Ampeltalk bei Hart aber fair "Wir haben vieles erreicht, aber wir versauen uns unsere Erfolge"
12.09.2023, 06:17 Uhr Artikel anhören
Politologin Ursula Münch findet, dass bisher keine Bundesregierung mit derart vielen Krisen zeitgleich zu kämpfen hatte.
Nach der ersten Hälfte der Regierungszeit der Ampelkoalition befinden sich die Regierungsparteien im Umfragetief. Grund: Der Streit der letzten Monate. In der ARD-Talkshow Hart aber fair ziehen die Gäste ein unterschiedliches Resümee. Für die Zukunft soll sich einiges ändern. Daran will auch die Opposition mitarbeiten.
Nur noch 20 Prozent der Bundesbürger befürworten die Regierungspolitik der Ampelkoalition, 36 Prozent der Bundesbürger würden eine der drei Ampelparteien wählen. Das zeigen aktuelle Umfrageergebnisse. Ein Grund dafür: Die Performance der rot-grün-gelben Koalition. In der ARD-Sendung Hart aber fair haben sich die Gäste am Montagabend über die Arbeit der Bundesregierung in den letzten zweieinhalb Jahren unterhalten. Und selbst die beiden Gäste aus den Regierungsparteien sind mit deren bisherigen Auftritt nicht zufrieden.
Die Ampelkoalition habe bei ihrer Arbeit gute Ergebnisse erreicht, sagt zum Beispiel FDP-Fraktionschef Christian Dürr. "Aber das wie - also der Streit - war überflüssig, und das ist es, was die Leute stört." Krieg und Wirtschaftskrise haben laut Dürr gezeigt, dass es in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland zu wenig Reformen gegeben habe. "Jetzt braucht es mehr Reformen. Einige haben wir angestoßen, mehr müssen kommen."
"Zu wenig am Basketball orientiert"
Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michael Kellner von den Grünen, stimmt Dürr zu. "Wir haben erreicht, dass dieses Land gut durch den letzten Winter gekommen ist", nennt er ein Beispiel für die Erfolge der Ampelkoalition. Dann schränkt er ein: "Aber wir versauen uns unsere Erfolge. Das liegt an allen drei Parteien. Wir haben vieles erreicht, aber wir haben uns oft auch gegenseitig Beine gestellt. Wir haben uns vielleicht zu sehr am Fußball orientiert und zu wenig am Basketball".
Ein Problem bei der Ampelkoalition sieht der ehemalige Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus bei der Arbeit von Bundeskanzler Olaf Scholz: "Ich glaube, dass bei dem Bundeskanzler die Rolle, die Angela Merkel immer wieder eingenommen hat, viel zu moderieren und viel abzufedern, einfach nicht klappt", sagt der CDU-Politiker. Da müsse bei Scholz mehr kommen. "Politik ist wie Fußball ein Ergebnissport. Und das Ergebnis stimmt einfach nicht."
Der Journalist Stephan Lamby hat die Bundesregierung während der letzten zweieinhalb Jahre genau beobachtet. Für einen Dokumentarfilm hat er mit den Spitzenpolitikern der Koalition lange Gespräche geführt. Er kritisiert: "Wenn sich die Bundesregierung über ein halbes Jahr streitet, dann lähmt sie sich. Es ist gut, wenn in einer Koalition gestritten wird. Dann habe ich das Gefühl, denen geht es um was. Aber das trifft auf konstruktiven Streit zu. In der aktuellen Situation war der Streit aber eher destruktiv."
Die Politologin Ursula Münch schließlich zeigt Verständnis für die Auseinandersetzungen innerhalb der Ampel: "Wir hören viel Schimpfe über die Ampelkoalition und die vielen Fehler, die sie gemacht hat und wohl auch noch machen wird. Aber wie enorm stressig das ist und wie groß die Belastung, ist Wahnsinn." Tatsächlich hatte keine Regierung mit derartig vielen Krisen zu kämpfen wie die aktuelle.
"Heizungsgesetz in furchtbarer Erinnerung"
Mit der Diskussion um das Heizungsgesetz hätte die Ampelkoalition beinahe eine weitere Krise ausgelöst. Dabei habe die Ampel ein schlechtes Bild abgegeben, meinen die Gäste. "Ich habe das Gesetz in furchtbarer Erinnerung, weil es ein unglaublich zäher Prozess war", so Michael Kellner. Die Verhandlungen seien ein Tiefpunkt der Ampel gewesen. Allerdings werde man sehen, dass das Gesetz ein Einstieg in die Wärmewende sei. Dürr fügt hinzu: "Der Fehler war, dass man im Streit aus dem Kabinett herausgekommen ist." Und Journalist Lamby hat den Eindruck, dass unter dem Streit das Vertrauen in der Koalition gelitten hat.
"Sie haben die Bevölkerung massiv verunsichert", wirft Brinkhaus den beiden Koalitionären vor. Damit verführt er Moderator Louis Klamroth zu einer interessanten Frage: Sein Parteikollege Jens Spahn habe versichert, die Union werde nach der Regierungsübernahme 2025 das Gesetz wieder abschaffen - ob so eine Aussage für mehr Sicherheit bei der Bevölkerung sorge. Die Antwort des Politikers überrascht alle Gäste: "Nein."
Und dann macht er einen interessanten Vorschlag: "Wir müssen bestimmte Sachen in einem großen Konsens machen. Es gibt Entscheidungen mit so großen Auswirkungen auf das Land, da muss man auch die Opposition einbinden. Wir sollten nach vorn schauen. Wir haben einige wichtige Dinge zu klären. In einer Zeit, wo die Gesellschaft sich zu radikalisieren droht, würde ich sagen: Wir sollten ein paar Sachen gemeinsam machen, weil sie eine Wirkung über diese Regierung hinaus haben."
Christian Dürr nimmt Brinkhaus beim Wort und nennt gleich einige Punkte, bei denen Regierung und Opposition zusammenarbeiten könnten: Wirtschaftsbeschleunigungsgesetz, Bürokratieabbau, Digitalisierung. Doch leise Zweifel sind angebracht. Denn am Ende muss Brinkhaus für seine Idee in der Union eine Mehrheit finden.
Quelle: ntv.de