Politik

Studentin und Straftäterin Wer ist die Linksextremistin Lina E.?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden
Lina E. ist zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Lina E. ist zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt worden.

(Foto: picture alliance/dpa)

Beim Urteil gegen Lina E. handelt es sich um die härteste Strafe für linksextrem motivierte Taten seit Jahren. Bis zu ihrer aufsehenerregenden Festnahme lebt sie ein auf den ersten Blick unauffälliges Leben. Heute feiert sie die linke Szene als Ikone.

Am 6. November 2020 landet ein blauer Polizeihubschrauber vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Eine junge Frau mit gefesselten Händen steigt aus, um sie herum stehen Beamte mit Sturmmasken. Eine Szene, wie man sie sonst von Terrorverdächtigen kennt. Die junge Frau heißt Lina E., Studentin aus Leipzig, auf sie wartet der Haftrichter. Die Ermittlungsbehörden feiern ihre Festnahme als Durchbruch im Kampf gegen linksextreme Gewalt.

Für Lina E. folgen zweieinhalb Jahre Untersuchungshaft und über 100 Verhandlungstage vor dem Oberlandesgericht Dresden, bis am heutigen Mittwoch schließlich das Urteil fällt: Fünf Jahre und drei Monate Gefängnis. Ihre drei Mitangeklagten, mit denen sie nach Überzeugung des Gerichts eine kriminelle Vereinigung gebildet hat, müssen ebenfalls mehrere Jahre in Haft. Das Gericht bleibt damit unter den Anträgen der Bundesanwaltschaft. Dennoch handelt es sich um die härtesten Strafen gegen linksextrem motivierte Taten seit Jahren.

Die heute 28-Jährige kommt ursprünglich aus Kassel. Die Mutter ist Sozialpädagogin, der Vater Oberstudienrat an einer Berufsschule. Nach dem Abitur arbeitet sie in einem Hotel auf Teneriffa und reist fünf Monate lang durch Südostasien, erzählt sie an einem Verhandlungstag im Oktober. Dann zieht sie nach Leipzig. Der Stadtteil Connewitz, wo sie in einer WG lebt, ist bekannt für hippe Szeneläden und eine immer wieder militant auftretende linke Szene. Lina E. studiert in Halle Erziehungswissenschaften im Master, will ebenfalls Sozialpädagogin werden. Recherchen der "Zeit" zufolge lebt sie ein auf den ersten Blick unauffälliges Leben, jobbt zuletzt in einer Sporthalle, schließt ihre Uni-Kurse mit guten Noten ab. Vorstrafen hat sie keine.

Auseinandersetzung mit NSU

Ihre Bachelorarbeit trägt den Titel: "Zum Umgang mit Neonazismus in der Jugendarbeit - der NSU im Jugendklub Winzerla". Die NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich in einem Jugendklub in Jena-Winzerla kennengelernt. Sie kritisiert in der Arbeit die Vereinnahmung der Jugendhilfe durch Rechte. In Kassel töteten die Rechtsterroristen 2006 eines ihrer Opfer in einem Internetcafé. Ein Freund von Lina E. sagt der "Leipziger Volkszeitung", der NSU-Mord in ihrer Heimatstadt könnte sie als Jugendliche politisiert haben.

In Leipzig lernt sie schließlich Johann G. kennen, ein verurteilter Gewalttäter aus der linksextremen Szene. Er wird erst ihr Freund, dann ihr Verlobter. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm sieben Angriffe auf Rechtsextremisten vor. Seit über zwei Jahren ist Johann G. untergetaucht.

Auch Lina E. und ihre Mitangeklagten greifen nach Auffassung des Gerichts zwischen 2018 und 2020 Anhänger der rechten Szene an. Demnach ist sie mit dabei, als einer Gruppe von Neonazis, die eine Demonstration besucht haben, im sächsischen Wurzen aufgelauert wird. Im thüringischen Eisenach wird sie nach einem Überfall auf einen rechtsextremen Kneipenwirt in einem Fluchtauto erwischt. In Leipzig trifft die Gewalt einen Kanalarbeiter, weil er eine Mütze eines bei Rechten beliebten Labels trägt. Er erleidet schwere Kopfverletzungen. Eine Rädelsführerin ist sie nach Ansicht des Gerichts nicht, eher eine "Überblicksperson", die Kampftrainings organisiert und Angriffe vorbereitet.

"Free Lina" ist Szene-Parole

In der linken Szene avanciert Lina E. zur Galionsfigur. Der Schriftzug "Free Lina" prangt auf Plakaten bei linken Demonstrationen und an Häuserfassaden in Leipzig oder Berlin. Ihre Taten werden gefeiert, "Antifa bleibt Handarbeit", heißt es. Die Verteidigung wirft den Bundesanwälten derweil vor, bei rechten und linken Straftätern unterschiedliche Maßstäbe anzusetzen und spricht von einem "politischen Prozess".

Für den Verfassungsschutz ist das Urteil ein Beleg für gesunkene Hemmschwellen in der linksextremen Szene. "Die Schwelle zum Terrorismus sehen wir aktuell noch nicht überschritten, aber wenn sich die Radikalisierungsspirale weiterdreht und die Taten immer brutaler und hemmungsloser werden, dann rückt der Moment näher, in dem man auch von Linksterrorismus sprechen muss", sagt Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang.

Nach dem Urteil werden bei Kundgebungen nun auch Ausschreitungen befürchtet. Noch am Abend sind Demonstrationen in Dresden, Leipzig und Chemnitz geplant, für Samstag wird bundesweit aufgerufen. Im Internet tauchen Drohungen auf, wonach für jedes Jahr Haft in Leipzig ein Sachschaden von einer Million Euro angerichtet werden soll. Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor.

Quelle: ntv.de, mit dpa

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen