Überdrehte Proteste Wenn die Bauern Wind säen, werden sie Sturm ernten


Die Bauernproteste erreichen eine Radikalität, die sich die Mehrheitsgesellschaft nicht gefallen lassen muss. Und die über das Agieren der Klimakleber sogar hinausgeht. Politische Streiks sind in Deutschland aber nicht erlaubt. Gewalt erst recht nicht.
Es war am Sonntagabend wohl nur ein Wunder, dass Bauern keine unschuldigen Menschen getötet haben. Bei Wustermark im Havelland kippten Leute, die man "Demonstranten" oder "Aktivisten" nicht mehr nennen sollte, auf mehreren Hundert Metern Gülle und Misthaufen auf die viel befahrene Bundesstraße 5. Abends. Ohne Beleuchtung. Dann krachten zwei PKW in das potenziell tödliche Hindernis: drei Verletzte, hoher Sachschaden.
Wo soll das enden? Oder muss es einen ersten Toten geben, bevor den Bauern dämmert, was da in ihrem Namen gerade passiert?
Eigentlich verbietet es sich, eine ganze Bewegung verantwortlich zu machen für einzelne Irre in ihren Reihen. Das gilt auch für die Bauern und ihren Kampf gegen Beihilfe-Kürzungen oder ein offenkundiges Übermaß an teurer Bürokratie. Andererseits, nach allem, was man weiß: Die Bauernproteste der letzten Wochen haben mit dem Anschlag auf der Bundesstraße nicht nichts zu tun. Sie reihen sich ein in die versuchten Einschüchterungen von Politikern, die ihnen nicht passen - Grüne zumeist.
Gerade konservative Bauern-Milieus mit ihrer gewissen Neigung zum robusten "Durchgreifen" sollten sich zudem fragen, was sie in der Vergangenheit über die Blockaden der Letzten Generation gedacht und geflucht haben. Und was jetzt im Land insgesamt los wäre, hätte die Letzte Generation die Blockade-Verletzten an der B5 auf dem Gewissen. Die Radikal-Klimaschützer gerieten schon in schwerste Kritik, zu Recht, als in den Staus, die sie mit Absicht produzierten, Rettungswagen unter Blaulicht feststeckten.
Bei Egomanie und Maßlosigkeit der Mittel geben sich die Radikalen beider Gruppen nicht viel. Der Unterschied liegt im gesamtgesellschaftlichen Rückhalt: Die Bauern haben einen Bonus, auch im 21. Jahrhundert gelten sie als mitunter mythenumwehte "Ernährer der Nation". Das sind sie auch und die ersten Hüter der Heimat ebenso. Deswegen sind sie als Branche aber auch so lange und hoch subventioniert wie keine zweite in Deutschland. Deswegen befasst sich die Politik mit ihnen häufiger und intensiver als mit anderen Wirtschaftszweigen. Letzteres jedoch wollen viele Bauern nicht wahrhaben. Oder besser gesagt: Sie verstehen es fundamental falsch - und da wird es kriminell.
Was mit Protesten gegen eine (gemessen am letztjährigen Gewinn) überschaubare Beihilfe-Kürzung begann, ist längst eine Bewegung, die am Ende die Bundesregierung abräumen möchte. Zur Rechtfertigung wird gesagt, die Beihilfe-Kürzung sei der letzte Tropfen in das übervolle Fass gewesen. Vielleicht, aber das rechtfertigt nicht alles.
Die Bundesregierung ist den Bauern schnell und weit entgegengekommen. Von den ursprünglichen Kürzungen ist nur noch ein kleinerer Teil gültig. Aber bis hoch in ihre Verbandsspitze bestehen die Bauern auf einem vollständigen Sieg: Nur alles ist genug. Und in Wahrheit scheinen viele unter ihnen noch mehr zu wollen. Sie sehen sich als Speerspitze eines gesamtgesellschaftlichen Aufbegehrens gegen "die da in Berlin". Es ist, als hätten viele Bauern Blut geleckt.
Wenn jedoch die einzige Möglichkeit, diese Gruppen zufriedenzustellen, für die Ampel-Koalition darin bestünde, zurückzutreten, dann wäre eine Grenze überschritten, an die selbst die ärgsten Klima-Kleber nicht gegangen sind. Ist es das, was die Bauern wollen? Auf jeden Fall ist es nichts, was sich die Mehrheit im Land gefallen lassen muss. Politische Streiks sind in Deutschland nicht erlaubt. Und Gewalt erst recht nicht.
Quelle: ntv.de