Kriege und Konflikte Was, wenn die Welt 2024 noch näher an den Abgrund rückt?


Aus dem All betrachtet sieht die Erde so friedlich aus.
(Foto: picture alliance / dpa)
Auf fast allen Kontinenten gibt es unbewältigte politische Konflikte oder poppen neue Brandherde auf. Diktatoren setzen auf Säbelrasseln und Krieg. Die internationale Staatengemeinschaft driftet weiter auseinander. Nichts spricht dafür, dass sich die Lage beruhigt.
Im November 2020 konnte die Welt ein wenig aufatmen. Mit dem Sieg von Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl in den USA hatten ihr die Amerikaner nach der ersten Trump-Regierung vier Jahre Zeit verschafft, die Krisen anzupacken, die die Erde auch ohne Krieg ruinieren. Doch das Gegenteil passierte. Seither eskalieren auf beinahe allen Kontinenten unbewältigte politische Konflikte oder poppen neue Brandherde auf. Putin brachte sogar den Angriffskrieg nach Europa zurück. Die internationale Staatengemeinschaft - oder besser: das, was von ihr übrig geblieben ist - driftet noch weiter auseinander. Die Vereinten Nationen sind zur hilflosen Veranstaltung und Bühne von Autokraten und Diktatoren geworden.
Ein neuer Kalter Krieg ist im Gang, der zu einem großen heißen werden könnte, so deutlich muss man es sagen. "Ein globaler Frieden hängt vom Frieden in der Taiwanstraße ab", erklärte der taiwanesische Wahlsieger Lai Ching-te und appellierte an China, seine Worte zu beherzigen. Die kommunistischen Machthaber in Peking erklärten daraufhin prompt, "dass das Mutterland wiedervereinigt werden wird und muss". Was eine militärische Invasion einschließt. China provoziert den Inselstaat seit Monaten mit Manövern.
Die Situation erinnert an jüngste europäische Geschichte. Für den chinesischen Diktator Xi Jinping ist Taiwan das, was für Putin die Ukraine ist. Beide wollen Länder, die sich der Demokratie verschrieben haben, heim in ihr Reich holen, koste es, was es wolle. Zwar erscheint die Führung in Peking rationaler zu handeln als der russische Kriegsherr. Aber vereint sind sie in ihrer Verachtung für den Westen und der Rhetorik. Xi und Putin trimmen ihre Länder auf einen hypernationalistischen Kurs ohne Opposition. Säbelrasseln und Kriegszüge sind ein stetes Mittel totalitärer Herrscher, um das Volk an sich zu binden und von innenpolitischen Problemen abzulenken. Und Xi hat gerade mehr als genug. Die Wirtschaftsmacht taumelt, was mit der Erkenntnis anderer Staaten zu tun, sich nicht zu abhängig von einem Land zu machen.
Trump würde die Ukraine wohl fallen lassen - und dann Europa
Biden bemühte sich, mäßigend auf China einzuwirken - wie es die Europäer bei Putin vor dem Überfall auf die Ukraine ebenfalls versuchten. Das Ergebnis ist bekannt. "Wir unterstützen die Unabhängigkeit Taiwans nicht", sagte der US-Präsident. Aber längst hat Biden Peking klar gemacht, dem Inselstaat im Fall eines chinesischen Einmarsches militärisch zu helfen. Wie das konkret aussehen würde, ist offen, zumal in der Washingtoner Regierung auch zur Zurückhaltung gemahnt wird. Selbst das reiche Amerika mit seiner hochmodernen Armee würde es überfordern, wenn sie zugleich Israel und der Ukraine weiter beistehen wollten.
Auch wenn bei Donald Trumps Sprunghaftigkeit nichts vorhersagbar ist: In jedem Fall dürften es die Diktatoren dieser Welt leichter haben, wenn er wieder an die Macht käme - auch deshalb, weil er in seiner Eitelkeit sogar Staatsgeheimnisse ausplaudert. Im Kriegsfall würde der Republikaner den Europäern verklickern: euer Ding. Denn für ihn gilt: Amerika zuerst, in der Mitte und zuletzt. Die Ukraine und der Rest der demokratischen Welt konnten froh sein, dass Biden fest zur Achse Europa-USA stand. Trump würde die Ukraine fallen lassen und auch Europa wäre auf sich selbst zurückgeworfen: Eine Sicherheit, dass die Amerikaner den Europäern beistehen, falls Putin seinen Krieg auf einen NATO-Staat ausweitet, gäbe es dann nicht mehr.
Selbst ein Austritt aus der NATO, mit dem Trump schon während seiner Präsidentschaft geliebäugelt hatte, ist dann in greifbarer Nähe. Einen Grund dafür haben die Europäer ihm über Jahre geliefert, indem sie das Ziel der NATO ignorierten, zwei Prozent der jeweils nationalen Wirtschaftsleistung in das Bündnis zu investieren. Während sich China, Nordkorea, Iran mit Russland verbünden und Putins Armee offen oder verdeckt mit Waffen beliefern, muss die Ukraine jetzt schon bangen, dass der Nachschub versiegt. Die EU streitet derweil. In ihr gibt es Kräfte, die fest an der Seite Putins stehen, allen voran Ungarn, das wie Russland darunter leidet, seinen Status als politische Weltmacht eingebüßt zu haben.
Im Nahen Osten droht ein Flächenbrand
Die Lösung des Nahost-Konflikts und des "Palästinenser-Problems" liegt in weiter Ferne, in der Region droht nach wie vor ein Flächenbrand. Trumps Vorschlag einer Zwei-Staaten-Lösung von Anfang 2020 lief auf eine israelische Annexion von großen Teilen des Westjordanlandes hinaus. Trump kündigte das Atomabkommen mit Iran, weshalb die Mullahs nun unkontrolliert an einer Atombombe basteln können. Spätestens mit seiner Aussage, dass die mit der Hamas verbundene Hisbollah "sehr schlau" sei, fiel er Benjamin Netanjahu in den Rücken. Der kann sich nicht mehr auf den Amerikaner verlassen. Der Narzisst Trump wird nicht vergessen haben, dass Netanjahu Biden zum Wahlsieg gratulierte.
Aber erst einmal müssen die USA die Nachwehen der Wahl überstehen. Denn wie immer sie endet: Es wird unruhig. Gewinnt Biden, wird Trump wieder von Betrug reden und seine Anhänger aufstacheln. Holt der Republikaner den Sieg, wird er seine Ankündigung wahrmachen und Rache nehmen. Trump hat schon vor "Chaos im Land" gewarnt, sollten die gegen ihn laufenden Strafverfolgungen weitergehen. Für den Fall eines Wahlsieges plant er, sich selbst und die wegen der Erstürmung des Kapitols im Januar 2021 Verurteilten zu begnadigen sowie den Justizapparat auseinander zu nehmen, was heißt: Leute feuern, die an seiner strafrechtlichen Verfolgung mitgewirkt haben.
Viele im Washingtoner Staatsapparat werden kündigen, weil sie bei dieser Farce nicht mitmachen wollen. Vielleicht kommt es dann in den gesamten USA zu Massendemonstrationen von US-Amerikanern, die sich die Demokratie nicht nehmen lassen wollen. Dass der Supreme Court dem Republikaner die Teilnahme an der Wahl im November untersagt, ist nicht besonders wahrscheinlich - das oberste Gericht der USA wird den Wählern die Entscheidung überlassen, ob sie einen hornalten Präsidenten im Amt belassen oder einen irrlichternden Straftäter wieder zur Nummer eins im Weißen Haus machen wollen.
Immerhin Pistorius hat es verstanden
Und Europa? Redet, aber handelt nicht. Man muss sich nur die Warnungen aus dem Baltikum in der Zeit weit vor Putins Überfall auf die Ukraine vor Augen führen, um zu sehen, dass mit Russland nicht zu spaßen ist. Europa muss sich für die Wiederwahl Trumps und das Ende des transatlantischen Bündnisses wappnen.
In jedem Fall steht die Welt 2024 nicht weiter weg vom Abgrund als im vergangenen Jahr. Zumindest Verteidigungsminister Boris Pistorius hat realisiert, dass sich Deutschland für den Ernstfall rüsten muss, weil Diktatoren, die Kriege anfangen, nur durch Waffengewalt gestoppt werden können. "Frieden schaffen ohne Waffen" bleibt ein wunderbarer, aber unrealistischer Traum, solange es Tyrannen gibt. "Uns bleiben jetzt zwei bis drei Jahre, um gegenüber Putin eine glaubwürdige Abschreckung aufzubauen", sagte der Sicherheitsexperte Fabian Hoffmann von der Uni Oslo im Interview mit ntv.de. Mögen es sich die Schlafwandler zu Herzen nehmen.
Quelle: ntv.de