Interview mit Tucker Carlson Putin zeigt die Abgründe seiner Parallelwelt


In seinem zweistündigen Gespräch zeigt Putin, warum Gespräche mit ihm so schwierig sind. Schuld sind immer die anderen, insbesondere die USA, aber auch Deutschland und natürlich die Ukraine. Russland und vor allem er werden angeblich konsequent missverstanden.
Man kann Kanzler Olaf Scholz nach diesem Interview fast verstehen, wenn er keinen Sinn darin mehr sieht, mit Wladimir Putin zu telefonieren. In dem zweistündigen Vortrag, den der russische Präsident dem rechtspopulistischem US-Journalisten Tucker Carlson hielt, präsentierte er ein gefestigtes Weltbild, in dem Russland vor allem eines ist: ein Opfer, das sich wehrt. Ob ihn das alles selbst überzeugt, weiß man natürlich nicht. Die Art und Weise, wie er sprach, deutet aber darauf hin, dass der russische Präsident seine eigene Propaganda glaubt.
Was Putin da von sich gab, war nicht neu. Der Westen soll Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Stich gelassen und den Kalten Krieg einfach weitergeführt haben. Das sei daran zu sehen gewesen, dass die NATO sich weiter nach Osten ausgedehnt habe. Wobei, das ist genau die Sprache, die Putin gefallen würde. Denn die NATO hat sich weniger ausgedehnt, als dass Polen, Ungarn, Tschechien, die baltischen Staaten und andere sich aktiv um eine Mitgliedschaft beworben haben. Warum wohl? Bestimmt nicht, weil Russland immer so ein überaus freundlicher Nachbar gewesen wäre. Aber diesen Teil der Geschichte beleuchtet Hobby-Historiker Putin nicht.
Wieder beschwor er den Mythos, Russland sei nach 1990 versprochen worden, es werde keine NATO-Osterweiterung geben - dieses Versprechen gab es aber so nicht. Vor allem gab es keinerlei Verträge in diese Richtung. Sehr wohl gab es aber einen Vertrag, das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland die Grenzen der Ukraine anerkannte und Kiew als vertrauensbildende Maßnahme alle seine Atomwaffen abgab. Diesen Vertrag aber hat Putin gebrochen. Genau wie die Minsker Abkommen. Allerdings nicht in Putins Lesart. Ihm zufolge wurden die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine von der Ukraine angegriffen. Tatsächlich inszenierte Putin dort Aufstände.
Angriff durch angebliches Nazi-Regime in Kiew gerechtfertigt
Selbst in seiner eigenen Argumentation bewegte Putin sich auf dünnem Eis, als er sagte, die Ukrainer hätten zwar das Recht, sich als eigene Nation außerhalb Russlands zu definieren, aber nicht auf Basis von Nationalsozialismus. Seine Lüge, die demokratisch-gewählte Regierung in Kiew - wohlgemerkt mit dem jüdischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an der Spitze - sei ein Nazi-Regime, ist absurd.
Dass Nazi-Kollaborateure wie Stepan Bandera in Teilen der Ukraine verehrt werden, ist in der Tat fragwürdig, gerade aus deutscher Sicht. Es gibt auch rechte Militärbataillone. Kritik daran kann man üben. Aber sicher nicht einen blutigen Angriffskrieg mit Hunderttausenden Toten damit begründen. Ein Gipfel der Absurdität seiner Äußerungen ist die Behauptung, die Ukraine habe den Krieg schon 2014 angefangen und Russland versuche ihn zu stoppen. Mehr Täter-Opfer-Umkehr geht nicht.
Putin wirkte in dem Interview verbohrt und unbelehrbar. Vor allem wurde deutlich, dass ihm das Schicksal der Menschen in der Ukraine vollkommen egal zu sein scheint. Und übrigens auch der eigenen Soldaten. Fast 400.000 tote und verletzte Russen in der Ukraine, kümmern ihn nicht. Die getöteten Zivilisten in der Ukraine sowieso nicht. Dass Carlson nicht einmal danach fragte, war eine journalistische Bankrotterklärung. Direkte russische Raketenangriffe auf Wohngebäude und die Strom- und Wärmeversorgung in der Ukraine sind für Putin auch nicht der Rede wert. Dabei ist das nichts anderes als Terrorismus gegen die Zivilbevölkerung.
Bis Putin die Brücken einriss
Dann die Maidan-Revolution 2013/14 und die Frage des Assoziierungsabkommens mit der EU. Das wollte der damalige Präsident Viktor Janukowitsch kassieren und löste damit heftige Proteste aus, die in einer Revolution gipfelten. Dass Janukowitsch eine Marionette Moskaus war, spielte dabei eine wichtige Rolle. Für Putin gibt es aber nur eine Erklärung: Dahinter musste die CIA stecken. Dass Proteste großer Teile der Bevölkerung berechtigt sein können, dafür hat er keinen Platz in seinem Weltbild. Dass auch die Menschen in Osteuropa frei über ihr Schicksal entscheiden können, das darf offenbar nicht sein.
Putins Selbstbild des wohlmeinenden Russen, der immer wieder abgewiesen worden sei, ist kaum haltbar. Hat nicht Deutschland jahrzehntelang unter völliger Selbstverleugnung eigener Sicherheitsinteressen - wie wir heute wissen - Russlands Hand gehalten? Trotz brutalstem Vorgehen Putins in den Tschetschenien-Kriegen. Trotz des Krieges in Georgien. Trotz der Morde an Dissidenten im In- und Ausland. Mit Kanzler Gerhard Schröder hat er ein enges Verhältnis. Kanzlerin Angela Merkel ließ noch nach der Annexion der Krim die Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb gehen. Entgegen den Warnungen der direkten deutschen Nachbarn im Osten. Bis Putin das Gas doch als Waffe einsetzte und die Lieferungen stoppte. Im Verbund mit Frankreich versuchte Deutschland zwei Jahrzehnte lang Brücken nach Moskau zu bauen. Bis Putin sie endgültig einriss.
Quelle: ntv.de