Politik

Im Schatten des Krieges Wie Lukaschenko seinen Staat umbauen will

Von Lukaschenko lässt sich Putin sogar anfassen, trotz Corona.

Von Lukaschenko lässt sich Putin sogar anfassen, trotz Corona.

(Foto: dpa)

Der belarussische Machthaber Lukaschenko lässt über eine Verfassungsänderung abstimmen, die ihm Macht auf Lebenszeit garantieren soll. Doch über sein politisches Überleben entscheidet der Kreml.

Obwohl sich erste Meldungen, dass auch belarussische Soldaten aktiv am Überfall auf die Ukraine beteiligt seien, bislang nicht bestätigten und Machthaber Alexander Lukaschenko verkündete, seine Armee werde nur eingreifen, "wenn Russland dies brauche", ist Belarus dennoch tief in den Angriff verwickelt. Die Nutzung seines Territoriums ist aus strategischer Sicht für Russland sogar viel wichtiger als die überschaubare Truppenzahl, die Minsk zur Verfügung stellen könnte. Wenn in diesen Tagen Putins Panzer und Raketen von Norden aus die etwa 1000 Kilometer breite belarussisch-ukrainische Grenze überschreiten, stehen sie unmittelbar vor der ukrainischen Hauptstadt - und es ist das erste Mal seit dem frühen Mittelalter, dass von Belarus aus eine Aggression gegen den südlichen Nachbarn geführt wird.

Nun ist die Rede davon, wieder Friedensgespräche in Minsk abzuhalten, dem Ort, an dem schon vor acht Jahren Verhandlungen geführt wurden, die zu den "Minsker Abkommen" führten. Doch während sich Belarus damals glaubhaft als neutraler Friedensmittler anbieten konnte, ist es nun selbst Konfliktpartei. Das Regime hatte den Anspruch, ein "Spender regionaler Stabilität" zu sein, bereits seit der gefälschten Präsidentschaftswahl 2020 Schritt für Schritt zu Grabe getragen.

Seit Lukaschenkos politisches Überleben entscheidend von der Unterstützung des Kreml abhängt, begab er sich außenpolitisch in dessen Arme. Er erkannte die Annexion der Krim an, ließ gemeinsame militärische "Trainingszentren" in Belarus einrichten und russische Truppen können die Infrastruktur des Landes weitläufig nutzen. Die demokratischen Kräfte sprechen von einer faktischen Besatzung.

Die Macht des Präsidenten wird beschränkt

Am Sonntag soll nun bei einem Referendum über umfassende Verfassungsänderungen auch noch der Paragraph gestrichen werden, demzufolge Belarus außenpolitische Neutralität und Atomwaffenfreiheit anstrebt. Zwar hatte Lukaschenko angekündigt, das Referendum "im Fall eines Krieges" nicht durchzuführen, doch läuft das "early voting" bereits seit Dienstag und das Regime scheint die Abstimmung durchziehen zu wollen. Auch innenpolitisch steht damit ein folgenschwerer Umbau bevor.

Über die Notwendigkeit einer Verfassungsreform diskutiert man in Belarus zwar bereits seit vielen Jahren. Doch seit Herbst 2020 erschien die Idee in einem ganz neuen Licht. Während prodemokratische Stimmen es als Hinhaltetaktik ablehnten, auf diesem Umweg zu Neuwahlen zu kommen, schien insbesondere der Kreml den Gedanken zu begrüßen, den angeschlagenen Lukaschenko in einem "kontrollierten Prozess" durch einen verlässlicheren Vasallen zu ersetzen und sich durch einen Umbau des Staates neue Einflusskanäle zu sichern. Nun verfolgt Lukaschenko mit der Reform jedoch vor allem das Ziel, seine eigene Macht und die seines Umfelds möglichst unbegrenzt zu sichern, Straffreiheit zu erlangen und die Chancen einer Machtübernahme durch die Opposition langfristig zu minimieren.

Im Kern der geplanten Änderungen steht die sogenannte "Allbelarussische Volksversammlung" (ABVV), ein 1200 Delegierte umfassendes Großgremium, das bislang eher folkloristischen Charakter hatte und an Parteitage der KPdSU erinnert. Sie soll als höchstes repräsentatives Organ in der Verfassung verankert werden und weitreichende Kompetenzen erhalten. Diese reichen von der Festlegung der "strategischen Entwicklungsrichtung von Staat und Gesellschaft" über Entscheidungen zu Militäreinsätzen, die Feststellung der Gültigkeit von Wahlen und die Ernennung von Wahlkommissionen und Richtern bis hin zur Entlassung des Präsidenten. Jener soll hingegen in seinen Befugnissen beschränkt werden und nur noch zwei Amtszeiten innehaben können - ab der nächsten Wahl.

Kasachstan ist für Lukaschenko kein attraktives Modell mehr

Lukaschenko könnte sich also einerseits noch zweimal wählen lassen und bis 2035 "Präsident" bleiben. Andererseits wählt die ABVV, die sich aus Loyalisten des Systems zusammensetzt, einen Vorsitzenden, dessen Amtszeit nach dem jetzigen Entwurf nicht beschränkt ist und dem eine enorme Machtfülle zuwächst. Lange schien diese als "kasachisches Modell" bezeichnete Variante eine solide Lösung für Lukaschenko zu bieten: als Präsident abzutreten und doch als ABVV-Chef faktisch die Zügel in der Hand zu behalten. Jedoch zeigte ebenjener Fall von Kasachstans Ex-Präsident Nasarbajew, dass der Rückzug eines langjährigen Autokraten auf eine "Superposition im Hintergrund" im Zweifel keine sichere Option ist. Lukaschenko ließ daher eine Spezialklausel einfügen: Er und nur er allein soll beide Ämter gleichzeitig innehaben können.

Während er die Reform mal "zwingend notwendig" nannte und mal als "überflüssig" abtat, scheint er sich nun festgelegt zu haben, dass die Änderungen kommen. Die völlig steril besetzte Wahlkommission wird für die richtige Auszählung sorgen, eine unabhängige Beobachtung gibt es nicht und Auslandsbelarussen - schätzungsweise bis zu einer halben Million - dürfen gar nicht erst abstimmen.

Die Venedig-Kommission des Europarats kritisiert, dass der Verfassungsentwurf das bestehende Machtungleichgewicht noch verschlimmert, die demokratischen Kräfte sehen den Prozess insgesamt als illegitim. Da das Referendum jedoch die selten gewordene Chance bietet, Anhänger zu mobilisieren, ruft ein breites Bündnis von Swetlana Tichanowskaja über den "Koordinierungsrat" bis hin zu gesellschaftlichen Initiativen die 6,8 Millionen wahlberechtigen Belarussen auf teilzunehmen, aber die Wahlzettel ungültig zu machen und ihr Stimmverhalten per Chat-Bot zu dokumentieren.

Obwohl Umfragen belegen, dass sich weiterhin eine deutliche Mehrheit der Menschen einen Wandel, Recht und Demokratie wünscht, deutete zuletzt nichts darauf hin, dass es wieder große Proteste geben könnte. Im Land herrscht ein Klima der Angst und die Wahlmöglichkeit zwischen Lukaschenkos alter und Lukaschenkos neuer Verfassung hat ein deutlich geringeres Mobilisierungspotenzial als die demokratische Alternative vom Sommer 2020. Welchen Einfluss hingegen der nun begonnene Krieg auf die Lage im Land nehmen wird, ist offen. Klar ist, dass die große Mehrheit der Belarussen die Aggression gegen den friedlichen Nachbarn zutiefst ablehnt. Für Lukaschenko dürfte die Abhängigkeit von Putin noch einmal deutlich wachsen.

Jakob Wöllenstein leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung Belarus mit Sitz in Vilnius.

Quelle: ntv.de

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