten Stadt wieder ausgestrahlt.
Russland hatte das Gebiet Cherson kurz nach Beginn seines Angriffskriegs Ende Februar weitgehend erobert. Im September ließ der Kreml Cherson - ebenso wie die ukrainischen Gebiete Saporischschja, Luhansk und Donezk - völkerrechtswidrig annektierten. Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven schließlich kündigte Moskau am vergangenen Mittwoch den Rückzug seiner Truppen aus allen Teilen Chersons an, die nordwestlich des Flusses Dnipro liegen - darunter fällt auch die Hauptstadt des Gebiets.
Besatzer wollen Staudamm-Stadt räumen
Nach dem Rückzug vom rechten Ufer des Flusses Dnipro haben die russischen Besatzer zudem auch eine Evakuierung der Staudamm-Stadt Nowa Kachowka auf der anderen Flussseite angekündigt. Die Verwaltung von Kachowka ziehe sich zusammen mit den Bürgern der Stadt an einen sicheren Ort zurück, teilte der örtliche Besatzungschef Pawel Filiptschuk nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass mit. Befürchtet wird, dass der Staudamm durch Beschuss zerstört und das Gebiet überflutet werden könnte. Russen und Ukrainer werfen sich seit Wochen gegenseitig vor, eine solche Provokation zu planen. Örtlichen Berichten zufolge waren die ukrainischen Einheiten bereits in die Kleinstadt Beryslaw unweit des Staudamms vorgerückt.
Russische Verwaltung verlegt
Die Besatzer haben ihr regionales Verwaltungszentrum inzwischen auf den noch von ihnen kontrollierten Teil des gleichnamigen Gebiets südlich des Dnipro verlegt. Ein großer Teil der russischen Administration sei bereits in die Stadt Henitschesk umgesiedelt worden, meldeten Russlands staatliche Nachrichtenagenturen.
Briten: Größte russische Niederlage des Krieges
Internationale Beobachter werten den Rückzug als eine der größten Niederlagen für die russische Armee in diesem Krieg. Die Rückeroberung der südukrainischen Großstadt Cherson durch ukrainische Truppen bedeutet nach britischer Einschätzung einen erheblichen Imageschaden für Russland. "Der Rückzug ist eine öffentliche Anerkennung der Schwierigkeiten, mit denen die russischen Streitkräfte am Westufer des Flusses Dnipro konfrontiert sind", kommentierte das Verteidigungsministerium in London.
Das britische Ministerium bezweifelte, dass Russland wie behauptet Truppen und Material in kürzester Zeit evakuiert hat. Es sei vielmehr wahrscheinlich, dass der Rückzug bereits am 22. Oktober eingeleitet worden sei, als die russische Besatzungsverwaltung die Zivilbevölkerung aufforderte, die Stadt zu verlassen. Vermutlich habe Russland seitdem militärische Ausrüstung sowie Streitkräfte in Zivilkleidung gemeinsam mit den offiziell 80 000 evakuierten Zivilisten aus der Stadt gebracht. Das britische Ministerium teilte weiter mit, dass Russland weiterhin versuche, Einheiten aus anderen Teilen des Gebiets Cherson über den Dnipro in Verteidigungsstellungen zu evakuieren.
Jubel in Cherson
In Cherson bejubelten Bewohner ihre Befreiung. Der Vizechef des ukrainischen Präsidialamts, Kyrylo Tymoshenko, zeigte bei Telegram Fotos aus der Stadt. Die Einwohner begrüßen die ukrainischen Truppen darauf freudig. Acht Monate lang hätten die Menschen darauf gewartet, schreibt Tymoshenko.
Kiew entscheidet laut USA allein über Verhandlungen
Die Ukraine soll nach Angaben von US-Außenminister Antony Blinken allein über Zeitpunkt und Gegenstand möglicher Verhandlungen mit Russland entscheiden. Blinken bekräftigte diese Position der USA nach Angaben des Außenministeriums bei einem Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba am Rande des Gipfels des südostasiatische Staatenbundes Asean in Kambodscha. Die sicherheitstechnische, humanitäre und wirtschaftliche Hilfe für die Ukraine werde "solange wie nötig" fortgesetzt, so Blinken.
Kuleba: "Hungerspiele" beenden
Kuleba forderte die südostasiatische Staatengemeinschaft auf, Russland zu einer Fortsetzung des in einer Woche auslaufenden Abkommens für den Getreidexport über das Schwarze Meer zu drängen. "Ich rufe alle Asean-Mitglieder auf, jede nur mögliche Maßnahme zu ergreifen, um Russland daran zu hindern, Hungerspiele mit der Welt zu spielen, sagte Kuleba vor Journalisten in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh. Das Abkommen zum Export von ukrainischem Getreide wurde im Juli unter der Vermittlung der UN und der Türkei geschlossen und läuft am 19. November aus.
UN stützen russische Forderung bei Exporten
Die Vereinten Nationen riefen dazu auf, Hindernisse für den Export von Düngemitteln aus Russland aus dem Weg zu räumen. "Die Welt kann es sich nicht leisten, dass die weltweiten Probleme bei der Verfügbarkeit von Düngemitteln zu einer weltweiten Nahrungsmittelknappheit führen", teilten die Vereinten Nationen nach Gesprächen mit dem russischen Vizeaußenminister Sergej Werschinin und seiner Delegation in Genf mit.
Das Getreide-Abkommen besteht aus zwei Vereinbarungen: neben den ukrainischen Exporten ging es auch darum, dass russische Lebens- und Düngemittel trotz westlicher Sanktionen exportiert werden können. Das stellte sich aber als schwierig heraus: Zwar zielen die Sanktionen nicht direkt auf diese Exporte, ihre Existenz macht es russischen Akteuren aber schwer, europäische Häfen anzulaufen, Zahlungen abzuwickeln und Versicherungen für ihre Schiffe zu bekommen. Konkret forderte Werschinin, die staatliche russische Rosselchos-Bank müsse von den westlichen Sanktionen ausgenommen und wieder an das internationale Zahlungssystem Swift angeschlossen werden.
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Quelle: ntv.de, mbo/dpa/rts