Person der Woche Neymar kommt - und bin Salman lässt Flüchtlinge erschießen
22.08.2023, 11:57 Uhr Artikel anhören
Saudi-Arabien wollte mit der spektakulär dekadenten Präsentation des brasilianischen Fußballstars Neymar positive Weltschlagzeilen machen. Doch zeitgleich wird bekannt, dass an der Grenze systematisch Migranten aus Afrika erschossen werden, darunter auch Kinder.
Saudi-Arabien hat sich den Fußballsuperstar Neymar gekauft, um positive Weltschlagzeilen zu machen. Kritiker sprechen von "Sportswashing", wenn eine Diktatur mit beliebten Sportlern ihr Image aufbessern will. Dem Verein Al-Hilal aus Riad, an dem der saudische Staatsfonds PIF 75 Prozent der Anteile hält, ist Neymar jedenfalls 150 Millionen Dollar Jahresgehalt wert. Vorsitzender des Fonds: Kronprinz Mohammed bin Salman, faktischer Machthaber in Saudi-Arabien.
Zum abnormen Gehalt beglückt das Regime um bin Salman den Sportler mit einer imposanten 25-Zimmer-Villa samt 40 mal 10 Meter-Pool und drei eigenen Saunen. Neymar erhält obendrein eine eigene Fahrzeugflotte geschenkt, zu der ein Bentley Continental GT, ein Aston Martin DBX und ein Lamborghini Huracán gehören.

Hofft auf ein besseres Image durch Neymar: Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman
(Foto: IMAGO/Xinhua)
Sämtliche Spesen für Hotels, Restaurants und Clubbesuche werden bezahlt. Nicht zu vergessen ist sein Privatflugzeug. Das saudische Königshaus erhofft sich von der grotesk dekadenten Anwerbung des Brasilianers einen Imagegewinn. Darum wird Neymar für seine Präsenz in den sozialen Medien gesondert belohnt, wo er unglaubliche 500.000 Euro für jeden Beitrag erhält, der Werbung für Saudi-Arabien macht.
Das dürfte Neymar freilich schwerfallen, denn zeitgleich mit seiner Präsentation vor 70.000 Fans im King Fahd Stadion in Riad sorgt eine ganz andere Nachricht für Negativschlagzeilen. Nach Berichten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben saudische Grenzschutzbeamte Hunderte äthiopische Migranten und Asylsuchende an der Grenze zum Jemen getötet - darunter auch Kinder. Es heißt, Menschen seien aus nächster Nähe erschossen worden. Auch Sprengwaffen würden eingesetzt. Es handele sich um systematische Massaker, Überlebende berichten von "Leichenbergen".

Fußballwelststar Neymar - zukünftig hat er Luxus und Langeweile auf dem Fußballfeld
(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)
Der Kontrast könnte kaum größer sein - das geldglitzernde Sportspektakel auf der einen und der Massenmord auf der anderen Seite. Für beides tragen die saudischen Regierungsclans, trägt bin Salman die Verantwortung. Schon im Oktober 2022 hatte ein Kommuniqué der Vereinten Nationen über die erschütternden Tötungen afrikanischer Flüchtlinge für Aufsehen gesorgt. Demnach seien 430 tote und 650 verletzte Geflüchtete allein in den Monaten Januar bis April 2022 gezählt worden. Sie seien bombardiert, erschossen, massakriert worden.
Nun veröffentlichen Menschenrechtsorganisationen viele weitere Details der brutalen Gewalt Saudi-Arabiens gegen Flüchtlinge. Die trifft vor allem Äthiopier, die über den Golf von Aden und das Bürgerkriegsland Jemen nach Saudi-Arabien fliehen wollen. Etwa 750.000 Äthiopier leben und arbeiten bereits in Saudi-Arabien, aber ihr Fluchtweg in den ultra-reichen Ölstaat ist extrem gefährlich.
Nach den Berichten des "Mixed Migration Center" (MMC) und von "Human Rights Watch" (HRW) werde "Massenmord" an den Ärmsten verübt. Laut MMC sind im Jahr 2022 mindestens 794 Menschen an der Grenze getötet und mehr als 1700 verletzt worden, ein Drittel davon Frauen und sieben Prozent Kinder. Die tatsächlichen Zahlen dürften deutlich höher liegen, da Zeugen von notdürftigen Bestattungen an den Fluchtwegen berichten. Liegengebliebene Leichen seien von wilden Hunden gefressen worden.
Megastar und Massentötungen
Die saudischen Beamten sollen an der Grenze systematisch mit Maschinengewehren und Granaten auf Geflüchtete schießen. "Wir sprechen von mindestens 655 Fällen, aber wahrscheinlich sind es Tausende", sagt die Menschenrechtlerin Nadia Hardman. "Wir reden im Grunde von Massentötungen", so die Hauptautorin des HRW-Berichts.
Überlebende würden verängstigt von "killing fields" berichten, von Stellen, die komplett übersät seien mit toten menschlichen Körpern. Auf Satellitenbildern seien Hunderte Gräber, Leichen und schwer verletzte Menschen entlang der Routen zu sehen, über die Geflüchtete Saudi-Arabien erreichen.
Von einem grausamen Angriff berichtet die 20-jährige Munira. Mit 19 anderen Geflüchteten hätten die Saudis sie in einem Bus an die Grenze gekarrt und anschließend in die Wüste gescheucht. Nach etwa einem Kilometer habe sich die Gruppe hingesetzt, um sich auszuruhen. Dann hätten die Saudis die Gruppe mit Mörsergranaten beschossen. "Die Waffe sah aus wie ein Raketenwerfer mit sechs Läufen und war auf ein Auto montiert, er schoss gleich mehrere Granaten auf einmal ab", berichtet Munira. "Einige der Granaten trafen die Felsen und die Splitter trafen uns. Nur zehn Leute aus unserer Gruppe haben überlebt."
Erschütternd klingt auch der Bericht der 14-jährigen Hamdiya: "Immer wieder haben sie auf uns gefeuert. Ich sah, wie Menschen auf unvorstellbare Weise getötet wurden. Ich habe mich unter einem Felsen versteckt und geschlafen. Ich dachte, um mich herum würden noch andere Menschen schlafen. Als ich aufwachte, sah ich, dass sie alle tot waren. Ich war allein." Im jemenitischen Grenzort Al Khals befindet sich nach MMC-Recherchen ein geheimer Friedhof, auf dem die Leichen von bis zu 10.000 Migranten liegen sollen.
Für die Bundesregierung sind die Berichte brisant, denn ausgerechnet Deutschland bildet saudische Grenzbeamte aus. Die Trainings- und Beratungsmission startete bereits 2009 und wurde mit außen- und sicherheitspolitischen Interessen sowie der Bekämpfung des Terrorismus in der Region begründet. Sie war nach dem Auftragsmord am Journalisten Jamal Kashoggi 2018 kurzzeitig ausgesetzt, aber 2020 wieder aufgenommen worden.
Die Grünen wollten die Mission schon 2011 per Bundestagsbeschluss beenden und kritisierten - damals noch in der Opposition - auch 2020 das Ausbildungsprogramm mit dem Vorwurf, die Bundesregierung kenne keine Skrupel, "autoritäre Regime wie Saudi-Arabien weiterhin in Sicherheitsfragen zu unterstützen". Im Jahr 2022 genehmigte die neue Bundesregierung, nun mit Beteiligung der Grünen, Lieferungen von Rüstungsgütern im Wert von 44,2 Millionen Euro - so viel wie seit 2018 nicht mehr.
Keine Stellungnahme von Baerbock
Und auch nun, nach Bekanntwerden der Massaker, hält sich das grün-geführte Außenministerium mit Kritik zurück. Von Außenministerin Annalena Baerbock gab es keine Stellungnahme, eine Sprecherin ließ diplomatisch abwiegeln: "Wir sind sehr besorgt über die dort aufgeführten massiven Vorwürfe". Man verfüge aber über keine eigenen Erkenntnisse zu den Vorgängen.
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger ist darüber empört: "Wer von sich selbst behauptet, feministische Außenpolitik sei wichtig, macht sich unglaubwürdig, wenn man Staaten wie Saudi-Arabien mit Waffen unterstützt, die Menschen barbarisch an ihrer Grenze abschießen."
Und Neymar? Der musste sich nicht durch den Kugelhagel der Grenzer kämpfen, er kam im teuersten Privatflieger der Welt - auf einem goldenen Thron inmitten der Maschine. Glamour und Grausamkeit liegen in Saudi-Arabien eng beieinander. In Riad befindet sich der innerstädtische Hinrichtungsplatz Al Safah an der gleichen Straße wie das Fußballstadion von Al Hilal. Für diesen Post bekäme Neymar bestimmt keine 500.000 Euro.
Quelle: ntv.de