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Eine radikale Zäsur Auf die USA ist kein Verlass mehr

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Partner oder Gegner? Merkel und Trump beim G7-Gipfel auf Sizilien.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Meinungsverschiedenheiten zwischen Europa und den USA sind nichts Neues. Doch beim letzten Mal, vor vierzehn Jahren, war die Substanz der europäisch-amerikanischen Beziehungen nicht gefährdet. Das ist mittlerweile anders.

US-Präsident Donald Trump war erst seit wenigen Stunden zurück in der Heimat, da machte Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich, was sie von seiner Reise gelernt hat. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen."

Merkels Sätze erinnern an ihren Vorgänger und sein Nein zum Irak-Krieg. Im Sommer 2002 sagte Gerhard Schröder: "Wir sind zu Solidarität bereit. Aber dieses Land wird unter meiner Führung für Abenteuer nicht zur Verfügung stehen." Auch diese Sätze waren als Abgrenzung von den USA gemeint.

Auch damals, zur Zeit von George W. Bush, war das deutsch-amerikanische Verhältnis an einem Tiefpunkt. Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sprach abfällig vom "alten Europa". Dort, im westlichen Teil der EU, hielten Regierungen und Bürger den Präsidenten in Washington für minderbemittelt.

Eine weitere Übereinstimmung gibt es zwischen den beiden Szenen: Beide sind Teil eines Wahlkampfes. Schröder sagte seine Sätze im Bundestagswahlkampf, und auch Merkels Äußerungen fielen im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung.

Aber eines ist anders. Merkel ist die Vorsitzende der CDU, für die ein enges Verhältnis zu den USA noch wichtiger ist als für die anderen deutschen Parteien. Und auch die Grundstimmung war eine andere. Nach Beginn der Luftangriffe auf Bagdad betonte Schröder in einer Fernsehansprache im März 2003, er halte den Krieg für einen Fehler. Doch er fügte hinzu: "Die Substanz unserer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist nicht gefährdet."

Die gemütlichen Zeiten sind vorbei

Vermutlich würde Merkel einen solchen Satz im Zweifel heute auch sagen. Aber man müsste bezweifeln, ob er noch stimmt. Die Substanz unserer Beziehungen zu den USA ist erheblich gefährdet, und das liegt nicht nur daran, dass der amtierende Präsident selbstverliebt und ignorant ist. Trump ist ja nicht vom Himmel gefallen, er ist gewählt worden und genießt weiterhin die Unterstützung seiner Wähler und seiner Partei, auch wenn einzelne Republikaner sich manchmal ein bisschen für ihn genieren.

Dass die USA sich aus der Gemeinschaft westlicher Staaten verabschieden, ist eine reale Gefahr. Und es ist eine Gefahr, da sollte man sich nichts vormachen. Ohne die USA hätte es das westliche Projekt – diesen keineswegs perfekten Versuch, Freiheit und Demokratie zu organisieren – nie gegeben. Jetzt geht es darum, sicherzustellen, dass es künftig auch ohne sie funktionieren kann.

Für Europa ist das eine radikale Zäsur. Die Zeiten, in denen sich Europa darauf verlassen konnte, dass die USA einspringen werden, wenn es drauf ankommt, sind vorbei. Vor allem für Deutschland waren es gemütliche Zeiten: Die USA garantierten die Sicherheit, Länder wie Deutschland konnten aus der Distanz die Verfehlungen Amerikas kritisieren, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen.

Wie tief diese Zäsur ist, erkennt man schon daran, dass Merkels Haltung Konsens ist. Das war 2002 und 2003 anders, damals kritisierte Merkel als Oppositionsführerin Schröder für seine Kritik an den USA. Dagegen stimmt SPD-Chef Martin Schulz der Bundeskanzlerin weitgehend zu. "Eine stärkere Kooperation der europäischen Staaten auf allen Ebenen ist die Antwort an Donald Trump", sagte er am Sonntag. Ihm geht Merkels Kritik nicht weit genug. Die Kanzlerin hätte sich schon auf dem Nato-Gipfel in Brüssel, spätestens aber beim G7-Gipfel auf Sizilien so deutlich positionieren müssen. Das kann man so sehen, ist letztlich aber nur eine Stilfrage.

Anders als vor vierzehn Jahren gibt es heute keine relevante politische Stimme mehr, die Kritik an den USA pauschal als Antiamerikanismus verunglimpft. Wie auch, Merkel hat schlicht Recht: Europa muss sein Schicksal jetzt selbst gestalten. Idealerweise mit den USA. Aber immer eingedenk der Tatsache, dass es zur Not auch ohne sie gehen muss.

Quelle: ntv.de

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