Politik

Streit um Flüchtlinge Wagenknecht wirft Ukrainern Sozialbetrug vor - Bürgermeister widerspricht

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Sahra Wagenknecht sagte Mitte November, ukrainische Flüchtlinge würden "faktisch" in ihrer Heimat leben "und nur herkommen, um die Leistung zu bekommen".

Sahra Wagenknecht sagte Mitte November, ukrainische Flüchtlinge würden "faktisch" in ihrer Heimat leben "und nur herkommen, um die Leistung zu bekommen".

Ex-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht wirft ukrainischen Flüchtlingen Sozialbetrug vor und verweist als Beleg auf ihre Heimatstadt im Saarland. Dort sind entsprechende Fälle allerdings nicht bekannt. Auf Nachfrage beruft Wagenknecht sich vage auf "Bürger".

Es ist ein schwerer Vorwurf, den Sahra Wagenknecht ukrainischen Flüchtlingen im Interview mit RTL/ntv vor wenigen Wochen machte. Sie habe in ihrer Wahlheimat Merzig im Saarland selbst mitbekommen, wie Ukrainer Leistungen beantragen - und dann wieder in die Ukraine zurückkehren. Um welches Ausmaß es sich bei diesem angeblichen Sozialbetrug handeln soll, ließ sie dabei offen.

Eine Recherche in Merzig zeigt allerdings, dass Wagenknechts Vorwurf vor Ort nicht geteilt wird. Auch der Oberbürgermeister der Kreisstadt widerspricht der ehemaligen Linken-Politikerin deutlich.

Wagenknecht hatte gesagt: "Wenn Ukrainer in ihre Heimat zurückfahren, dort faktisch leben, und nur herkommen, um die Leistung zu bekommen, dann stehen da große Fragezeichen." Auf die Frage, ob sie konkrete Fälle kenne, antwortete sie: "In meiner Heimatstadt wurden ganze Häuser angemietet für ukrainische Flüchtlinge, und die Nachbarn haben sich gewundert, dass da niemand ist." Sie wolle aber "nicht pauschalisieren".

Hintergrund: Bürgergeldempfänger müssen für das Jobcenter erreichbar sein. Ohne wichtigen Grund ist eine "Ortsabwesenheit" von bis zu drei Wochen erlaubt, die allerdings beim Jobcenter beantragt werden muss.

Der Bürgermeister weiß von einem Fall

Im Gespräch mit Sozialverbänden, örtlichen Flüchtlingshelfern, Kirchenvertretern und mehreren Lokalpolitikern in Merzig wird deutlich: Die meisten sind von Wagenknechts Äußerungen überrascht. Nach eigener Aussage hat keine der von RTL/ntv befragten Personen Kenntnis von solchen Vorgängen. Im Landkreis und in der Stadt sind mutmaßliche ukrainische Sozialleistungsbetrüger kein Gesprächsthema.

Auch in der Fußgängerzone von Merzig lässt sich niemand finden, der Wagenknechts Behauptungen bestätigt. Viele sind dagegen positiv überrascht von den ukrainischen Flüchtlingen in ihrer Stadt. Ob beim Obsthändler, dem Bäcker oder im Schreibwarenladen - vielerorts sind die Ukrainer gern gesehene Kunden und Gäste.

Merzigs Oberbürgermeister Marcus Hoffeld von der CDU äußert sich schriftlich: "Es gab den Fall, dass eine Wohnung, welche für ukrainische Flüchtlinge zugeordnet ist, für einen Zeitraum von circa drei Wochen von der Familie nicht genutzt worden ist und leer gestanden hat. Dies wurde der Kreisstadt Merzig gemeldet." Die Familie sei in dieser Zeit in der Ukraine gewesen und anschließend wieder zurückgekehrt. Dass, wie Wagenknecht schildert, "ganze Häuser" für ukrainische Flüchtlinge leer stehen würden, kann Hoffeld nicht bestätigen.

Wagenknecht verweist auf namenlose "Bürger"

Was steckt also hinter Wagenknechts Behauptungen? Weiß sie, was der Oberbürgermeister und mehrere Lokalpolitiker in Merzig nicht wissen oder zugeben wollen? Oder fischt sie mit der Schilderung eines Einzelfalls am rechten Rand nach Zustimmung? Schließlich bereitet ein Verein namens Bündnis Sahra Wagenknecht derzeit die Gründung einer neuen Partei vor.

Auf Nachfrage antwortet lediglich eine Mitarbeiterin aus ihrem Bundestagsbüro: "Die Stadt Merzig hat über 120 Wohnungen und Häuser für Flüchtlinge angemietet. Neben dem von der Verwaltung bestätigten Fall erhielt Frau Wagenknecht weitere Hinweise. Die Bürger, die sie als Abgeordnete angesprochen haben, wollen aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht, dass ihre Adressen weitergegeben werden und stehen auch nicht für Presseanfragen zur Verfügung."

Kurzum: Wagenknechts Behauptungen könnten stimmen oder auch nicht. Belege kann sie jedenfalls nicht anführen.

Quelle: ntv.de

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