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Israel feiert Ex-General Ziv "Zu dritt kämpften wir über drei Stunden gegen die Terroristen"

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Der frühere General Israel Ziv wird in seinem Heimatland als Held gefeiert - er kämpfte spontan gegen die Hamas-Terroristen und rettete mehreren Menschen das Leben.

Der frühere General Israel Ziv wird in seinem Heimatland als Held gefeiert - er kämpfte spontan gegen die Hamas-Terroristen und rettete mehreren Menschen das Leben.

(Foto: Tal Leder)

Am Morgen des 7. Oktober macht der 66-jährige Ex-General Israel Ziv eine Radtour, als er von dem Morden auf dem Musikfestival und dem Raketenbeschuss aus Gaza hört. Sofort zieht er seine Uniform der Israel Defence Forces (IDF) an, schnappt sich seine Waffe und fährt Richtung Süden, um sich den Hamas-Terroristen entgegenzustellen.

ntv.de: Als ehemaliger General fuhren Sie während des Massakers in den Süden. Wie kam es dazu?

Israel Ziv: Bis vor 20 Jahren war ich IDF-Kommandeur der Gaza-Region. Zwar bin ich offiziell nicht mehr im Dienst, doch meine Verantwortung gegenüber der Bevölkerung gilt auch heute. Ebenso für die Offiziere der Division dort. Ich war früher ihr Vorgesetzter und die meisten sind im Laufe der Jahre meine Freunde geworden. Als mir um 7 Uhr morgens klar wurde, dass etwas Ungewöhnliches passiert, handelte ich instinktiv. Ich zog meine Uniform an, nahm meine Pistole und fuhr dorthin, um zu sehen, wie ich helfen kann.

Wie war die Situation vor Ort?

In all meinen verantwortlichen Positionen als IDF-General war ich immer auf Begebenheiten vorbereitet, die meine Vorstellungen übersteigen könnten. Als ich kurz nach 10 Uhr dort ankam, fand ich eine Situation vor, wie ich sie in meiner gesamten Karriere noch nicht gesehen habe.

Wie meinen Sie das?

Die Gegend war in der Hand der Hamas. Die Straßen sahen aus wie in der Ukraine nach der russischen Invasion: überall verbrannte Autos, jede Menge Leichen. Ein Kriegsgebiet auf unserem eigenen Territorium.

Gab es keine IDF-Soldaten dort?

Kaum, erst kurz nach 15 Uhr sah ich massive Truppenbewegungen in Richtung der angegriffenen Ortschaften. Doch acht Stunden lang hatten wir das Gebiet nicht unter Kontrolle. Es war voller Terroristen und es herrschte totales Chaos.

In welche Richtung fuhren Sie?

Ich kam zügig nach Sderot. Dort sagte mir die Grenzpolizei, dass sie trotz massiver Hamas-Präsenz genügend Beamte hätten. Also fuhr ich weiter zur Ortschaft Scha’ar HaNegev, wo sehr viele Terroristen waren.

Haben die Terroristen auf Sie geschossen?

Sie eröffneten sofort das Feuer. Zwei Soldaten kamen mir zu Hilfe, und wir konnten einige ausschalten, bis Verstärkung anrückte. Ich erhielt Anrufe von Eltern, deren Kinder auf dem Musikfestival waren, das - anders als die Ortschaften - total ungeschützt war. Wir machten uns auf und fuhren nach wenigen Minuten am Kibbuz Mefsalim vorbei, wo wir in einen Hinterhalt der Hamas gerieten. Zu dritt kämpften wir über drei Stunden gegen die Terroristen, ehe wir dort eine Frau und ihre Tochter aus dem Panikraum holen konnten. Diese bat uns, ihren Sohn Amir Tibon - ein bekannter Journalist der Zeitung "Haaretz" - im Kibbuz Nahal Oz zu retten.

Und Sohn eines Ex-Generals?

Ich bat seinen Vater, Noam Tibon - der an diesem Tag vielen Menschen half -, mit mir nach Nahal Oz zu kommen. Dort schloss er sich einem Fallschirmjägerbataillon an und konnte seinen Sohn retten. Ich fuhr zum Kibbuz Be´eri weiter, wo viele Kinder keinen Ausweg fanden und es schwere Kämpfe gab.

Wann erreichten Sie das Musikfestival?

Ich kam so gegen 17 Uhr an und was ich vor mir sah, war das schlimmste Szenario in meinem Leben. Es gab ein Meer von Autos und erst später verstand ich, dass die Terroristen IDF-Uniformen trugen und den Menschen rieten, zu ihren Autos zu laufen. Dort begannen sie, auf sie zu schießen. Ich sah die jungen Menschen tot auf ihren Sitzen und halb nach draußen fallend. Einige lagen auch zwischen den Autos.

Gab es dort keine Terroristen mehr?

Dort sah ich keine, also rannte ich zu jedem Auto und versuchte, Leben zu retten. Ich habe bestimmt bis zu 60 Menschen den Puls gefühlt, doch sie waren alle tot.

Wie viele Menschen haben Sie gerettet?

In einem Wald neben dem Festival fand ich einige Frauen, die sich unter Blättern versteckten. Es waren bestimmt sechs oder sieben junge Leute, die ich selbst rettete, aber meine Hilfe bestand hauptsächlich darin, den Spezialeinheiten beratend zu Seite zu stehen. Vor allem in den Kibbuzim Be´eri und Kfar Asa, wo die Situation besonders schwierig war. In vielen WhatsApp-Nachrichten schrieben mir Bewohner, wo sie sich versteckt hielten. Da es dort noch weiter Terroristen gab, schickten wir ständig Truppen, um die Menschen zu retten.

Fünfzig Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg ist Israel erneut von seinen Feinden überrascht worden. Wie konnte es dazu kommen?

Das ist die große Frage, die mir seit diesem schwarzen Samstag im Kopf herumschwirrt. Scheinbar haben wir nichts gelernt. Wir waren arrogant und sahen die Hamas mehr als eine Terrororganisation, die in der Lage ist, Anschläge zu verüben. Israel bemerkte nicht, dass sie sich organisierten und als richtige Armee eine Offensive eröffneten. Ihre Anzahl an Truppen, sowie die genaue Planung und auch die Überraschung waren immens. Unser System brach einfach zusammen. Israels Geheimdienste konnten das ganze Bild nicht zusammensetzen. Der teure Grenzzaun, den wir für unüberwindbar hielten, ließ uns alle ruhig schlafen. Wir dachten, niemand kann daran vorbeikommen.

Die Bodenoffensive hat teilweise schon begonnen. Können dadurch die Geiseln befreit werden, oder ist es eher eine Gefahr für sie?

Es könnte sie gefährden, aber es bietet auch die Chance, sie zu retten. Denn die Hamas hält sie als eine Art Faustpfand gegen Israel und auch für ihr eigenes Überleben. Sobald sie erkennen, dass unsere Bodenoffensive massiv startet und sie entscheidend schwächt, könnten sie die Geiseln nutzen, um sich selbst zu retten. Wir gaben ihnen die Chance, eine Einigung zu erzielen. Aber wie man sieht, geht unsere Geduld langsam zu Ende.

Welche Ziele verfolgt Israel jetzt in diesem Krieg? Kann es die Hamas stürzen?

Wir haben keine andere Chance. Ich war auch nächsten Tag dort und sah viele Leichen von älteren Menschen, die von den Terroristen an die Wand gestellt und - wie bei den Nazis - erschossen worden waren. Unsere Bevölkerung wird nicht dorthin zurückgehen, um sich wieder in dieser Gegend neben der Hamas jenseits dieses Zauns niederzulassen, selbst wenn die Terroristen geschwächt wurden. Niemand würde dies tun. Es muss eine drastische Veränderung geben. Selbst wenn es Jahre dauert.

Viele sehen Sie jetzt als Helden. Könnten Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen?

Die guten und verantwortungsbewussten Menschen müssen ihre Kräfte neu einteilen. Nach diesem Krieg brauchen wir die Unterstützung aller zum Wiederaufbau, mich eingeschlossen. Wir alle können nach einer solchen Krise nicht einfach so zum Alltag zurückkehren und die gleichen Dinge wie vorher tun. Die Menschen in Israel brauchen uns.

Mit Israel Ziv sprach Tal Leder

Quelle: ntv.de

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