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Ukraine-Krieg bei Lanz "Wir stürzen die gesamte Welt ins Chaos"

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Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht Deutschland mit in der Verantwortung, den Krieg zu stoppen.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht Deutschland mit in der Verantwortung, den Krieg zu stoppen.

(Foto: imago images/teutopress)

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert in der Talkshow von Markus Lanz ein sofortiges Ende des Krieges durch Verhandlungen - doch wie diese aussehen sollen, weiß er auf Nachfrage nicht. In der Sendung zeigt sich das ganze Dilemma des CDU-Mannes.

Der Krieg in der Ukraine dauert mittlerweile ein halbes Jahr. Seit einigen Monaten gibt es immer wieder Forderungen nach Verhandlungen, um ein Ende des Konflikts herbeizuführen. Einer der populärsten Fürsprecher dieser Lösung ist Michael Kretschmer. Am Mittwochabend ist der sächsische Ministerpräsident Gast in der Talkshow von Markus Lanz. Und er hat an diesem Abend drei Widersacher: den Moderator, ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf - und sich selbst.

Der russische Angriff auf die Ukraine war völkerrechtswidrig, räumt Kretschmer zunächst ein. Er spricht von Verbrechen und Gräueltaten, die sich in der Ukraine ereignet haben. "Aber", sagt der CDU-Politiker, "wir haben eine Verengung auf eine Sichtweise mit einer Argumentationslinie. Wir brauchen aber vielmehr eine breite Debatte, ein Wägen von Argumenten, ein Für und Wider. Gerade bei einer solchen Debatte wie Krieg und Frieden ist das sehr wichtig." Kretschmer scheint zu übersehen, dass es diese Debatte in den letzten Monaten durchaus gegeben hat - mit offenen Briefen und Diskussionen darüber. Gerade Lanz hat in seiner Sendung immer wieder Befürwortern einer militärischen Lösung und Anhängern von schnellen Friedensverhandlungen ein Podium geboten.

"Wir haben es mit einem Krieg zu tun, in dem viele Menschenrechtsverletzungen passieren. Jetzt ist ein wichtiger Moment, dafür einzutreten, dass dieser Krieg eingefroren werden muss; dass wir einen Waffenstillstand brauchen; dass wir Verhandlungen brauchen, um diesen Krieg zu beenden. Ich bin froh darüber, dass viele Menschen in Ost- und Westdeutschland das teilen", sagt Kretschmer. Es sei richtig, dass in Moskau mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher regiere. Es stimme auch, dass Putin keine Verhandlungen führen wolle. Aber es stimme nicht, dass dieser Krieg nur auf dem Schlachtfeld geführt werden könne, so Kretschmer weiter.

Nun schaltet sich ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf ein. Sie hat in den vergangenen Wochen immer wieder aus der Ukraine berichtet und mehrere Jahre in Russland gelebt. Eigendorf weist darauf hin, dass es immer wieder Verhandlungsvorschläge aus der Ukraine gegeben habe. Welche Verhandlungsvorschläge aber habe Putin seit Kriegsbeginn vorgelegt, fragt sie.

"Was wollen Sie Wladimir Putin bieten?"

"Das ist doch nicht die Frage", antwortet Kretschmer. Deutschland sei in einem großen Maß betroffen von diesem Konflikt. Die Frage sei, wie sich Deutschland in dieser Situation einbringe, und zwar mit Waffenlieferungen, mit Geld "und allen möglichen anderen Dingen". Kretschmer weiter: "Was wir brauchen, ist ein klares Umdenken. Dieser Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden." Die Frage der Reporterin beantwortet er nicht. Und das ist das Problem der gesamten Diskussion: Kretschmer gibt viele Antworten, aber oft nicht auf die gestellten Fragen. Im Laufe der Diskussion erweckt er den Eindruck, als habe er eine Überzeugung, ohne zu wissen, wie er sie in Taten umsetzen kann.

ZDF-Reporterin Eigendorf kritisiert die Idee, den Krieg "einzufrieren". Denn das würde bedeuten, Putins Maximalforderungen nachzugeben: ein Rücktritt der frei gewählten Regierung in Kiew, die Aufgabe der ukrainischen Souveränität. Kretschmer entgegnet: "Wer sagt, dass man die Forderungen Putins erfüllen muss? Wir müssen dafür sorgen, dass aus einem heißen Krieg ein eingefrorener Konflikt wird. Diese Situation haben wir an vielen Stellen in der Welt." Das mag stimmen, allerdings sind "eingefrorene" Konflikte wie zwischen Israelis und Palästinensern oder zwischen China und Taiwan alles andere als ein Garant für Frieden.

Zumindest hat Kretschmer eine Idee, wie mögliche Verhandlungen in Gang gesetzt werden könnten, ohne auf Putins Forderungen einzugehen: Er fordert eine diplomatische Initiative Deutschlands, Frankreichs, den USA, der EU, Chinas und der Türkei. "Die Frage ist: Sind wir dabei, diese Initiative zu ergreifen? Finden gerade Gespräche in Moskau statt? Sind wir dabei, diese Gespräche zu führen? Nein." Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine finde nur in einem kleinen Teil der Welt statt. "Aber wir stürzen die ganze Welt ins Chaos", sagt Kretschmer. Der Moderator fragt, wen er mit "Wir" meine. Kretschmer: "Alle, die jetzt in Verantwortung sind."

Russland habe als Aggressor natürlich die erste Verantwortung für alles, lenkt er dann ein. Russland müsse die Ukraine verlassen, aber wir alle seien verantwortlich, den Frieden zu organisieren. Lanz fragt, wie man mit jemandem verhandeln solle, der nicht verhandeln will. Kretschmer entgegnet, diese Argumentationslinie führe dazu, dass der Krieg fortgesetzt werde. Doch der Moderator beharrt auf seiner Frage. Kretschmer verweist auf Diplomatie.

Dann schaltet sich Eigendorf ein und fragt, was er, Kretschmer, denn mit Putin besprechen würde, wenn er die Möglichkeit hätte. Kretschmer antwortet kurz: "Das ist nicht meine Aufgabe." Eigendorf fragt erneut. Kretschmer: "Das wird sich zeigen." Dann will Eigendorf wissen, was er Putin anbieten würde. Kretschmer weicht aus: "Ich würde sagen, die Erfahrung der Diplomatie zeigt, dass es eine Anzahl von Verbündeten braucht."

Gegen Ende der Diskussion wirft Kretschmer einen Blick in die Zukunft, und dabei zeigt sich die wahre Zerrissenheit des CDU-Mannes. Europa müsse mit Russland leben. Deswegen sei es wichtig, Stärke zu zeigen, das sei das einzige, was Menschen wie Putin verstünden. Deutschland brauche eine eigene Stärke, sowohl ökonomisch als auch militärisch. Diese Stärke scheint Kretschmer der Ukraine nicht zugestehen zu wollen. Waffenlieferungen in das Kriegsland hatte er zuletzt kritisiert.

(Dieser Artikel wurde am Donnerstag, 25. August 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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