Politik

Angst vor zweitem 2015 Union reagiert nervös auf Grenz-Ansturm

An dem türkisch-griechischen Grenzübergang Pazarkule sind am Sonntag tausende weitere Flüchtlinge mit dem Ziel EU eingetroffen.

An dem türkisch-griechischen Grenzübergang Pazarkule sind am Sonntag tausende weitere Flüchtlinge mit dem Ziel EU eingetroffen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Seitdem Ankara die türkischen Grenzen für Flüchtlinge geöffnet hat, wächst in Deutschland die Angst vor einer neuen Flüchtlingskrise. Während die Grünen bereits eine Kontingentlösung vorschlagen, fordern Unions-Politiker, "ein zweites 2015 darf es nicht geben".

Angesichts des neuen Flüchtlingsdramas in der Türkei und in Syrien hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer eine entschlossenere Politik der EU sowie mehr Druck auf Syrien und seine Schutzmacht Russland gefordert. Man müsse "ehrlich zugeben, dass wir als Europäer bisher noch zu wenig getan haben", erklärte Kramp-Karrenbauer. "Die EU und die USA sollten jetzt gemeinsam den Druck auf Assad und Putin erhöhen, um einen Weg für politische Gespräche zur Beendigung des furchtbaren Krieges in Syrien freizumachen."

Mit Blick auf Deutschland sagte Unionsfraktionsvize Thorsten Frei: "Eine Situation wie im Herbst 2015 darf sich nicht wiederholen. Das war unser Versprechen an die deutsche Bevölkerung, und wir müssen alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um Wort zu halten." In letzter Konsequenz heiße das in aller Klarheit auch: lückenlose Kontrollen und Zurückweisungen an der deutschen Grenze, sagte der CDU-Politiker der "Stuttgarter Zeitung". Hessens Europaministerin Lucia Puttrich von der CDU mahnte angesichts der Lage an der griechisch-türkischen Grenze einen schnellen Frontex-Einsatz an, den Deutschland unterstützen sollte. "Wir haben ein immenses Interesse an einer Lösung, denn das Ziel vieler Flüchtlinge ist Deutschland", erklärte sie. "Ein zweites 2015 darf es nicht geben."

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, sagte, Erdogans Ankündigung zur Grenzöffnung habe zwar "die äußere Form einer Drohung". Sie sei aber dem Inhalt nach "ein Hilferuf" an Europa, sagte der CDU-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Erdogan sei mit dem Versuch gescheitert, in Syrien mit Russland zusammenzuarbeiten, und das signalisiere er dem Westen. Europa müsse der Türkei nun "zusätzliches Geld und zusätzliche Hilfe bereitstellen, um diese Menschen vorübergehend zu versorgen". Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU hingegen sagte den Zeitungen der "Augsburger Allgemeinen": "Klar ist, dass wir uns von der Türkei nicht erpressen lassen dürfen."

EU will Frontex verstärken

Tausende neue Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze setzen die Europäische Union weiter unter Zugzwang. Hunderte Migranten überwanden am Sonntag die Grenze nach Griechenland. Mehrere Tausend weitere fanden sich auf der türkischen Seite ein. Griechische Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, um Migranten, die teilweise Steine warfen, zurückzudrängen. Wegen der Lage an der Grenze berief der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis am Abend eine Sitzung des nationalen Sicherheitsrats ein.  Der verhängte für Sicherheitskräfte die höchste Alarmstufe. Diese gelte sowohl für das Militär als auch für die Polizei, teilte ein Regierungssprecher im Staatsfernsehen mit.

Zudem warf der Regierungssprecher Ankara vor, als eine Art "Schleuser" zu agieren und Migranten dazu zu bewegen, nach Griechenland zu kommen. Athen wolle außerdem zusätzliche Hilfe seitens der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und Finanzhilfe bei der EU beantragen, hieß es. Illegal Eingereiste sollten - wenn dies möglich sei - in ihre Herkunftsländer ausgewiesen werden, teilte der Regierungssprecher weiter mit. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte in Aussicht, Frontex-Einheiten der zu verstärken. Man werde die beiden EU-Mitglieder Griechenland und Bulgarien als Grenzstaaten zur Türkei unterstützen.

Die türkische Regierung hatte zuvor angekündigt, dass sie nun die Migranten auf ihrem Weg nach Europa nicht mehr aufhalten werde. "Wir werden die Türen in nächster Zeit nicht schließen", sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan in Istanbul. Bereits 18.000 hätten sein Land verlassen, es könnten noch mehr werden. "Die Europäische Union muss ihre Zusagen einhalten. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns um so viele Flüchtlinge zu kümmern, sie zu versorgen." Zudem kämen die EU-Gelder für die Türkei zur Unterstützung der Flüchtlinge zu langsam an.

Sieben Boote erreichen Lesbos

An der Grenze zu Griechenland kam es bereits am Samstag zu Zusammenstößen zwischen Migranten und der Polizei. Es habe 9600 erfolglose Versuche gegeben, die Grenze zu überwinden, sagte Griechenlands Vize-Verteidigungsminister Alkiviadis Stefanis dem griechischen Sender Skai TV. Er warf der Türkei vor, die Migranten zu unterstützen. "Es ist nicht nur so, dass sie sie nicht aufhalten. Sondern sie helfen ihnen sogar noch."

Am Sonntagmorgen erreichten nach Angaben der griechischen Polizei sieben Boote mit mehr als 300 Menschen Lesbos, vier Boote mit 150 Passagieren kamen nach Samos und zwei Boote mit 70 bis 80 Menschen nach Chios. Während in griechischen Regierungskreisen von rund 3000 Menschen die Rede war, die sich an der Grenze versammelten hätten, bezifferte die Internationale Organisation für Migration die Zahl auf 13.000. Auf dem Festland im Norden wateten mehrere Gruppen von Flüchtlingen durch einen Fluss auf die griechische Seite nach Kastanies. Reuters-Reporter sahen Gruppen von bis zu 30 Menschen, darunter auch eine afghanische Frau mit ihrem fünfjährigen Kind. Laut Sender Skai TV riefen griechische Behördenvertreter in der Grenzregion über Lautsprecher auf englisch und arabisch: "Die Grenzen sind geschlossen."

Grüne: Alle EU-Länder sollen Flüchtlinge aufnehmen

Grünen-Chefin Annalena Baerbock schlug eine Kontingentlösung zur Aufnahme von Migranten von der türkisch-griechischen Grenze vor, an der sich auch Deutschland beteiligen soll. Die EU sei in der Pflicht, Griechenland bei der Bewältigung der Lage mit allen Mitteln zu unterstützen - finanziell, personell, mit Hilfsgütern und Material, forderte Baerbock in der "Welt". "Wir können nicht weiter so tun, als ginge uns das nichts an."

Konkret gelte es, unter Hochdruck Erstaufnahmeeinrichtungen an den EU-Außengrenzen aufzubauen. "Dort müssen Flüchtlinge, die über die Grenze gelangen, schnell registriert, einer Sicherheitsprüfung und einem Datenabgleich unterzogen werden. Selbstverständlich müssen wir wissen, wer zu uns kommt", argumentierte Baerbock. "Dann sollten Kontingente von Flüchtlingen so schnell es geht in der EU verteilt werden, um dort die Asylverfahren durchzuführen." Wenn nicht alle mitmachten, müssten einige vorangehen und dafür finanzielle Hilfe erhalten. "Deutschland sollte vorausschauend seine eigenen Kapazitäten an Flüchtlingsunterkünften wieder aktivieren."

Auswärtiges Amt hält an Türkei-Abkommen fest

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise waren 2015 fast eine Million Flüchtlinge und Migranten von der Türkei aus auf griechische Inseln gelangt. Damals schloss die EU mit der Türkei ein Abkommen, um den Zustrom einzudämmen. In den vergangenen Jahren nahm die Türkei 3,7 Millionen Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg auf und hinderte sie an der Weiterreise. Im Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, die Bundesregierung gehe davon aus und erwarte, dass das EU-Türkei-Abkommen eingehalten werde. Sie steht dazu mit allen Beteiligten im Kontakt.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland argumentierte: "Das zynische Erpressungsmanöver des türkischen Staatschefs Erdogan bestätigt alle unsere Warnungen. Der sogenannte "Türkei-Deal" der Bundeskanzlerin ist nicht nur tot, er war von Anfang an ein verhängnisvoller politischer Fehler." Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssten ihre Grenzen daher selbst schützen und Griechenland "jede mögliche Unterstützung bei der Zurückweisung und Rückführung von Grenzverletzern und illegalen Migranten zukommen lassen". Deutschland solle sich zudem auf eine Schließung seiner Grenzen vorbereiten.

Quelle: ntv.de, mau/dpa/rts

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