Politik

Linksfraktion löst sich auf Aus Hass wird Erleichterung

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, ein Bild aus besseren Tagen, nämlich aus dem Jahr 2015. Obwohl es auch damals schon heftig knirschte.

Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, ein Bild aus besseren Tagen, nämlich aus dem Jahr 2015. Obwohl es auch damals schon heftig knirschte.

(Foto: picture alliance / dpa)

Es gibt durchaus noch inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen der künftigen Wagenknecht-Gruppe und der alten Linkspartei, die sich nun neu aufstellen muss. Vor allem aber einen heftigen Riss. Wenn beide Seiten noch etwas teilen, dann Erleichterung über das Ende.

Für den Deutschen Bundestag ist es eine Premiere: Mitten in der Legislaturperiode löst eine Fraktion sich auf. Die bisher 38 Linken-Abgeordneten werden künftig zwei Gruppen bilden, denn für eine Fraktion reicht es bei beiden nicht, weder bei der Wagenknecht-Gruppe noch bei den Rest-Linken. Dafür braucht man im Bundestag fünf Prozent der Abgeordneten - aktuell sind das 37.

Den Weg in die Selbstauflösung hat die Linksfraktion heute beschlossen, bis zum 6. Dezember soll die Fraktion liquidiert werden. Die Trennung soll, soweit möglich, zivilisiert über die Bühne gehen. Schon wegen der 108 Mitarbeiter, wie Abgeordnete beider Seiten immer wieder betonen. Einige von ihnen werden sich dennoch einen neuen Job suchen müssen: Gruppen bekommen weniger finanzielle Mittel als Fraktionen und können sich damit weniger Mitarbeiter leisten.

Auch wenn vor allem auf der Seite der Verlassenen noch immer ein bisschen Fassungslosigkeit vorhanden ist, scheint Erleichterung vorzuherrschen. Zwar haben Gruppen künftig nicht nur weniger Mitarbeiter und auch weniger parlamentarische Rechte. Aber immerhin ist ein jahrelanger, quälender Streit zu Ende gegangen.

"Am Ende unausweichlich"

Schon 2012 hatte Gregor Gysi auf dem Parteitag in Göttingen diagnostiziert, in der Fraktion herrsche "Hass". Animositäten und Feindschaften gebe es in allen Fraktionen, sagt heute der langjährige Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte im Interview mit ntv.de. "Der Unterschied bei uns ist die persönliche Unerbittlichkeit und diese seltsame Untergangssehnsucht." Für ihn ist es "ein trauriger Tag". Aber zumindest sei jetzt ein latenter Dauerkonflikt geklärt. "Am Ende war die Spaltung der Partei und Fraktion unausweichlich", sagt auch Klaus Ernst, Vorsitzender des Ausschusses für Klimaschutz und Energie - noch. Diesen Posten dürfte er verlieren, denn Gruppen haben auf solche Ämter kein Anrecht.

Korte bleibt in der Linken, Ernst wird der Wagenknecht-Gruppe angehören. Er hat den Brief unterzeichnet, in dem Wagenknecht und einige ihrer Unterstützer Ende Oktober erklärten, warum sie die Linkspartei verlassen und eine neue Partei gründen wollen. Die Trennung wird darin vor allem inhaltlich begründet: "Immer wieder haben wir versucht, den Niedergang der Partei durch eine Änderung des politischen Kurses aufzuhalten", heißt es in dem Schreiben. Den Linken wird darin "fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden" vorgeworfen.

Dabei sind genau das die Themen, in denen es zwischen beiden Gruppen eigentlich die stärksten Übereinstimmungen gibt. Auch Korte will, dass seine Partei für jene da ist, "denen ein Schauer über den Rücken läuft, wenn ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister Kriegstüchtigkeit fordert". Auch er will "Politik machen für die, die ausgebeutet werden".

Was ist eigentlich "links"?

Aber da gibt es noch zwei weitere Punkte: Das "Bündnis Sahra Wagenknecht", so der Name des Vereins, will eine Partei aufbauen, die eine "Stimme für soziale Gerechtigkeit, Frieden, Vernunft und Freiheit" ist. Schon seit Jahren wettert Wagenknecht gegen das, was sie eine "Lifestyle-Linke" nennt. Der Einsatz für Minderheiten, für Gendersternchen und Klimaschutz ging ihr nicht nur auf die Nerven, sie sah und sieht ihn nicht als wirklich "links" an. "Es gibt Gründe, warum die Linke bei ArbeitnehmerInnen, RentnerInnen, sozial Benachteiligten oder Friedensbewegten kaum noch gewählt wird", sagt der Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich, der zusammen mit Wagenknecht aus der Linkspartei ausgetreten ist. "Mit offenen Grenzen für alle, Identitätspolitik oder einer radikaleren Klimapolitik wird man da auch nicht mehr punkten, wie nahezu alle Umfragen bestätigen."

Noch deutlicher wird Klaus Ernst: "Eine Politik der offenen Grenzen ist illusorisch und schafft mehr Probleme, als sie löst", sagt er. Mit Blick auf die Klimapolitik klingt er mehr nach FDP als nach den Grünen: "Ohne Zweifel ist der Klimawandel ein großes Problem, aber wie gehen wir damit um? Wir denken: durch Innovationen und dadurch, dass wir den Korridor möglicher Lösungen nicht von vornherein verengen. Und vor allem nicht dadurch, dass wir das Leben der Menschen immer teurer machen. Das sieht die Linke leider anders."

Und dann war da noch die Friedensdemo im Februar

Diesen Dissens bestätigt, aus der anderen Richtung, auch Ernsts bisheriger Fraktionskollege Korte: "Wir brauchen gewerkschaftliche Verankerung, Verankerung in den Betrieben genauso wie in der Klimabewegung oder in der Flüchtlingsarbeit", sagt er. Wie Wagenknecht über Migranten spreche, habe "nichts mit links zu tun".

Aus Sicht vieler Linker, die in der Linkspartei bleiben, ist es Wagenknecht, die nicht mehr "links" ist. Die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger betont: "Die Linke bleibt weiterhin die einzige Stimme, die nicht nach rechts rückt."

Den Vorwurf, ein unklares Verhältnis in Richtung Rechtsaußen zu haben, gab es schon, als Wagenknecht zusammen mit der Publizistin Alice Schwarzer im Februar eine Kundgebung organisierte, um gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine zu protestieren, denn auch Rechtsradikale nahmen daran teil. Waffenlieferungen an die Ukraine lehnt die Linke einhellig ab. Was einigen in der Partei jedoch sauer aufstieß, war der Eindruck, dass Wagenknecht mehr Kritik an der Ukraine hat als an Russland.

"Da war das Tischtuch zerschnitten"

Möglich, dass Diskussionen über Russland auf Linken-Parteitagen in Zukunft etwas weniger kontrovers verlaufen, und dass die Forderung, die NATO "durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands" zu ersetzen, irgendwann aus dem Parteiprogramm gestrichen wird. Einen entsprechenden Vorstoß hatte die damalige Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping vor ihrem Ausscheiden aus der Politik gestartet. Die Begründung der ehemaligen Linken-Chefin: "Spätestens nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit all den Grausamkeiten, die damit verbunden sind, unter anderem der Verschleppung von Tausenden von Kindern, kann man nicht so tun, als habe es diese Entwicklung nicht gegeben." Das dürfte eine künftige Wagenknecht-Partei völlig anders sehen.

Große Differenzen gibt es auch in der Schuldfrage. Es seien "diese zehn, die die Fraktion zerstört haben", betont Jan Korte mit Blick auf die Wagenknecht-Gruppe. Klaus Ernst sieht auch dies ganz anders: "Wir alle hätten uns gewünscht, dass es nicht so weit kommt und dafür haben wir intern auch lange gekämpft. Der Parteivorstand und andere Teile der Funktionäre haben uns aber immer wieder deutlich gemacht, dass sie uns und unsere Positionen in dieser Partei nicht mehr haben wollen - also sind wir gegangen." Alexander Ulrich sagt, spätestens mit der Entscheidung des Bundesvorstandes im Sommer, dass Sahra Wagenknecht ihr Bundestagsmandat zurückgeben solle, "war das Tischtuch zerschnitten".

Neuanfang als "Chance", als "historische Chance"

Einig sind sich Linke und Wagenknecht-Gruppe immerhin darin, dass die Trennung auch positive Aspekte hat. "Die Auflösung der Fraktion müssen wir als Chance sehen, gestärkt und verbunden in die Zukunft zu gehen", sagt Clara Bünger. "Es ist konsequent, bei politischen Positionen, die sich nicht mehr in Einklang bringen lassen und sich von meinem Verständnis linker Politik entfernen, getrennter Wege zu gehen."

Sevim Dagdelen, langjährige Wagenknecht-Vertraute, sagt gar, die Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht sei "eine historische Chance, eine Partei zu schaffen, die sich auf die tatsächlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger konzentriert". Im Bundestag wolle die neue Gruppe "die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung für wirtschaftliche Vernunft, konsequente Friedenspolitik und soziale Gerechtigkeit" vertreten, statt sich "wie die Linke in Nebenthemen zu verlieren", so Dagdelen.

Hier hört man schon raus, dass der erbitterte Streit, der bisher innerhalb der Linkspartei geführt wurde, vielleicht doch nicht ganz zu Ende ist. Künftig könnte er nur zwischen zwei Parteien ausgetragen werden.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen