Kommentare

Scharfer Asylkurs Der kapitale Fehler des Friedrich Merz

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Seinen Antrag hat Friedrich Merz am Mittwoch nur mit Hilfe der AfD durch den Bundestag gebracht. Am Freitag könnte mit dem "Zustrombegrenzungsgesetz" das nächste Kapitel folgen.

Seinen Antrag hat Friedrich Merz am Mittwoch nur mit Hilfe der AfD durch den Bundestag gebracht. Am Freitag könnte mit dem "Zustrombegrenzungsgesetz" das nächste Kapitel folgen.

(Foto: dpa)

Die große Mehrheit der Deutschen plädiert für eine schärfere Asylpolitik. Sie möchte aber auch nichts mit der AfD zu tun haben. Der CDU-Kanzlerkandidat versucht die Quadratur des Kreises. Die Frage ist: Mit welchem Koalitionspartner will er seinen radikalen Kurs durchsetzen, ohne Vertrauen zu verlieren?

Angela Merkel hatte einen glaubhaften Grund, warum sie sich öffentlich rar machte und die CDU links liegen ließ: Sie schrieb über viele Monate ihre Autobiografie. Derweil bemühte sich Friedrich Merz, die Partei ein Stück weit nach rechts zu rücken. Nun ist Merkels Buch erschienen und es zeigt sich mehr denn je: Die Ex-Kanzlerin will mit ihrer Partei nicht mehr so viel zu tun haben. Gerade mal einen Auftritt absolvierte sie für die CDU in der heißen Wahlkampfphase vor der Bundestagswahl - es soll der einzige bleiben. Abgesehen davon: Von ihrer halbstündigen Rede auf dem Neujahrsempfang der nordrhein-westfälischen Christdemokraten in Düsseldorf gab sie ein paar Sekunden dafür her, für die Partei zu werben.

In ihrer ungelenken Sprache sagte Merkel: "Auch wenn ich nicht mehr aktiv im Wahlkampf tätig bin, dann wünsche ich natürlich der CDU - allen Kandidatinnen und Kandidaten - das Allerbeste, damit die Christlich-Demokratische Union zusammen mit der CSU stärkste politische Kraft in Deutschland wird und dass Friedrich Merz dadurch das Mandat erhält, Bundeskanzler zu werden." Von dem, was man Wahlkampf nennen könnte, keine Spur - ein bescheidener Einsatz für eine Partei, deren Vorsitz sie 18 Jahre lang innehatte.

Merz, inzwischen Chef der Christdemokraten, fehlte auf der Veranstaltung, obwohl Nordrhein-Westfalen seine Heimat ist. So blieb ihm der Eiertanz erspart, seine nach wie vor populäre Vorgängerin zu loben und bald darauf den Leuten in Hallen und auf Plätzen zu erklären, warum er ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik für fatal hält. Wie kurz darauf in Flensburg, als Merz von der finanziellen und personellen Überlastung ärztlicher Versorgung, Schulen, Kitas und dem Wohnungsmarkt infolge der Flüchtlingswelle sprach, die er Merkel zur Last legt. "Da können wir uns anstrengen, wie wir wollen: Das werden wir nicht schaffen", verkündete er. "Unter meiner Führung werden die Zahlen drastisch runtergehen, weil wir es ernst meinen mit der Begrenzung der illegalen Migration nach Deutschland."

"Keine Tabus"

Schon nach den islamistisch motivierten Morden in Solingen vergangenen Sommer kündigte Merz vollen Einsatz der Union für eine drastische Begrenzung der Migration an. "Wir denken nicht über einen Zaun nach", sagte der Kanzlerkandidat. Ansonsten forderte er "keine Tabus", um "den Zustrom von Asylbewerbern signifikant zu senken". Deutschland sollte die Notlage erklären, um bei Abweisungen an der Grenze EU-konform agieren zu können.

Die CDU/CSU-Fraktion, die Merz führt, erarbeitete einen Gesetzentwurf "zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland". Nach der ersten Lesung im Plenum des Bundestags votierten im Innenausschuss Union, BSW und AfD dafür, SPD, Grüne und FDP mit ihrer damals noch stehenden Mehrheit dagegen. Die Öffentlichkeit nahm kaum Notiz davon. Bald darauf zerbrach die Ampel. Die Union stellte ihren Antrag im Parlament nicht zur Abstimmung - aus Angst, dass der Bundestag ein Gesetz mit den Stimmen von Union und AfD beschließen könnte, was jeden "Brandmauer"-Schwur zu einem Lippenbekenntnis gemacht hätte.

Dann kam Aschaffenburg. Der Christdemokrat änderte erneut seinen Kurs, verbunden mit einem Spagat, der schmerzen muss. Der Öffentlichkeit zu vermitteln, im Grunde nichts gegen eine Zustimmung der AfD zu haben, weil "wir nicht nach links oder rechts schauen", aber zugleich sich von der Rechtspartei zu distanzieren - ein kommunikatives Ding der Unmöglichkeit. SPD und Grüne führen absehbare Brüche nationaler und europäischer Gesetze ins Feld, statt sich zu überlegen, wie das Ziel, die Asylbewerberzahlen deutlich zu senken, rechtskonform erreicht werden kann.

Doch auch wenn SPD und Grüne mit ihrer Empörung im Bundestag überziehen: Die Brandmauer ist zum Stolperstein für Merz geworden, da kann er reden, was er will. Vor allem schätzt er weite Teile der Bevölkerung falsch ein, die zwar in Umfragen klare Kante in der Migrationspolitik, aber mit allem, was nach rechtsradikaler "Fliegenschiss"-Partei riecht oder stinkt, nichts zu tun haben wollen. Beides gleichzeitig geht objektiv nicht. Für einen harten Kurs in der Asylpolitik, wie ihn Merz vorschlägt, damit die Bundesrepublik die innere Sicherheit verbessern und den Menschen die Angst nehmen kann, gibt es aktuell nun mal keine Mehrheit im Bundestag ohne die AfD.

Merz hat sich selbst eine Zwickmühle gebastelt

SPD und Grüne wollen grundsätzlich nichts am Asylrecht ändern, weshalb sie keine Vorschläge machen, sondern im Wahlkampf auf die Brandmauer-Debatte setzen. Es ist ihr gutes Recht zuzuschauen, ob und wie Merz die Zwickmühle löst, die er sich selbst gebastelt hat. Am Mittwoch hat die AfD gemeinsam mit der FDP der Fünf-Punkte-Initiative der Union eine Mehrheit verschafft. Das Papier ist letztlich nur ein relativ unverbindlicher Entschließungsantrag. Aber am Freitag steht das "Zustrombegrenzungsgesetz" im Bundestag auf der Tagesordnung. Was passiert, wenn auch das mit derselben Mehrheit angenommen wird? Welches Ministerium soll das neue Gesetz umsetzen? Innenministerin Nancy Faeser wird den Teufel tun, das - aus Sicht der SPD - Teufelszeug von Merz zu unterstützen. Von den Bundesländern mit Regierungen unter SPD- und Grünen-Beteiligung ganz zu schweigen. Falls der Gesetzentwurf überhaupt eine Mehrheit im Bundesrat fände, was sehr unwahrscheinlich ist, dann müsste die neue Regierung sich an die Umsetzung machen. Nur, wie kann die neue Regierung jetzt noch aussehen? Und wie Kompromisse?

Klare Kante in der Asylpolitik muss das Gebot sein, wenn die AfD nicht in vier Jahren stärkste Kraft werden und die Polarisierung keine amerikanischen Ausmaße annehmen soll. Genau hier hat Merz den kapitalen Fehler begangen. Dass er nicht gewartet hat mit seinem Hochrisiko-Vorstoß, verdient durchaus Respekt, übrigens selbst dann, wenn man den Inhalt ablehnt. Doch muss der CDU-Politiker auch erklären, bis wann und wie er das Vorhaben personell sowie EU-konform schaffen will - und mit welchem Koalitionspartner. Die Grünen scheiden faktisch aus, die werden nicht so weit mitgehen, wenn sie in einer Regierung mit der Union nicht die FDP geben wollen. Also die SPD. Da können wir gespannt sein, was die Jusos sagen werden.

Bleibt also eine Minderheitsregierung. Das wäre neu in Deutschland. Doch auch dann muss Merz als Kanzler immer wieder mit Zustimmung der AfD rechnen, was sie absehbar hoffähig macht. So riskiert der Christdemokrat also absehbar Wählerenttäuschung - in die eine oder andere Richtung.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen