Alleingelassene Corona-Helden Wieder mal haben die Eltern den Zonk
16.12.2020, 19:35 Uhr
Auf Entschädigung für Verdienstausfälle können die meisten Eltern nur hoffen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Statt verbindliche Regeln für Schulen und Kitas zu beschließen, wälzen Bund und Länder alle Verantwortung auf die Eltern ab. Das ist nicht nur feige, sondern auch unfair - denn es setzt viele Familien zusätzlich unter Druck.
Wer heute Morgen sein Kind in Schule oder Kita bringen wollte, brauchte triftige Gründe: In den meisten Bundesländern ist die Präsenzpflicht ausgesetzt, nur wenige Länder haben die Schulen ganz geschlossen. Für Kitas gilt eine Notbetreuung oder -versorgung, in einigen Bundesländern nicht mehr nur für Kinder von Eltern in systemrelevanten Berufen, sondern für jeden, der sie nötig hat. Ob die Not groß genug ist, darüber sollen die Kitas entscheiden. Oder eben die Eltern. Nur die Politik ist fein raus. Offiziell heißt es, man wolle weniger starre Vorgaben machen als im ersten Lockdown, um der Situation aller Familien gerecht zu werden. Doch in Wahrheit ist es feige. Die Politik wälzt schlichtweg die Verantwortung auf die Eltern ab. Sie müssen ausbaden, was seit dem Sommer versäumt wurde: einen Plan für den Ernstfall zu schmieden.
Dass die zweite Welle kommen würde, war spätestens im September klar. Doch statt die Schulen technisch und personell für den Hybridunterricht zu rüsten oder mit den Kitas tragfähige Konzepte für einen Notbetrieb zu erarbeiten, überboten sich Politiker nahezu aller Parteien in der Betonung, dass der Präsenzunterricht unbedingt aufrecht erhalten werden und Kitas geöffnet bleiben müssten. Viele Eltern nahmen sie beim Wort. Nun geht das Land in den zweiten Lockdown. Und statt ihr Versprechen zu kassieren - was ehrlicher gewesen wäre, legen Bund und Länder eine windelweiche Regelung vor und appellieren allen Ernstes an die Arbeitgeber, berufstätige Eltern "pragmatisch zu unterstützen". Stichwort: Homeoffice. Als sähe so aller Probleme Lösung aus! Das ist weltfremd.
Wer ein Kind im Vorschulalter hat, der weiß, dass es unmöglich ist, sich zu konzentrieren, wenn es im Nebenzimmer mit dem Holzhammer auf die Spielzeugeisenbahn eindrischt. Tatsächlich sieht die Realität im Homeoffice anders aus: Gearbeitet wird, wenn das Kind schläft - also im Optimalfall mittags und nach 20 Uhr. Für die meisten Eltern wird der Tag also noch länger, die wenigen kostbaren Minuten am Abend für sich selbst oder den Partner bleiben auf der Strecke. Und was ist eigentlich mit denen, für die Homeoffice keine Option ist? Fabrikarbeiter, Kassierer, Busfahrer, Hausmeister, Reinigungskräfte - in vielen Bundesländern ist nicht einmal festgelegt, welche Berufsgruppen Anspruch auf Notbetreuung haben. Sie müssen jetzt mit Schulen und Kitas über Not und Wehe diskutieren.
Unfairer Druck
Wer sich angesichts der aktuellen Infektions- und Sterbezahlen über solche Belastungen beschwert, der findet sich schnell in einem Überbietungswettbewerb wieder: "Anderen geht's doch viel schlechter", heißt es dann. Oder: "Schau dir mal an, was in den Krankenhäusern los ist!" In der Pandemie müssten eben alle Opfer bringen. Das ist zweifellos richtig. Und viele Eltern tun genau das, was von ihnen erwartet wird: Sie nehmen den letzten Urlaub und reizen aus, was vom Chef noch geduldet wird. Sie organisieren eine Ersatzbetreuung - zur Not auch die Großeltern. Und sie tun das, weil sie über ihr Anrecht auf Betreuung nicht objektiv entscheiden können. Würde man zehn Elternpaare nebeneinander stellen und fragen, ob sie auf eine Betreuung für ihr Kind angewiesen sind, würden neun die Hände heben.
Der Staat baut darauf, dass die große Mehrheit der Eltern ihr Anrecht auf eine Betreuung als zu gering einschätzt, um von der Notversorgung Gebrauch zu machen. Und das ist unfair. Denn es erzeugt zusätzlichen Druck in den Familien, wo eigentlich eine Entlastung nötig wäre - im besten Fall durch klare Regelungen. Dass Schulen und Kitas nicht im Normalbetrieb weiterlaufen können, während das ganze Land herunterfährt, ist nur logisch. Aber während es für den Einzelhandel zumindest Überbrückungshilfen gibt, tut sich die Politik bei Entlastungen für Eltern schwer. Aus dem am Sonntag angekündigten bezahlten Sonderurlaub ist inzwischen ein mickriger Halbsatz im Infektionsschutzgesetz geworden. Und wer auch im Homeoffice arbeiten kann, hat sowieso keinen Anspruch darauf. Das als großen Wurf zu verkaufen, ist schon dreist.
Tatsache ist, dass bisher nicht einmal die Anhebung der Kinderkrankentage auch für das neue Jahr beschlossen wurde. Sollte der Lockdown in der jetzigem Form über den 10. Januar hinausgehen, muss die Politik aber endlich auch die Eltern entlasten. Verbindliche und einheitliche Regeln wären ein Anfang. Und eine Verdienstausfallentschädigung, die ihren Namen auch verdient. Die Alternative ist eine Rückkehr zum Alleinverdiener-Haushalt - und das kann nicht im Sinne der Volkswirtschaft sein.
Quelle: ntv.de