Ungarn im Streit mit der EU Warum Orban Milliardenverluste drohen
24.11.2022, 17:57 Uhr
Nicht nur hat Orban die EU-Sanktionen gegen Russland immer wieder scharf kritisiert, zuletzt sogar als "Schritt in Richtung Krieg". Er hat auch als einziger in der EU neue Gaslieferverträge mit Russland abgeschlossen.
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Seit mehr als zehn Jahren beklagt die Europäische Union massive Rechtsstaats-Verstöße in Ungarn. Jetzt soll Regierungschef Orban dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Ein Überblick über die wichtigsten Streitthemen.
Ob Rechtsstaat oder Russland-Sanktionen - der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban legt sich immer wieder mit der Europäischen Union an. "Orban zerstört den ungarischen Rechtsstaat, hofiert Putin, lässt EU-Mittel an Freunde auszahlen", kritisierte zuletzt der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner. Mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Orban sei kein Rechtsstaat zu machen. Sein grüner Amtskollege Daniel Freund sagte: "Es wird allerhöchste Zeit, dass Viktor Orban für seinen autoritären Kurs endlich die Quittung aus Brüssel bekommt."
Deshalb drohen Ungarn nun massive finanzielle Konsequenzen: Die EU-Staaten sollen nach dem Willen des Europaparlaments mehrere Milliarden Euro wegen Rechtsstaatsmängeln in Ungarn einfrieren. Die von Ungarn vorgeschlagenen Maßnahmen für einen besseren Rechtsstaat seien nicht ausreichend, um bestehende systematische Risiken anzugehen, teilte das EU-Parlament mit. Zuvor hatte eine Mehrheit der Abgeordneten einer entsprechenden Resolution zugestimmt. Kommende Woche wird eine Empfehlung der EU-Kommission erwartet, ob dem Land erstmals Milliardenhilfen gestrichen werden. Ein Überblick über die wichtigsten Streitthemen:
Rechtsstaat und Korruption
Um 7,5 Milliarden Euro an Fördergeldern geht es bei dem härtesten Brüsseler Konflikt mit Ungarn. Die EU-Kommission könnte den Mitgliedstaaten nächste Woche empfehlen, die für die Haushaltsperiode bis 2027 zugesagten Mittel ersatzlos zu streichen. Dies könnten die EU-Finanzminister vor Weihnachten theoretisch beschließen. Offen ist, ob eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Staaten zusammenkommt, die 65 Prozent der europäischen Bevölkerung umfassen.
Korruption, Interessenkonflikte und massive Probleme bei öffentlicher Auftragsvergabe und Parteienfinanzierung wirft die Kommission Ungarn vor. Die Kommission hatte deshalb im April ein Verfahren gegen Budapest eingeleitet, kurz nach Orbans Wiederwahl. Dafür nutzte sie erstmals den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus. Von Budapest vorgelegte Zusagen in 17 Bereichen scheinen Brüssel nicht auszureichen.
Streit um Corona-Hilfsgelder
Im Rechtsstaatsstreit hält Brüssel zudem von Budapest beantragte Mittel aus dem Corona-Hilfsfonds in Höhe von rund 5,8 Milliarden Euro zurück. Orban braucht die Milliarden, denn er hatte seinen Anhängern das Geld im Wahlkampf versprochen. Ohne Entscheidung verfallen 70 Prozent der Mittel zum Jahresende.
Verbündeter Putins in der EU
EU-Kritiker werfen Orban vor, Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Europa zu sein. Als einziges EU-Land hat Ungarn seit Beginn des Ukraine-Krieges den Gasbezug aus Russland erhöht. Anfang Februar besuchte Orban Putin dafür in Moskau, nur rund drei Wochen vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine. Zudem fällt Orban immer wieder mit Ukraine-kritischen Äußerungen auf.
Missliebige Russland-Sanktionen
Orban kritisiert die EU-Sanktionen gegen Russland immer wieder scharf, zuletzt als "Schritt in Richtung Krieg". Zwar legte er in Brüssel noch nie sein Veto gegen die Strafmaßnahmen ein. Aber er bremste und erwirkte Ausnahmeregeln für Ungarn, etwa beim Ölembargo der EU gegen Russland.
"Erpressung" mit Ukraine-Hilfen
Ungarn blockiert zudem EU-Hilfen für die Ukraine im Umfang von bis zu 18 Milliarden Euro für das kommende Jahr. EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn wirft Orban deshalb "politische Erpressung" vor.
Blockade des NATO-Beitritts Schwedens und Finnlands
Neben der Türkei hat auch Ungarn bisher die Beitrittsprotokolle der beiden Nord-Länder zur Militärallianz nicht ratifiziert. Offiziell verweist Budapest auf sein überlastetes Parlament. Doch der Verdacht liegt nahe, Orban wolle Putin nicht verprellen.
EU-Klagen wegen Minderheitenrechten und Medienfreiheit
Im Juli kündigte die EU-Kommission zwei Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Ungarn an. Sie richten sich zum einen gegen ein ungarisches Gesetz, das "Werbung" für Homo- oder Transsexualität verbietet. Im zweiten Fall geht es um den Entzug der Sendelizenz für den unabhängigen ungarischen Sender Klubradio. Wegen der Diskriminierung von Minderheiten und der eingeschränkten Meinungsfreiheit ist Orban schon seit Jahren im Visier der EU.
Mindeststeuer steckt fest
Ungarn blockiert darüber hinaus den EU-Beschluss für eine 15-prozentige Mindeststeuer für internationale Konzerne. Deutschland, Frankreich und andere Länder wollen deshalb notfalls im kleinen Kreis vorangehen.
Quelle: ntv.de, hny/AFP