Politik

Pharmafirmen unter Druck Warum nicht einfach Impfpatente aussetzen?

Eine staatlich gesteuerte Impfstoffproduktion - für Markus Söder durchaus vorstellbar.

Eine staatlich gesteuerte Impfstoffproduktion - für Markus Söder durchaus vorstellbar.

(Foto: dpa)

Im Zuge des schleppenden Impfstarts gewinnt die Idee, den Patentschutz aufzuweichen, um die Produktion von Impfstoffen anzukurbeln, immer mehr Unterstützer - auch aus dem konservativen Lager. Doch die Bundesregierung setzt weiter auf freiwillige Kooperationen. Nicht ohne Risiko.

Wer sich vom Impfgipfel die große Trendwende für Deutschland erhofft hatte, wurde enttäuscht. Mit Blick auf die schleppende Impfstoffproduktion formulierte es Kanzlerin Merkel am Montagabend so nüchtern, wie es eben ist: "Wunder werden da jetzt nicht passieren". Das mag realistisch sein, aber ist es auch unumgänglich? Widerspruch kommt inzwischen nicht mehr nur aus den Reihen der Linken, sondern auch von Grünen und Sozialdemokraten. Sie wollen den Patentschutz auf Impfstoffe vorläufig aussetzen. Auf diese Weise könnten auch Unternehmen, die bisher nicht an der Impfstoffproduktion beteiligt sind, bei Herstellung und Vertrieb helfen - wohlgemerkt, ohne zuvor eine Lizenz vom Patentinhaber einholen zu müssen.

Das hätte einige Vorteile: Nicht nur könnten Impfstoffe schneller und in größerer Zahl produziert werden, auch Entwicklungsländer bekämen frühzeitig Zugriff darauf. Weil die Beschaffung von neu entwickelten Medikamenten oder Impfstoffen in der Regel zu teuer für sie ist, dauert es mitunter Jahre, bis dort günstigere Nachahmerpräparate auf den Markt kommen. Zeit, die mitten in der Pandemie niemand hat. Denn jeden Tag sterben weitere Menschen an Covid-19. Befürworter der Patentaussetzung argumentieren außerdem, dass ein schneller und möglichst globaler Impferfolg auch im Sinne der Wirtschaft sei. Nur so ließen sich weitere Lockdowns verhindern. "Wir besiegen diese Pandemie nur global", schreibt die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal auf Twitter. Eine Ausweitung von Produktionskapazitäten müsse über dem Profit einzelner Firmen stehen.

Rechtlich möglich ist das durchaus - gleich auf zwei Wegen: Einerseits erlaubt das Patentrecht die Aufhebung des Patentschutzes gegen eine Entschädigung, sofern es "im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder Sicherheit" ist. Beides hat laut Gesetz Vorrang. Außerdem kann gerichtlich eine Zwangslizenz an konkurrierende Unternehmen erteilt werden für den Fall, dass sich Patentinhaber weigern, ihre Erfindung "im öffentlichen Interesse" freizugeben. Zweitens hat der Gesetzgeber mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes die (nicht gewerbliche) Nutzung relevanter patentierter Technologien im Rahmen der Corona-Pandemie ausdrücklich für zulässig erklärt - allerdings ausschließlich durch die Regierung oder einen vor ihr ermächtigten Dritten.

Sorge vor Investitionsstopp

Doch muss auch getan werden, was rechtlich möglich ist? Die faktische Enteignung von Firmen wie Biontech oder Moderna, deren Geschäftsgrundlage nichts anderes als ihr geistiges Eigentum ist, hätte durchaus Nachteile. So argumentieren die forschenden Pharmafirmen, dass der Patentschutz erst die notwendige Motivation dafür liefere, sehr viel Geld in die Entwicklung neuer Technologien zu investieren. Sie fürchten, dass Investoren zurückhaltender werden könnten, sollte dieser Schutz tatsächlich aufgeweicht werden. Für den Innovationsmotor hierzulande wäre das pures Gift. Auch deshalb setzt die Bundesregierung weiter auf freiwillige Kooperationen. "Da wo Unternehmen freiwillig miteinander kooperieren, machen Zwangslizenzen wenig Sinn", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn der ARD.

Spahn verwies auf Angaben von Biontech, wonach allein an der Produktion und Abfüllung des selbst entwickelten Impfstoffs inzwischen 13 Firmen beteiligt seien. Die Forscher hätten auch ein persönliches Interesse daran, einen Unterschied zu machen in der Pandemie, so der Minister. "Da kann man auch nur Dankeschön sagen." Die Bundesregierung hofft offensichtlich, dass es sich am Ende auszahlen wird, auf den guten Willen der Pharmafirmen zu vertrauen. Doch Zweifel sind angebracht. Schon vergangenen Oktober machte Astrazeneca, der Hersteller des dritten in der EU zugelassenen Corona-Impfstoffs, Schlagzeilen mit der Absicht, die Pandemie im Juli 2021 für beendet zu erklären - um danach womöglich von seinem Non-Profit-Versprechen abzurücken.

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Astrazeneca ist einer der wenigen Pharmakonzerne, der damit wirbt, zum Selbstkostenpreis zu produzieren - also ohne Gewinn. Das liegt auch daran, dass die Technologie zur Herstellung seines Impfstoffes an der Universität Oxford entwickelt wurde; sprich mithilfe von öffentlichen Geldern. Biontech und Moderna haben solche Versprechen jedoch nie gemacht. Beide Unternehmen dürften mit der Impfstoffproduktion Milliarden verdienen. Dass Corona-Impfstoffe auch künftig ein knappes Gut bleiben, ist schon aus rein ökonomischen Gründen in ihrem Interesse. Je länger die Pandemie andauert, desto mehr Geld lässt sich mit den Impfstoffen verdienen. Insbesondere die Idee der Zwangsvergabe von Lizenzen ist deshalb längst keine linke Enteignungsfantasie mehr. Selbst FDP-Chef Christian Lindner zeigt sich offen dafür. Die Produktion von Impfstoffen sei eine "Überlebensfrage" - auch für die Wirtschaft.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Grünen-Co-Chef Robert Habeck sehen das ähnlich. Sie brachten nahezu zeitgleich eine "Not-Impfstoffwirtschaft" ins Gespräch, um die Produktionsmengen zu steigern. Der Staat müsse klare Vorgaben zur Produktion und Entschädigung von Unternehmen machen, so die Forderung. Dennoch wird der Status quo aller Voraussicht nach nicht angetastet werden. Denn Spahn sieht noch einen weiteren Nachteil darin, die Impfstoffentwickler auszubooten: Die Produktion - gerade für die neuartige mRNA-Technologie - sei hochkomplex und nicht mal eben per Lizenz bei einem anderen Unternehmen zu machen, sagte er im Dezember dem ZDF. Täte man es doch, könne das Vertrauen der Bevölkerung in die Qualität des Impfstoffs sinken.

Quelle: ntv.de

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