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Hat Pjöngjang so großen Vorrat? Wenn Putin im Schlaraffenland Waffen kaufen will

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Zwei Antidemokraten, die sich gut verstehen: Wladimir Putin und Kim Jong Un. Nordkoreas Machthaber will "alle Entscheidungen Putins unterstützen".

Zwei Antidemokraten, die sich gut verstehen: Wladimir Putin und Kim Jong Un. Nordkoreas Machthaber will "alle Entscheidungen Putins unterstützen".

(Foto: IMAGO/UPI Photo)

Russland kann bei weitem nicht so viel Artilleriemunition herstellen, wie es im Ukrainekrieg verschießt. Da eröffnet der Besuch von Kim Jong Un dem Kreml neue Möglichkeiten: Nordkorea werden enorme Munitionsbestände nachgesagt, doch ganz ohne Haken ist die Sache nicht.

Ein Glas auf die guten Beziehungen zweier Gewaltherrscher - "Auf die künftige Stärkung der Zusammenarbeit und der Freundschaft zwischen unseren Ländern", spricht Kim Jong Un laut russischem Staatsfernsehen einen Toast aus beim Dinner, das Wladimir Putin ausgerichtet hatte zu Ehren des Machthabers aus Nordkorea.

So offen wie in dieser Woche haben der russische Staatspräsident und sein Besucher ihre Verbundenheit sehr lange nicht mehr präsentiert. Eng waren die Beziehungen schon in den 1990er Jahren, ab 2006 wurde man bloß etwas öffentlichkeitsscheu. Damals einigte sich der UN-Sicherheitsrat (UNSC) auf ein Handelsverbot für Waffen- und Raketentechnologie gegenüber Pjöngjang. Weder verkaufen durfte man fürderhin an Nordkorea, noch von dort beziehen. Mit dem Verbot reagierten die Vereinten Nationen auf einen nordkoreanischen Raketentest, das konnte Russland nicht so offensichtlich ignorieren.

Unterm Radar jedoch liefen die Geschäfte weiter. Und so verhinderten auch die folgenden UN-Resolutionen nie, dass Moskau und Pjöngjang enge Beziehungen pflegten, auch eng am Rüstungssektor. Diese Nähe vor allem ist es, die den Westen gerade mit Sorge auf die gute Stimmung schauen lässt, die am russischen Weltraumbahnhof Wostotschny von den Anwesenden zelebriert wird.

Russland habe sich zum Schutz seiner Souveränität und Sicherheit erhoben, so zitiert die russische Agentur Interfax Kim Jong Un. "Wir haben immer und werden weiter alle Entscheidungen Putins und Entscheidungen der russischen Regierung unterstützen." Nordkorea selbst hätte wohl auch gern Unterstützung, etwa für sein Satellitenprogramm oder auch humanitär für die arme Bevölkerung. Entsprechend scheint bei Kim Jong Un der Wille, Waffen zu liefern, da zu sein, die Lagerbestände und Produktionsmittel sind es auch - so sind sich westliche Experten einig.

Fakt ist allerdings auch: Seit 70 Jahren hat Pjöngjang keinen Krieg mehr geführt. In welchem Zustand sind die Artilleriewaffen und Munition, die Nordkorea in großer Zahl in seinen Depots haben soll? Können sie Moskaus hohen Bedarf an Nachschub auch qualitativ sichern?

"Russland hat ein enormes Delta"

"Munition für Rohrartillerie und für Raketenartillerie sind enorm wichtig für Russland", sagt Militärexperte Gustav Gressel ntv.de. Gemäß Prognosen wird die russische Armee in diesem Jahr etwa sieben Millionen Granaten verschießen, elf Millionen waren es im vergangenen Jahr. Für diesen Verbrauch produziert die heimische Rüstungsindustrie deutlich zu wenig - etwa 2,5 Millionen pro Jahr. "Russland hat also ein enormes Delta, das aus eigenen Beständen oder aus dem Depot befüllt wird." Ein Vorrat, der bei so hohen Verbrauchszahlen absehbar zur Neige geht.

Da scheinen die nordkoreanischen Bestände ideal zum Auffüllen, denn Pjöngjangs Armee sei numerisch "riesig", bescheinigt ihr Gressel, "weit größer als die russische Armee, weil sie eine enorm hohe Mobilmachungsstärke hat". Entsprechend groß müssten ihre Waffendepots und Munitionsvorräte sein. Die Nordkoreaner bauten ihre Armee nach sowjetischen Grundsätzen auf, darum schätzt der Militärexperte die Artillerieverbände sehr stark ein - wie bei den Russen - und aus dem Kalten Krieg größtenteils noch mit sowjetischem Gerät ausgestattet.

"Als Russland seine eigene Munitionsindustrie modernisierte, hat es einen Teil der alten Anlagen an Nordkorea weitergegeben", sagt Gressel, der am European Council on Foreign Relations forscht. "Das war im Grunde sowjetische Produktion, die dann in Nordkorea fortgesetzt wurde." Entsprechend passen die Kaliber bis heute - sei es für Artillerie oder auch für Granatwerfer.

Ein riesiger Vorrat mit weitestgehend passendem Kaliber - das klingt perfekt für Moskau, einzig problematisch könnte der Zustand der Lagerbestände werden. Denn auch für Munition gelten "Haltbarkeitsdaten".

Was über Jahrzehnte unbenutzt im Depot liegt, weist Schäden auf, wird durch Überlagerung "instabil". Laut Gressel hat man den Effekt schon gesehen, wenn Russland in der Vergangenheit nordkoreanische Munition nutzte. "Erstens werden durch langes Lagern die Treibladungen inkonsistent, weil sich das Treibladungspulver zersetzt." Das sorgt dafür, dass die Munition unterschiedlich schnell abbrennt, die Schüsse werden unpräziser. Hinzu kommen Zünder, die wegen Überlagerung nicht mehr ansprechen. "Dadurch hat man eine sehr hohe Blindgänger-Rate."

Für Waffenkäufer ein Schlaraffenland

Doch solche Defizite in der Qualität könnten sich durch schiere Masse eindämmen lassen. Ob die vielen Artillerie-Einheiten, die Pjöngjang unterhält, komplett nach sowjetischem Vorbild ausgestattet sind oder manches nur - zur Abschreckung der Gegner - auf dem Papier existiert, lässt sich von außen kaum beurteilen. Bei tatsächlicher Vollausstattung der Verbände nach sowjetischem Vorbild müsste der Munitionsvorrat enorm sein. "Dann müsste Nordkorea auf den größten Munitionsreserven der Welt sitzen", so Gressel. "Theoretisch wäre das quasi ein Schlaraffenland."

Und noch eine wichtige Rolle könnte das bereitwillige Regime in Pjöngjang einnehmen: das des Umschlagplatzes für chinesische Munition, die in den vergangenen Wochen immer wieder von vorstoßenden ukrainischen Truppen im Süden des Landes erbeutet wurde. China könnte solche Lieferungen verstärken, indem es die Munition nach Nordkorea schickt, wo sie umbezeichnet und nach Russland geliefert würde. "So könnte man Russland im Krieg halten, wäre aber vor der westlichen Öffentlichkeit reingewaschen," so Gressel.

Viele Möglichkeiten für Russland also, um von der betonten "Freundschaft" mit Nordkorea zu profitieren. Der Westen muss befürchten, dass die Stimmung auf dem Weltraumbahnhof Wostotschny tatsächlich gut ist.

Quelle: ntv.de

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