Ukrainischer Drohnen-Kommandeur"Wir machen Europa fit für das Schlachtfeld der Zukunft"

Europas Abwehrfähigkeit und Sicherheit brauche das Know-how der Ukrainer, sagt der Kommandeur einer ukrainischen Drohnen-Einheit. Denn die Ukraine kämpft gegen Russland nicht nur einen Stellungskrieg wie im frühen 20. Jahrhundert - sie führt auch einen hochmodernen Krieg mit autonomen Systemen.
"Alle sechs Monate verändert sich an der Front alles", sagt der ukrainische Offizier Oleksandr Yabchanka bei einem Besuch in Berlin. Yabchanka ist Kommandeur der Einheit für autonome, unbemannte Systeme des sogenannten Da-Vinci-Bataillons, einer Einheit der ukrainischen Armee, die auf den Einsatz autonomer, also unbemannter Systeme spezialisiert ist - Drohnen.
"Moderne Kriegsführung basiert heute auf kontinuierlicher Überwachung, automatisierten Angriffen und robotischer Unterstützung", sagt Yabchanka. "Robotik ist zur zentralen Struktur geworden, die Frontoperationen prägt."
Yabchanka warnt eindringlich vor einem Europa, das dem russischen Rüstungshochlauf und der wachsenden Drohnengefahr nichts entgegenzusetzen hat. Gemeinsam mit der Stiftung Defense Robotics UA stellt er in einem Bericht seine Vision einer europäischen Verteidigungsindustrie vor. Yabchanka ist überzeugt: Europas Verteidigungsbereitschaft hängt von Robotik und der Ukraine ab.
Mit Drohnen gegen Panzer
"Seit unserer Gründung 2014 wissen wir, dass wir einen viel größeren Feind nur bezwingen können, wenn wir technologisch die Oberhand gewinnen", sagt Yabchanka. Sein Bataillon ist stets an den heißesten Einsatzorten der Frontlinie. Seit eineinhalb Jahren verteidigen sie den Frontabschnitt um Pokrowsk. "Als unsere Kameradin Maria Berlinska (nach Beginn des Kriegs im Donbass 2014) als eine der ersten mit Drohnen experimentierte, lachten alle", erzählt er. "Doch bereits 2022, als die Russen uns auf ganz klassische mechanisierte Weise angriffen, überraschten wir sie mit unseren Mavic-Drohnen." Der Einsatz dieser ganz einfachen Drohnen sei ein entscheidender Moment gewesen: Sie halfen zu Beginn des Kriegs, den Vorstoß der Russen auf Kiew zurückzuschlagen. Am Ende verbrannten die Panzer der zweitstärksten Armee der Welt vor der ukrainischen Hauptstadt.
In der deutschen Regierungsplanung spielen unbemannte Systeme zwar eine Rolle, allerdings noch eine eher kleine: Zwar plant die Bundesregierung im Haushalt 2026 mit einem Verteidigungsetat in Höhe von mehr als 108 Milliarden Euro. Doch der Fokus bei der Beschaffung liegt weiterhin auf bewährter Kriegsausrüstung. Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärte im Oktober, Berlin plane, in den kommenden Jahren 10 Milliarden Euro in die Drohnen-Technologie zu investieren. Doch wie passt das zur aktuellen Bedrohungslage?
"Ich hoffe, die Nato-Staaten haben einen Plan für solche Situationen"
Yabchanka, im zivilen Leben Kinderarzt, warnt vor künftigen Szenarien in Europa, die die Ukraine erlebt hat: "Stellen wir uns vor, ein paar grüne Männchen besetzen ein Dorf in einem Nato-Land. Ich bilde mir nichts Unmögliches ein: Erst kürzlich tauchten russische Soldaten in Estland auf. Und genauso sind sie im Donbass vorgegangen: Ohne Kennzeichen haben sie einfach einen Gemeinderat besetzt, und Putin hat alles geleugnet."
Heute sei die Abwehr solcher hybriden Kriegstaktiken noch komplizierter aufgrund der Drohnengefahr: "Wie geht das Land dann vor: Ruft es eine Anti-Terror-Operation aus, um mit bewaffneten Personen in gepanzerten Fahrzeugen dieses Dorf zu befreien?" Ein unrealistisches Szenario, so Yabchanka. Denn: "Angesichts der weitverbreiteten Glasfaserdrohnen wird kein gepanzertes Fahrzeug dieses Dorf erreichen." Die Drohnenpiloten auf russischer Seite würden die Einsätze ferngesteuert durchführen, so Yabchanka. "Ich hoffe, die Nato-Staaten haben einen Plan für solche Situationen."
Glasfaser-Drohnen sind aktuell das Hauptmittel, da die elektronische Kampfführung wirkungslos gegen sie ist: Sie sind über ein hauchdünnes Kabel mit ihrer Bodenstation verbunden und sind daher immun gegen das sogenannten Jamming mit Störsendern. Im Umkreis von 15 Kilometern schaffen diese Drohnen eine "Todeszone", sagt Yabchanka. Es bleibt nur, sie abzuschießen. Derzeit testet die Ukraine Systeme, um die Kabel zu durchtrennen. "Bisher sind sie aber noch nicht flächendeckend implementiert", erklärt Yabchankas Stellvertreter Oleksii Makhrinskyi. Man wisse noch nicht, wie man die Glasfaserdrohnen effektiv bekämpfen könne.
"Wir müssen die Waffe bekämpfen, die wir selbst entwickelt haben"
Innovationen bestimmen das Schicksal der Welt, glaubt der Drohnen-Kommandeur. Er weiß: Die Russen haben schnell dazugelernt und treiben die Technologien ihrerseits voran. Wurden 2022 noch achtzig Prozent der Angriffe mit Artillerie durchgeführt, sind es heute zu achtzig Prozent Drohnenangriffe. "Das heißt, sie sind nicht mehr nur unsere Augen und Ohren, sondern auch unsere Angriffswaffen." Allerdings: Ähnlich verhält es sich beim Feind. "Was wir erfinden, kopieren sie und bauen es weiter aus. Deshalb müssen wir die Waffe bekämpfen, die wir selbst entwickelt haben. Doch das Problem ist, dass wir nicht so schnell skalieren können wie die Russen."
Wie wichtig es ist, Innovationen massenhaft zu produzieren, zeigt sich in der Ukraine jeden Tag: Um den Russen einen Schritt voraus sein zu können, musste die ukrainische Rüstungsindustrie rasant um das 35-fache wachsen. Heute werden fünf Millionen Drohnen pro Jahr produziert.
Yabchanka erklärt, wie das in der Realität an der Front aussieht: "Wir bekommen ein neues Tool und dann testen wir es. Und noch am Abend rufen wir beim Entwickler an und berichten. Jeden Tag geben wir unser Feedback und besprechen mit den Kollegen im Hinterland, wie wir Probleme lösen können." Da oft keine Zeit bleibe, die Geräte hin- und herzuschicken, lernten die Soldaten, selbst jedes der neuen Systeme zusammenzubauen und zu reparieren. Yabchanka ist überzeugt: Auch Europa muss einen Weg finden, um einen solchen Produktionszyklus umzusetzen.
Der Ukraine fehlt es an Ressourcen, Deutschland an Innovationen
Deutschland sieht er nicht vorbereitet für den Drohnenkrieg der Zukunft, dafür seien die Mechanismen viel zu kompliziert, während sich die Innovationen alle sechs Monate rasant verändern. Der Ukraine wiederum fehlt es an Ressourcen, um weiterhin gegen Russlands Rüstungshochlauf zu bestehen. Dabei geht es nicht allein um Geld: Für ihre Produktion ist die Ukraine auch von chinesischen Bauteilen abhängig. An anderer Stelle gibt es Engpässe auf dem Markt, etwa bei Radargeräten, die für das Abfangen von entscheidender Bedeutung sind. Aber auch personelle Engpässe werden immer mehr zum Problem - ein unterschätzter Faktor. "Denn wir brauchen sehr schnell sehr viele Menschen mit diesem Know-how."
Beide Probleme wollen Yabchanka und Makhrinskyi gleichzeitig lösen. Aus ihrer Sicht würde Deutschland massiv davon profitieren, mit der Ukraine in diesem Bereich zu kooperieren. So sollte die Europäische Union die Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit der Ukraine ausweiten, um selbst technologisch nicht abgehängt zu werden. Dazu gehört eine Überholspur für die gemeinsame Entwicklung mit ukrainischen Drohneneinheiten und eine Strategie, um von chinesischen Komponenten unabhängig zu werden.
"Sehr wichtig ist auch die Einbindung der Zivilbevölkerung", betont Makhrinkskyi. Der Bericht von Defense Robotics UA sieht hier eine ungenutzte Ressource Europas und schlägt zivile Innovationshubs vor. In der Ukraine ist das schon Realität: So tüfteln in vielen kleinen Repair-Werkstätten Zivilisten an Drohnen und entwickeln die Technologie mit. Eine Kooperation sei auch hier sinnvoll. "Ich bin überzeugt, dass wir nur gemeinsam in der Lage sein werden, Russland technologisch an einem Angriff auf Europa zu hindern," meint Yabchanka.