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Mays Feinde halten zu ihr Verlogener geht es nicht

Ganz so einfach, wie diese Demonstranten sich den Brexit vorstellen, ist es nicht.

Ganz so einfach, wie diese Demonstranten sich den Brexit vorstellen, ist es nicht.

(Foto: REUTERS)

Vor einem Monat sprachen 117 Tory-Abgeordnete der britischen Premierministerin das Misstrauen aus. Heute Abend will selbst Boris Johnson für Theresa May stimmen. Rational ist nicht mehr erklärbar, was gerade in Großbritannien abläuft.

Mit Superlativen soll man zurückhaltend umgehen, doch dieser ist gerechtfertigt: Die britischen Konservativen sind gerade dabei, den Gipfel der Verlogenheit zu stürmen. Wie Premierministerin Theresa May gestern Abend mit dem von ihr ausgehandelten Brexit-Deal gescheitert ist, hat historische Ausmaße: 432 Abgeordnete sagten Nein, nur 202 Ja - ein Abstand von 230 Stimmen. Niemals zuvor in der Geschichte der britischen Demokratie hat ein Premierminister im Unterhaus eine so deutliche Niederlage erlitten.

Entsprechend höhnisch reagierten die britischen Zeitungen. Mays Brexit-Deal sei "tot wie ein Dodo", schreibt die "Sun" auf ihrer Titelseite und zeigt die Premierministerin in Gestalt des vor Jahrhunderten ausgestorbenen Vogels, den Engländer aus "Alice im Wunderland" kennen. "Kein Deal, keine Hoffnung, keine Ahnung, kein Vertrauen", bilanziert der "Mirror".

Kein Vertrauen? Heute Abend stimmt das Unterhaus erneut ab, dieses Mal über einen von der Labour-Partei eingebrachten Misstrauensantrag. All die Tory-Abgeordneten, die am Dienstag noch überdeutlich zum Ausdruck gebracht haben, was sie von der Premierministerin halten, wollen sie nun unterstützen. Zur Erinnerung: Vor gerade mal einem Monat hatten 117 Tory-Abgeordnete in einer fraktionsinternen Entscheidung May ihr Misstrauen ausgesprochen. Und auch die Vertreter der protestantisch-nordirischen DUP, auf die Mays Regierung angewiesen ist, wollen heute für sie stimmen, obwohl sie den Backstop für Nordirland kategorisch ablehnen und daher am Dienstag geschlossen gegen den Deal votiert haben.

Rational ist nicht mehr zu erklären, was in Großbritannien passiert. Bereits das Brexit-Referendum war eine Folge politischer Heuchelei. Aus rein taktischen Gründen hatte David Cameron, Mays Amtsvorgänger, die Volksabstimmung zu einem Wahlversprechen gemacht. Der Wahlkampf um das Referendum wurde dann mit hanebüchenen Lügen geführt. Noch immer berüchtigt ist der rote Brexit-Bus mit dem Spruch: "Wir schicken der EU wöchentlich 350 Millionen Pfund. Lasst uns stattdessen das Gesundheitssystem finanzieren." Mittlerweile räumt sogar die "Sun" ein, dass die Zahlen "fehlerhaft" waren.

Die britischen Zeitungen reagierten mit höhnischen Überschriften.

Die britischen Zeitungen reagierten mit höhnischen Überschriften.

(Foto: dpa)

EU vertrat Interessen der Nordiren besser

In den Verhandlungen mit der EU schaffte May es lange nicht, eine klare Position zu entwickeln - sie steckte fest zwischen den EU-freundlichen Teilen ihrer Partei und Hardcore-Brexiteers wie Ex-Außenminister Boris Johnson. Dieses Dilemma überspielte sie mit hohlen Phrasen wie "Brexit means Brexit" und "kein Deal ist besser als ein schlechter Deal". In der Frage, wie die Grenze zwischen Irland und Nordirland offen und der Frieden dort gesichert bleiben kann, wenn Großbritannien nicht mehr Teil der EU ist, hatte sie nie ein realistisches Konzept. Die angeblich so bürgerferne EU-Kommission vertrat die Interessen der Nordiren besser als deren eigene Regierung.

Viel zu spät dämmerte May, dass kein Deal wohl doch die schlechteste Lösung ist. Doch ein großer Teil ihrer Fraktion gibt sich weiter der Illusion hin, Großbritannien könne noch immer einen "besseren Deal" ohne Backstop aushandeln. Für den Fall, dass das nicht klappt, empfahl Johnson, "wir sollten uns aktiv und mit noch mehr Enthusiasmus auf einen Austritt ohne Deal vorbereiten".

Wenn Johnson und die anderen konservativen Brexit-Fans May heute das Vertrauen aussprechen, dann geht es ausschließlich darum, eine Übernahme der Regierung durch Labour-Chef Jeremy Corbyn zu verhindern. Der wiederum strebt Neuwahlen an, obwohl ein Wahlkampf das Letzte ist, was Großbritannien zehn Wochen vor dem Austrittstermin braucht. Wie er selbst mit dem Brexit umginge, sollte er in die Downing Street einziehen, hat Corbyn noch nicht verraten. Wie Johnson und Co. hat er sich längst davon verabschiedet, eine Politik zu machen, die Realitäten auch nur ansatzweise anerkennt.

May sagt, sie wolle nun mit den Tories und mit anderen Parteien Gespräche "in einem konstruktiven Geist" führen. Offenbar setzt sie darauf, ausreichend Abgeordnete davon zu überzeugen, dass ein Chaos-Brexit keine so gute Idee ist. In dem Klima der Verlogenheit, an dem sie selbst kräftig mitgewirkt hat, dürfte das ein aussichtsloses Unterfangen sein.

Quelle: ntv.de

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