Luxusreisen, Hauskauf, Schulgeld Wie unabhängig urteilt dieser Oberste US-Richter?
07.05.2023, 08:35 Uhr Artikel anhören
Clarence Thomas ist seit 1991 Oberster Richter - der dienstälteste am US Supreme Court.
(Foto: REUTERS)
Der Oberste US-Richter Clarence Thomas hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Gefälligkeiten eines steinreichen Konservativen angenommen. Einer der mächtigsten Männer der Vereinigten Staaten ist unter Druck.
Am Dienstag trat der Justizausschuss des US-Senats zusammen und führte Anhörungen in einem ungewöhnlichen Fall durch: zu einer angestrebten "Ethikreform des Supreme Court". Das Gremium hatte die Veranstaltungen angesetzt, nachdem im April dubiose Reisen sowie ein Immobiliengeschäft von Clarence Thomas, einem der Obersten Richter, bekannt geworden waren. "Das höchste Gericht im Land sollte nicht die niedrigsten ethischen Standards haben", klagte der Vorsitzende Senator Dick Durbin, ein Demokrat.
Der Vorwurf der Einflussnahme von erzkonservativen Akteuren und damit Befangenheit steht im Raum. Der ist nicht ohne, denn Thomas ist einer der neun Richter, die in den USA häufig endgültig über die wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Streitthemen entscheiden: Abtreibungen, Wahlrecht, Waffen und vieles mehr. Damit verändern sie das Leben von Hunderten Millionen US-Amerikanern. Schon jetzt ist das Vertrauen in den Supreme Court niedrig. Nach dem Ende des allgemeinen Abtreibungsrechts sank es im vergangenen Jahr auf ein historisches Tief von 25 Prozent. Wie verquickt sind Thomas' Privat- und Berufsleben?
Möglicherweise mehr, als erlaubt ist. Thomas hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten laut Recherchen der US-Investigativmediums ProPublica fast jedes Jahr Luxusreisen unternommen, die vom Multimilliardär Harlan Crow bezahlt wurden. Er war in Crows Privatjet unterwegs, auf einer Superjacht, die beiden verbrachten gemeinsame Zeit in Luxusressorts, ein Inselhopping in Indonesien kurz vor der Corona-Pandemie kostete eine halbe Million Dollar. Die Reisen bezeichnete Thomas in einer Stellungnahme als "eine Reihe von Familienreisen", wie es "Freunde tun". Das Ehepaar Crow gehöre zu ihren engsten Freunden. Thomas verdient als Oberster Richter jährlich 285.000 Dollar.
Am Donnerstag hat ProPublica weitere Details veröffentlicht: Der texanische Immobilienmogul, der auch Großspender für die Republikaner ist, bezahlte auch fast zwei Jahre lang das Schulgeld für einen Großneffen von Thomas, der ihn wie seinen eigenen Sohn aufzog: mehr als 100.000 Dollar flossen dafür. Ebenfalls enthüllten die Journalisten, dass Crow im Jahr 2014 das Haus von Thomas' Mutter im US-Bundesstaat Georgia gekauft hatte, dafür 133.363 Dollar überwies und die alte Dame weiterhin dort wohnen lässt.
"Inspirierendes Leben"
Thomas hätte den Kauf dem Bericht zufolge offenlegen müssen, was er nicht tat. Auch die Reisen könnten nach einem Gesetz über öffentliche Beschäftigte meldepflichtig gewesen sein. Zudem ist unklar, ob Crow nicht deutlich über dem Marktwert bezahlte. Thomas hatte zuvor seinen Anteil an Haus und Land mit 15.000 Dollar angegeben. Crow teilte mit, er wolle dort nach deren Tod ein Museum eröffnen; über die Geschichte des Richters, der unter anderem dort aufwuchs, und das "inspirierende Leben eines der größten Amerikaner".
Der Richter ist mitverantwortlich für den konservativen Ruck, der während der Präsidentschaft von Donald Trump durch das Oberste Gericht ging. Trump ließ drei neue Richter bestätigen, die alle von der konservativen Federalist Society gefördert und vorgeschlagen worden waren. Deren wichtigster Kopf Leonard Leo hatte über Jahrzehnte ein weites Netzwerk gemeinnütziger Organisationen geknüpft, welche die Urteile über wichtige christlich-konservative Anliegen entscheidend mitgeprägt hat. So etwa auch das Ende des allgemeinen Abtreibungsrechts im vergangenen Jahr, das Thomas begründete. Bei einer Veranstaltung der Federalist Society im Jahr 2018 scherzte der Richter auf der Bühne in Richtung Leo: "Du bist die drittmächtigste Person der Welt."
Leo hatte Thomas in den 1980er-Jahren kennengelernt und geholfen, Richter am Supreme Court zu werden. Auch über Leo floss nachweisbar Geld in seine Richtung, und zwar an Ginni Thomas, die erzkonservative Aktivistin und Frau des 74-Jährigen, die seit 2010 eine Beraterfirma namens Liberty Consulting leitet. Laut "Washington Post" gingen von 2011 bis 2012 insgesamt 100.000 Dollar von einer gemeinnützigen Organisation aus Leos Umfeld indirekt an Liberty Consulting. Und dies mit Leos expliziter Anweisung, Ginni Thomas nicht als Empfängerin anzugeben. Warum, ist unklar. Sie ist bestens vernetzt. Als Donald Trump 2020 die Wahl verloren hatte, war Ginni Thomas in engem Austausch mit Mark Meadows, dessen Staatschef im Weißen Haus. Sie sprachen darüber, wie Trump doch noch der Sieg zugeschanzt werden könnte.
Brief statt Aussage
Die "Washington Post" zitiert Experten, die unterschiedlicher Meinung sind darüber, ob der Richter wegen der Zahlungen befangen gewesen sei und sich hätte zurückziehen müssen. Denn ein Jahr später verzeichnete Leo einen großen Erfolg am Supreme Court: Das Gericht höhlte das antidiskriminierende Wahlrecht aus, das die Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren erkämpft hatte. Die Richter urteilten mit 5:4 für die Abschaffung, auch Thomas war dafür. Seither haben viele Bundesstaaten vor allem Regeln neu festgelegt, die Wähler der Demokraten überwiegend benachteiligen. Thomas vertritt unter den konservativ tendierenden Richtern die radikalsten Positionen; unter anderem der sogenannten Originalists, welche die Verfassung nicht zeitgemäß interpretieren, sondern versuchen, entsprechend der historischen Absicht der Verfassungsväter zu urteilen.
Der Ausschuss im Senat hatte auch John Roberts, den Vorsitzenden der Obersten Richter eingeladen, aber der erschien nicht. Stattdessen schickte er einen Brief. Darin verteidigte er den Status quo, berichtete Durbin: Die Richter dürften selbst und ohne Überprüfung entscheiden, ob sie befangen seien. Das sei schon bei Bundesrichtern anders, der zweithöchsten juristischen Instanz. Doch die wichtigsten Richter fühlten sich nicht an solche Regeln gebunden. "Bei einem Stadtrat würden wir das nicht akzeptieren", sagte Durbin über Thomas' Aktivitäten: "Das ist jenseits der ethischen Standards, die wir von öffentlichen Beschäftigten erwarten."
Die Republikaner verteidigen Thomas, sagen, er würde zu Unrecht beschuldigt und zeigen zugleich auf liberaler orientierte Richterkollegen. Die Demokraten vermuten eine direkte Linie von erzkonservativen Kreisen zum dienstältesten Obersten Richter, die dessen Urteilsvermögen beeinflusst. Wie auch immer die Diskussionen um all die Enthüllungen ausgehen - das Vertrauen in das Gericht wird es nicht vergrößern.
Quelle: ntv.de