Politik

Robert Habeck in Sachsen Zwischen "Handwerksliebling" und "Volksverräter"

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Hat in vielen Teilen von Ostdeutschland einen schweren Stand: Robert Habeck (Mitte).

Hat in vielen Teilen von Ostdeutschland einen schweren Stand: Robert Habeck (Mitte).

(Foto: dpa)

Auf seiner Sommerreise tourt Wirtschaftsminister Habeck durch Ostdeutschland. Mit der Sorge vor AfD-Erfolgen steigen dort die Erwartungen an den Grünen. Doch Habeck verpasst seine Chance.

Robert Habeck ist mal wieder aufgekratzt. Er soll einen Dachziegel schneiden. Kräftig drückt er die Presse durch, der Ziegel aber zerbricht recht unförmig. "Hab ich das zu sehr mit Schmackes gemacht?", fragt Habeck den Chef der Dachdeckerei. Ja, schon. Erst im zweiten Versuch klappt es so halbwegs. Mit der Brechstange funktioniert es nicht - beim Dachziegel lassen sie das dem Wirtschaftsminister bei seinem Besuch am Freitagmorgen durchgehen. Beim Heizungsgesetz sieht es schon etwas anders aus. Habeck habe sich dafür zu wenig Zeit genommen, sagt Jörg Dittrich, der Geschäftsführer des Dachdeckerbetriebes in Ottendorf-Okrilla bei Dresden. Als immerhin "tragbar" bezeichnet Dittrich die Lösung, die am Ende für das Gesetz gefunden wurde.

Es ist eine Reise in komplizierten Zeiten in eine komplizierte Region für Habeck. Zwei Tage lang tourt er durch Sachsen. Der Grünen-Politiker ist für viele hier eine Reizfigur. 90 Prozent der Bürger in Ostdeutschland lehnten im Frühjahr seine geplante Pflicht zum Heizungstausch ab. In Sachsen, aber auch in Thüringen und Brandenburg, steht die AfD vor einem Sieg bei den Landtagswahlen im nächsten Jahr. Doch Habeck wird an diesen beiden Tagen lernen: Am Heizungsgesetz allein liegt es nicht.

Beim Dachdecker in Ottendorf-Okrilla geben sie sich alle Mühe, dass der grüne Besucher sich wohlfühlt. Habeck bekommt Arbeitshandschuhe geschenkt und ein Modell für Dachbegrünung gezeigt. "Grünzeugs" steht darauf und der Minister lächelt. "Wusste ich, dass Ihnen das gefällt", sagt Jörg Dittrich. Seine 80 Mitarbeiter tun schon jetzt vieles, was Habeck gefällt: Sie installieren Dresdens Bürgern die gewünschte Solaranlage und dämmen ihre Dächer klimagerecht. Und doch fehlt es Dittrich an Unterstützung aus Berlin. Er brauche bezahlbare Energie, gibt er Habeck mit, und weniger Bürokratie. Vor allem der Fachkräftemangel sei ein Problem. Die Politik müsse Berufsausbildungen einen höheren Stellenwert geben. "Wir sagen immer im Handwerk: keine Wende ohne Hände." Wenn du uns vergisst, kannst du deinen Klimaschutz vergessen - so lautet die implizite Drohung an den Minister.

Habeck will wieder in die Offensive kommen

Für Habeck aber liegt darin auch eine Chance und er weiß das. Wer einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wolle, sagt er bei seinem Werksbesuch, könne doch eine Ausbildung im Handwerk machen. Es ist Habecks Versuch, nach den quälenden Wochen der Heizungsdebatte wieder in die Offensive zu kommen: Positive Geschichten vom Klimaschutz erzählen - nicht jene von Verbot und Verzicht. Das Handwerk kann dabei ein wichtiger Verbündeter sein, gerade im Osten.

Der grüne Minister aber braucht auch die Großindustrie. Am Donnerstag ist er zusammen mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock beim Chiphersteller Infineon in Dresden. Habeck und Baerbock sehen in ihren Schutzanzügen aus wie vollverschleierte Assistenzärzte, gerade mal die Augen sind noch zu sehen. Hier im sogenannten Reinraum müssen Staubpartikel auf ein absolutes Minimum begrenzt werden, um die Halbleiter zu schützen. Habeck ist nicht zufällig hier, denn Chips sind essenziell für die Energiewende, etwa für E-Autos oder Wärmepumpen.

Für die Region aber ebenso entscheidend: Infineon beschäftigt in Dresden 3.500 Menschen. Das Unternehmen baut hier gerade eine weitere Produktionshalle, 1.000 neue Jobs entstehen. "Ein starkes Signal des Vertrauens in den Standort" sei das, sagt Habeck. Dieses Signal aber könnte ihn bis zu eine Milliarde Euro kosten, denn so viel Förderung vom Staat fordert Infineon für die zusätzliche Fabrik. Beim Werksbesuch spricht sich Habeck für Hilfen aus, wenn es um Schlüsseltechnologien geht.

Wirtschaftsminister hält Heizungsgesetz für kaum mehr umstritten

Die wirtschaftliche Lage in Sachsen also ist angespannt, aber sie könnte schlechter sein. In jedem Fall ist sie besser als die Stimmung. Bei einem Treffen mit Unternehmern erfährt Habeck, dass die gesellschaftliche Situation im Land auf der Kippe sei. Sie fürchten, ein AfD-Erfolg bei der Landtagswahl 2024 würde dem Image der Region schaden. Nach dem Gespräch sei er bewegt gewesen, sagt Habeck.

Eine eigene Verantwortung für den Aufschwung der AfD aber mag er nicht so recht erkennen. Wer den Grünen vorwerfe, den Bürgern zu viel abzuverlangen, der verwechsele Ursache und Wirkung, sagt er im ntv-Interview. Es seien der Ukraine-Krieg, die Energie- und die Klimakrise, die den Menschen viel abverlangten. Die Grünen würden dagegen ankämpfen. Die Aufregung um das Heizungsgesetz hält Habeck sogar für weitgehend erledigt. Noch im April habe es viel Hass und Wut gegeben, jetzt seien die Inhalte des Gesetzes kaum mehr umstritten. "Wir haben eine im Moment aufgewühlte Debatte vielleicht schon hinter uns." Auf die Frage, was er tun könne, um die AfD zurückzudrängen, kommt wenig: "Ich kann hoffentlich einen Beitrag dazu leisten, dass die Diskussion eine ruhigere, sachlichere und konstruktivere wird."

Man hätte auf der Reise gerne erfahren, was die Menschen im Osten von Habeck erwarten. Doch der Vizekanzler reist er nur von einem sorgfältig geplanten Werkstermin zum nächsten. Mit den Bürgern auf der Straße kommt er zwei Tage lang nicht in Kontakt. Einen für Donnerstag geplanten Bürgerdialog habe er kurzfristig absagen müssen, ist aus dem Wirtschaftsministerium zu hören. Der Vizekanzler musste länger in Berlin bleiben, weil die Kabinettssitzung der Bundesregierung wegen des NATO-Gipfels von Mittwoch auf Donnerstag verschoben wurde.

Ein Ersatzformat auf die Beine zu stellen, war offenkundig nicht mehr möglich. Es müsse ausreichend zeitlicher Vorlauf da sein, um ein Format zu organisieren, bei dem Leute gut zu Wort kommen könnten, lässt sein Haus ausrichten. Soll heißen: Womöglich wäre mehr gepöbelt als diskutiert worden. Beim Besuch eines Getriebeproduzenten in der Nähe von Chemnitz steht auch prompt eine Gruppe Demonstranten vor dem Werkstor und schimpft Habeck einen „Volksverräter“ und „Kriegstreiber“. Aufgerufen hatten die rechtsextremen "Freien Sachsen".

Grüne müssten mehr mit den Menschen sprechen

Trotzdem bleibt der Eindruck: Habeck hat eine Chance verpasst. Gerade in den neuen Bundesländern müssten die Grünen mehr mit den Menschen sprechen. Ihre Themen spielen hier, außerhalb der großen Städte, entweder keine Rolle - Wohnungsnot, Tempo 30, Transgenderrechte - oder ihre Politik wird vehement abgelehnt: das Heizungsgesetz, offene Grenzen für Geflüchtete, Waffenlieferungen an die Ukraine.

Viele Menschen nehmen Habeck übel, dass er den Kohleausstieg auch hier auf 2030 vorziehen will und als Minister das Ölembargo gegen Russland forciert hat und damit Arbeitsplätze in der PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt aufs Spiel setzt. Sich in einer solchen Stimmung bei seiner Sommertour auf einen sächsischen Marktplatz zu stellen, das war dem Minister zu riskant. Aus Sicherheitsgründen ist das verständlich. Und doch ist es schade für einen, der sich immer zugutegehalten hat, auch dort in den Ring zu steigen, wo es wehtut.

Quelle: ntv.de

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