"Ich habe mich geirrt" Netanjahu attackiert Geheimdienste - und muss zurückrudern
29.10.2023, 10:19 Uhr Artikel anhören
Wäscht die Hände in Unschuld: Benjamin Netanjahu will nichts von Warnungen gewusst haben.
(Foto: dpa)
Israels Regierungschef Netanjahu gibt sich ahnungslos: "Unter keinen Umständen und zu keinem Zeitpunkt wurde der Ministerpräsident vor kriegerischen Absichten der Hamas gewarnt", schreibt er. Es folgt ein Aufschrei der Empörung. Inzwischen ist der Post verschwunden und Netanjahu tut Abbitte.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat dem Geheimdienst schwere Vorwürfe gemacht - einen entsprechenden Post auf der Plattform X dann aber nach massiver Kritik wieder gelöscht. Wenig später entschuldigte er sich für seine Worte.
In einem Post auf X aus der Nacht hatte Netanjahu die Geheimdienstchefs beschuldigt, ihn nicht vor Kriegsabsichten der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Palästinenserorganisation Hamas gewarnt zu haben. "Unter keinen Umständen und zu keinem Zeitpunkt wurde der Ministerpräsident vor kriegerischen Absichten der Hamas gewarnt. Im Gegenteil, alle Sicherheitsvertreter, einschließlich des Militärgeheimdienstchefs und des Chefs von Schin Bet (Inlandsgeheimdienst) waren der Einschätzung, dass die Abschreckung gegen die Hamas wirkt und diese eine Verständigung anstrebt." Diese Einschätzung sei dem Ministerpräsidenten und der Regierung immer wieder vorgelegt worden, bis zum Ausbruch des Kriegs, hieß es weiter.
Am Morgen war der Post allerdings nicht mehr abrufbar. Im Laufe des Vormittags veröffentlichte Netanjahu dann eine Entschuldigung: "Ich habe mich geirrt", heißt es in einem Post auf X. Dinge, die er nach einer Pressekonferenz gesagt habe, hätten nicht gesagt werden dürfen und er entschuldige sich dafür. Er gebe allen Chefs der Sicherheitskräfte seine volle Unterstützung, so Netanjahu weiter. "Gemeinsam werden wir gewinnen."
Harsche Kritik an Netanjahu
Nach Medienberichten ist der Hintergrund von Netanjahus Post eine Frage bei einer seltenen Pressekonferenz am Samstagabend. Ein Journalist des Armeesenders hatte gesagt, Netanjahu habe vor dem Massaker von dem Militärgeheimdienst und Schin Bet Dokumente erhalten, die vor einer wachsenden Kriegsgefahr gewarnt hätten. Er fragte den Regierungschef, ob er diese Briefe ignoriert habe. In dem X-Post Netanjahus war von "lügnerischen Behauptungen" die Rede.
Die Aussagen des Ministerpräsidenten riefen Empörung hervor. Benny Gantz, Mitglied des Kriegskabinetts, sowie Oppositionsführer Yair Lapid griffen Netanjahu scharf an. Gantz forderte in einem Post, dass der Premier seine Aussage zurückziehen müsse. Lapid erklärte, dass er am 20. September eine Warnung veröffentlicht habe. Das Geheimdienstmaterial, auf das er sich gestützt habe, sei auch Netanjahu vorgelegt worden.
Auch der Sprecher der israelischen Streitkräfte (IDF), Daniel Hagari, zeigte sich empört über den Vorwurf des Premiers. In seinem Morning-Briefing schrieb er: "Was stand in den Briefen, die im Sommer von den Leitern der Sicherheitskräfte verschickt wurden und in denen vor der Spaltung des Landes gewarnt wurde? (…) Der Premierminister bestand darauf, die Schuld auf die IDF zu schieben und sich vor der Verantwortung zu drücken."
Berichte über verdächtige Vorfälle im Gazastreifen
Soldatinnen, deren Aufgabe die ständige Beobachtung des feindlichen Gebiets ist, hatten kürzlich berichtet, sie hätten in den Wochen und Monaten vor dem Angriff bedrohliche Bewegungen im Gazastreifen bemerkt und davor gewarnt. Diese Warnungen seien jedoch von den Vorgesetzten ignoriert worden.
Terroristen der Hamas und anderer Organisationen waren vor drei Wochen überraschend auf israelisches Gebiet vorgedrungen und hatten dort Massaker unter Zivilisten verübt. Israel hat seitdem mehr als 1400 Tote zu beklagen, weit mehr als 200 Menschen wurden verschleppt.
Anders als führende Repräsentanten von Militär, Geheimdienst und Verteidigungsminister Joav Galant weigert Netanjahu sich bisher beharrlich, eine Mitverantwortung für das israelische Versagen am 7. Oktober einzugestehen.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa