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Es wird brutal schwierigScheitert Merz als Kanzler, wird es noch sehr viel schlimmer

24.02.2025, 15:49 Uhr imageThomas Schmoll
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Bei der CDU gab es am Morgen den obligatorischen Blumenstrauß für Friedrich Merz - der ihn hier Generalsekretär Carsten Linnemann zeigt. (Foto: REUTERS)

Friedrich Merz wird es sehr schwer haben als Regierungschef. Falls die SPD in die Koalition mit der Union einwilligt, übernimmt der CDU-Chef das Ruder in Zeiten größter Krisen und Kriegsgefahr. Versagt er, erlebt die AfD einen Stimmenzuwachs in ungeahnte Höhen.

Des einen Freud ist des anderen Leid, weiß der Volksmund. Die FDP und das BSW haben es nicht in den Bundestag geschafft, was es Friedrich Merz einen Tick leichter machen wird, eine Koalition zu bilden, die ihn vier Jahre lang trägt, ohne dass sich das Ampel-Debakel des Dauerstreits mit ätzendem Finale wiederholt. Schwer wird es der Christdemokrat auch so haben. Denn Fakt ist: Das Regieren in Zeiten multipler Krisen, innen- und außenpolitischer Ungewissheiten sowie größtmöglicher Ängste, Konflikte und Erwartungen in der Bevölkerung wird brutal schwierig.

Merz hat den dringenden und nachvollziehbaren Wunsch, die künftige Koalition so schnell wie möglich zu bilden, damit, wie er sagte, das Signal in der Welt ertönt, "Deutschland wird wieder zuverlässig regiert". Ob das gelingt, wird ein erster Gradmesser dafür sein, wie es weitergeht. Dabei hat der designierte Kanzler den Vorteil, kein Bündnis aus drei Partnern schmieden zu müssen, gar mit SPD und Grünen gemeinsam, also jenen Parteien, die beide jeweils politisch weit links tickende Flügel und Jugendorganisationen haben, deren Vertreter er noch am Vorabend der Wahl als "Spinner" abgekanzelt hatte. Jene, die Merz für einen Mini-Trump, AfD-Kumpan und Fast-Nazi halten, sind es, die ihn nun als Regierungschef im Bundestag stützen sollen, um Mehrheiten durchzusetzen.

Ob die SPD dazu bereit ist, seine im Wahlkampf versprochene "Politikwende" durchzusetzen, wird man sehen - und zwar schon im Koalitionsvertrag. Wird das Abkommen gefüllt sein mit vagen Absichtserklärungen, dieses und jenes "zu überprüfen" und hier und da "neue Wege zu gehen", sowie vollmundige Alles-wird-gut-weil-wir-alles-anders-machen-Versprechen, ist die Gefahr riesig, dass die neue Regierung eine "Ampel reloaded" sein wird, ein Zusammenschluss aus Parteien, die sich am Ende permanent auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, mit denen niemand wirklich zufrieden ist, und die nur weitere Enttäuschungen erzeugen. Streit ist dann programmiert, Missmut in der Bevölkerung ebenso.

Einige Probleme sind selbstverursacht

Merz selbst "weiß, dass es nicht einfach werden wird". Recht hat er. Mit seinen Anträgen zur Asylpolitik hat es sich der CDU-Chef noch schwerer gemacht. Einmal mehr bewies der Christdemokrat der Öffentlichkeit, dass er sich durch ungeschicktes Agieren unnötig in Not bringt: Merz schafft Regeln, die er bei nächstbester Gelegenheit bricht, wie sein einkassiertes Nein zu Koalitionen zwischen Christdemokraten und dem BSW auf Landesebene und sein Brandmauer-Zerlöchern im Bundestag zeigten.

Verhält er sich so als Kanzler, wird er schnell das Gesicht verlieren. Seine Begründung, die Asylverschärfung im Bundestag einzubringen, lautete, dass die Union "nicht nach links und rechts schaut", sondern tue, was sie für richtig halte. Was die Frage aufwirft: Wie will er als Kanzler die Polarisierung eindämmen, wenn das strikte Geradeaus-Schauen seine Marschroute ist? Nun ist der CDU-Chef gezwungen, permanent nach links zu schauen, wenn er die SPD als Partner gewinnen und behalten will. Obendrein muss Merz stets damit rechnen, dass ihm Angela Merkel in den Rücken fällt, wenn er nicht tut, was sie für richtig hält.

Seine wankelmütig wirkenden Aussagen etwa zur Taurus-Lieferung an die Ukraine oder der Abschiebe-Internierung aller ausreisepflichtigen Ausländer scheinen nicht allein auf der Einsicht zu beruhen, dass die Union für die Macht einen Koalitionspartner braucht, sondern auch einem Mangel an strategischer Cleverness. Als Oppositionsführer kann man dauernd sagen, was man nicht will. Als Kanzler muss man sagen, was man will.

Am Sonntagabend sah man den Unsympath

Gleich am ersten Tag seiner Kanzlerschaft möchte Merz nach eigener Aussage das Innenministerium im Wege der ihm dann zustehenden Richtlinienkompetenz "anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen". Das wird er umgehend einkassieren, zumindest faktisch - im Grunde hat er es schon getan. In der Berliner Runde von ARD und ZDF am Sonntagabend war er in der Aussage schon längst nicht mehr so eindeutig.

Dafür erlebte ihn das Publikum von seiner arroganten Seite. Merz reagierte auf Aussagen der politischen Konkurrenz, mit der er möglichst nichts zu tun haben will, mit genau dem überheblichen Lächeln, das ihn in Teilen der Gesellschaft als Unsympath erscheinen lässt. Versöhnen kann er die Nation so nicht. Dabei ist die Sehnsucht nach Harmonie und Konsens in der Bevölkerung riesig. 60 Prozent der Deutschen wünschen laut Forsa-Umfrage ein gemeinsames Vorgehen der Parteien der Mitte in der Asylpolitik.

Im Wahlkampf hat der CDU-Vorsitzende die Reihen seiner Partei fest geschlossen und selbst CSU-Stänkerer Markus Söder in den Griff bekommen, woran Generalsekretär Carsten Linnemann hohen Anteil haben dürfte. Ob Merz als Kanzler eine Koalition zusammenhalten kann und tatsächlich die Führungsstärke besitzt, die er im Wahlkampf der Bevölkerung zu vermitteln versuchte, muss sich zeigen. Man darf nicht vergessen, dass Merz im linken Flügel der SPD als eine Art Teufel, gar eine Hassfigur gilt, der man nicht trauen kann. Kritiker in der Koalition wird er nicht mit süffisantem Grinsen abwerten können, das da signalisiert: Ihr habt im Gegensatz zu mir keine Ahnung.

Besser keine Minderheitsregierung

Mit zwei zentralen Faktoren, die schon der Ampel das Regieren verdarben, muss sich auch ein Kanzler Merz herumschlagen: das kriegslüsterne Weltgeschehen mit irrlichternden Politikern überall sowie der Niedergang der deutschen Wirtschaft. Die nationale Konjunkturflaute grenzt die finanziellen Spielräume für dringend nötige Strukturreformen und eine Modernisierung der Verwaltung deutlich ein. Dabei müsste oberstes Ziel der neuen Regierung sein, dass der Staat nicht länger als dysfunktional wahrgenommen wird, Straßen und Schulen renoviert werden. Will Merz nicht die Unternehmerschaft gegen sich aufbringen, muss er die Fehler der Weltrettungspolitik der fast planwirtschaftlich agierenden Ampel-Koalition abstellen.

Von den höheren Ausgaben für mehr innere und äußere Sicherheit ganz zu schweigen. Die Analyse von Merz, sich militärisch nicht länger auf die USA zu verlassen, ist vollkommen richtig. Für die dringend notwendige Aufrüstung der Bundeswehr sind unglaubliche Milliardenbeträge nötig. Die würden US-Präsident Donald Trump erfreuen und milder stimmen. Aber man hört dann schon das Aufheulen jener Sozialdemokraten, die mit den Beträgen lieber das Bürgergeld erhöhen wollen. Merz indes steht zugleich vor der Aufgabe, die Wünsch-dir-was-Zeit zu beenden, der Bevölkerung klarzumachen, dass sich selbst das reiche Deutschland nicht mehr alles leisten kann - auch nicht, wenn die Schuldenbremse gelockert wird, was absehbar ist, weil es die SPD so will.

"Ich weiß auch um die Dimension der Aufgabe, die jetzt vor uns liegt. Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird", sagte Merz am Sonntagabend vor Anhängern in der CDU-Zentrale. Das stimmt. Der Druck, der auf ihm als Kanzler liegen wird, dürfte gigantisch sein - auch deshalb, weil weite Teile der Gesellschaft Merz nicht wohlgesonnen sind. Man denke nur an das Kleid, das die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer auf der Berlinale trug, auf dem sie den CDU-Chef symbolisch mit Trump, Elon Musk und Alice Weidel gleichsetzte - eine absurde Unterstellung. Neubauers Aussage steht für die Haltung vieler politisch Linker zu Merz.

Dann also besser eine Minderheitsregierung? Auf keinen Fall. Sie könnte kaum die gewaltigen Probleme Deutschlands lösen. Da die AfD bekanntlich auch Anträgen zustimmt, in denen sie als politischer Hochrisikofaktor ultraechter Hasardeure kritisiert wird, hätte der neue Kanzler alle paar Wochen die nächste Brandmauer-Debatte am Bein, was alles nur noch schwieriger machen würde. Merz muss aber Ruhe in den Laden bringen, damit die Zuversicht im Lande wieder steigt. Die SPD steht ebenfalls in der Verantwortung. Verweigert sie jegliche tiefgehenden Kurskorrekturen in wichtigen Politikfeldern wie der Migration, passiert genau das, was sie Merz vorwarf: der AfD an die Macht zu verhelfen. Scheitern die neue Regierung und der CDU-Chef als Kanzler, wird die extrem rechte Partei, falls die Koalition überhaupt vier Jahre hält, um die 30 Prozent kriegen.

Quelle: ntv.de

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