Umfragen in Russland Wie sehr unterstützen die Russen den Krieg?
05.04.2022, 17:34 Uhr
"In den russischen Medien sind die russischen Truppen die Guten, die Zivilisten gegen gewalttätige ukrainische Nationalisten verteidigen", sagt Corinna Kuhr-Korolev. "Das funktioniert, weil viele Leute versuchen, solche Darstellungen in ihr Weltbild einzufügen."
(Foto: picture alliance/dpa/TASS)
In einer Umfrage sagen mehr als 80 Prozent der Russen, dass sie die Arbeit ihres Präsidenten gut finden, ähnlich viele sagen, dass sie den Krieg gegen die Ukraine unterstützen. Ein etwas anderes Bild ergibt sich bei einer Frage nach den Gefühlen der Russen. "Ich glaube, für sich genommen ist dieser Krieg in Russland nicht populär", sagt die Russland-Expertin Corinna Kuhr-Korolev. "Aber viele Russen haben das Gefühl, der Propaganda glauben zu müssen."
ntv.de: Das russische Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum hat in der vergangenen Woche neue Umfragewerte über die Zustimmung zu Putin in der russischen Bevölkerung veröffentlicht. Bevor wir zu den Zahlen kommen: Wie zuverlässig sind Lewada-Zahlen derzeit?
Corinna Kuhr-Korolev: Das ist schwer zu sagen. Klar ist, dass die Kolleginnen und Kollegen vom Lewada-Zentrum sehr gute Soziologinnen und Soziologen sind. Lewada hat eine lange Tradition der Meinungsforschung und steht keineswegs unter dem Verdacht, in den Propagandaapparat des Putin-Regimes verwickelt zu sein. Sie mussten sich in Russland als "ausländische Agenten" registrieren, das zeigt schon, welche Rolle sie spielen. Ob sie aber unter den jetzigen politischen Bedingungen ihrem Anspruch gerecht werden können, ist schwierig zu beurteilen.

Dr. Corinna Kuhr-Korolev ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
(Foto: Corinna Kuhr-Korolev)
Inwiefern?
Die Frage ist: Wie viele Leute sind bereit, jetzt noch offen am Telefon Auskunft zu geben, wenn ein Institut anruft, das als "ausländischer Agent" eingestuft ist? Insofern sind die aktuellen Zahlen von Lewada mit einem Fragezeichen zu versehen. Was man auf jeden Fall sehen kann, sind Tendenzen.
Im März sagten 83 Prozent, dass sie Putins Handeln gutheißen, nur 15 Prozent hießen es nicht gut. Im Februar lag das Verhältnis noch bei 71 zu 27 Prozent. Bedeutet das, dass vier von fünf Russen den Krieg gegen die Ukraine gut finden?
Nein, das ginge zu weit. Es gibt eine weitere Umfrage vom 31. März. Auf die Frage, ob man das Vorgehen der russischen Streitkräfte in der Ukraine unterstütze, sagen 53 Prozent, sie täten dies "definitiv", 28 Prozent sagen, sie unterstützten es "eher", zusammen also 81 Prozent. Man sieht übrigens deutlich, dass die Zustimmung steigt, je älter die Befragten sind. Das hat sehr viel mit der Art des Medienkonsums zu tun. Wichtiger finde ich aber eine andere Frage aus dieser Erhebung, nämlich die nach den Gefühlen.
Welche Antworten gibt es?
Die Frage lautet: "Welche Gefühle rufen die militärischen Handlungen Russlands in der Ukraine bei Ihnen hervor?" 51 Prozent nennen "Stolz auf Russland". Aber es gibt auch andere Antworten. 31 Prozent sprechen von "Sorge, Angst und Erschrecken", 6 Prozent von "Niedergeschlagenheit", 5 Prozent von Scham, 8 Prozent von "Wut und Ärger". Knapp die Hälfte der Befragten äußert also negative Gefühle. Das relativiert die Aussage von den 81 Prozent, die den Krieg unterstützen.
Das Lewada-Zentrum fragt die Russen seit 1999, was sie von Putin halten. Mit Ausnahme des ersten Monats hat eine Mehrheit dabei immer gesagt, dass sie sein Handeln gutheißt. Wie hat Putin das geschafft?
Er hat in vielerlei Hinsicht Bedürfnisse aufgegriffen, die es in der russischen Bevölkerung gibt. Viele Russen verbinden den Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mit einem Aufbruch in die Freiheit, sondern mit existenziellen Ängsten, mit der Not der 1990er-Jahre. Putin hat es geschafft, mit der Überwindung dieser Zeit assoziiert zu werden, mit sozialer Sicherheit, dem Kampf gegen die Kriminalität. Dazu kommt ein Gefühl von "wir sind wieder wer", das Putin bedient. In der Sowjetunion konnten die Russen sich in einem riesengroßen Raum frei bewegen: von der Ostsee bis ans Schwarze Meer, vom Baltikum bis nach Kamtschatka. Überall wurde Russisch gesprochen, überall gab es das Gefühl, die russische Kultur werde geachtet. Ich habe häufig gehört, dass Russen über die neuen, unabhängigen Staaten sagen: Wir haben denen so viel gegeben, und jetzt wollen die mit uns nichts mehr zu tun haben. Die Abspaltung der ehemaligen Sowjetrepubliken wie der Ukraine wurde von vielen Russen als persönliche Kränkung aufgenommen.
Dass Russland für seine neuen Nachbarn kein attraktiver Partner, sondern eher eine Bedrohung ist, hätte auch einen Reflexionsprozess anstoßen können.
Das ist nicht geschehen. In der Ukraine gab es in den vergangenen 30 Jahren durchaus Phasen, in denen die Orientierung nach Russland größer war als die Richtung Westen. Wenn Russland ein attraktives Angebot hätte machen können, dann hätte die Ukraine sich vielleicht nicht so deutlich für den westlichen Weg entschieden.
Russen im Ausland und Ukrainer berichten, dass sie mit Freunden oder Verwandten in Russland telefonieren, die nicht glauben, dass ihre Armee in der Ukraine Wohnviertel beschießt, Frauen vergewaltigt und Zivilisten ermordet. Haben Sie selbst so etwas auch schon erlebt?
Ich kenne Gespräche, in denen das Gegenüber eine sehr eigene Version von den Ereignissen hat und die auf eine ziemlich aggressive Art und Weise vertritt. Die russischen Zeitungen sind voll mit Geschichten, in denen Flüchtlinge aus dem Donbass berichten, wie sie von ukrainischen Einheiten angegriffen worden seien. In den russischen Medien sind die russischen Truppen die Guten, die Zivilisten gegen gewalttätige ukrainische Nationalisten verteidigen. Die Gräueltaten von Butscha wurden vom russischen Verteidigungsministerium als ukrainische Propaganda abgetan.
Und das funktioniert?
Man merkt schon, dass die Leute Zweifel daran haben, ob ihre Version wirklich die richtige ist. Aber man merkt auch, dass sie diesen Zweifeln nicht nachgeben wollen. Im Grunde führt die russische Propaganda dazu, dass die Leute sagen: Man weiß einfach nicht, was die Wahrheit ist.
Bundeskanzler Scholz hat mehrfach betont, dass dies "Putins Krieg" ist, also nicht Russlands Krieg oder gar der Krieg der Russinnen und Russen. Ist diese Darstellung aus Ihrer Sicht haltbar?
Ohne Putins irrationale Entschlossenheit, diesen Krieg zu führen, würde es ihn nicht geben. Insofern ist es sein Krieg. Aber er wird von einem großen Teil der Bevölkerung unterstützt. Wie groß dieser Teil ist, das ist schwer einzuschätzen. Ich glaube, für sich genommen ist dieser Krieg in Russland nicht populär. Aber viele Russen haben das Gefühl, der Propaganda glauben zu müssen.
Glauben Sie, dass Kriegsverbrechen wie in Mariupol oder in Butscha die Stimmung in Russland zum Kippen bringen können?
Das glaube ich nicht, dafür ist die Propaganda zu stark. Die russischen Medien sind schon dabei, das ins Gegenteil zu drehen. Als die russische Armee das Atomkraftwerk Saporischschja angegriffen hat, wurde das in Russland der Ukraine in die Schuhe geschoben. Kriegsverbrechen wurden in der russischen Darstellung von der ukrainischen Seite entweder verübt oder gezielt inszeniert, um Russland zu schaden. Das funktioniert, weil viele Leute versuchen, solche Darstellungen in ihr Weltbild einzufügen. Sie werden das auch weiterhin tun.
Mit Corinna Kuhr-Korolev sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de