Stammesälteste vermittelten Waffenruhe in Westafghanistan ausgerufen
15.07.2021, 21:03 Uhr
Die afghanischen Sicherheitskräfte konzentrierten sich zuletzt auf die Verteidigung größerer Städte und wichtiger Straßenverbindungen.
(Foto: picture alliance / Xinhua News Agency)
Die Offensive der Taliban in Afghanistan schreitet mit erschreckendem Tempo voran, afghanischen Sicherheitskräften bleibt oft nur der Rückzug. Nun wird in der Provinz Badghis im Westen des Landes eine Waffenruhe ausgehandelt. Dort rückten die Islamisten zuletzt auf die lokale Hauptstadt vor.
Wenige Tage nach dem Beginn einer Taliban-Offensive auf die Hauptstadt der westafghanischen Provinz Badghis hat die dortige Provinzregierung eine Waffenruhe mit den radikalislamischen Kämpfern vereinbart. Die Feuerpause sei von Stammesältesten vermittelt worden und bereits seit Donnerstag in Kraft, sagte der Gouverneur von Badghis, Hessamuddin Schams. Eine zeitliche Begrenzung wurde demnach nicht vereinbart. Die in Doha geführten Friedensgespräche der afghanischen Regierung mit den Islamisten kamen hingegen weiterhin kaum voran.
Vor rund einer Woche hatten die Aufständischen mit dem Sturm auf die Provinzhauptstadt von Badghis, Kala-i-Naw, begonnen - nur wenige Stunden nach der Erklärung der US-Armee, dass der Rückzug aus Afghanistan zu 90 Prozent vollzogen sei. Es war der erste größere Angriff auf eine Stadt seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen. Parallel zum Truppenabzug haben die Taliban in den vergangenen Monaten große Teile des Landes erobert. Nach Angaben aus afghanischen Regierungskreisen konzentriert sich die Armee des Landes mittlerweile darauf, die größeren Städte, wichtige Straßen sowie Grenzposten gegen den Vormarsch der Islamisten abzusichern.
Menschen bedrängen geschlossenen Grenzübergang
Am Mittwoch hatten die Taliban die Einnahme von Spin Boldak, eines strategisch wichtigen Grenzübergangs nach Pakistan, verkündet. Daraufhin schloss die pakistanische Regierung den Übergang. Seitdem haben sich nach Angaben pakistanischer Grenzwachen rund 1500 Menschen an dem Übergang versammelt, um nach Afghanistan zu gelangen. 400 von ihnen hätten am Donnerstag gewaltsam versucht, die Absperrung zu überwinden, berichteten die Wachen. Sie hätten die Menschen mit Tränengas und Schlagstöcken zurückgedrängt. Inzwischen sei die Lage wieder unter Kontrolle, sagte der Behördenvertreter des Grenzbezirks Chaman, Jumadad Khan.
Einem Taliban-Vertreter zufolge haben sich auch auf der afghanischen Seite hunderte Menschen versammelt, um nach Pakistan zu gelangen. Seine Miliz sei in Gesprächen mit den pakistanischen Behörden und hoffe, dass der Übergang in "ein oder zwei Tagen" wieder geöffnet werde. Ein pakistanischer Grenzbeamter sagte später, die Grenze werde am Freitag für Fußgänger geöffnet. Für die Taliban ist der Grenzübergang wichtig, weil er eine Verbindung zur pakistanischen Provinz Baluchistan ist, die den Aufständischen seit Jahrzehnten als Rückzugsgebiet dient. Eine Straße führt direkt in die Hafenstadt Karachi. Der Hafen gilt als Drehscheibe für den milliardenschweren Heroinhandel in Afghanistan - einer wichtigen Einnahmequelle der Taliban.
Friedensgespräche in Doha kommen nicht voran
Die festgefahrenen Friedensgespräche in Doha zwischen den Taliban und der Regierung in Kabul laufen seit vergangenem September. Der Vormarsch der radikalislamischen Kämpfer erschwert sie zusätzlich. Die Sorge wächst, dass die Taliban nach dem vollständigen Abzug der Nato-Streitkräfte aus Afghanistan wieder die Macht am Hindukusch übernehmen könnten. Kabuls Unterhändler in Doha, Nader Naderi, sagte, die Taliban hätten eine dreimonatige Waffenruhe angeboten, aber im Gegenzug die Freilassung von 7000 ihrer Kämpfer gefordert. Später sagte Naderi allerdings, die Taliban hätten ein solches Angebot nicht formell unterbreitet.
Zuletzt hatten die Taliban angegeben, inzwischen 85 Prozent des Landes zu kontrollieren. Diese Darstellung kann allerdings nicht unabhängig überprüft werden und wird von der Regierung in Kabul bestritten.
Quelle: ntv.de, als/AFP