Regierungschef Scholz Olaf, der Bräsige - ein Durchwurschtel-Kanzler
28.11.2023, 10:49 Uhr Artikel anhören
Die Ampelregierung wankt angeschlagen umher. Olaf Scholz verliert täglich an Rückhalt, und die FDP erwägt offen das Ende der Koalition. Die Opposition fordert bereits Neuwahlen für den Juni. Doch alle unterschätzen die größte Qualität des Kanzlers: seine gewaltige Bräsigkeit.
"Wir haben keine Haushaltsnotlage, wir haben eine Notlage der Regierung", wettert der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und fordert Neuwahlen am 9. Juni. Parallel zur Europawahl solle ein neuer Bundestag gewählt werden. Die Ampelregierung müsse die Vertrauensfrage stellen, "nicht im Parlament, sondern vor dem deutschen Volk", fordert Söder - und viele finden das richtig. Die Regierung stürzt in Umfragen auf historisch miserable Akzeptanz-Werte. Nach einer Forsa-Umfrage halten zwei Drittel der Deutschen Olaf Scholz für seiner Aufgabe "nicht gewachsen". Für einen Kanzler geht es kaum peinlicher.
Auch die Medienlage ist für Olaf Scholz katastrophal. In Kommentaren wird immer schärfer auf die schwach erscheinende Kanzlerfigur fokussiert. Vom "Spiegel" ("Absturz eines Besserwissers") bis zum Publizisten Gabor Steingart ("Keine Führungspersönlichkeit, sondern eine Fassade aus Selbstgerechtigkeit und Trotz") klingt die Kritik schon nach vernichtenden Nachrufen - schließlich habe Scholz höchstselbst die Technik der Nebenhaushalte entwickelt. Unter Wohlwollenden macht das Wort "Kanzlerdämmerung" die Runde - unter Scharfzüngigen wird er (mit Anspielung auf den gleichnamigen Skandal) als "Cum-Ex-Kanzler" verhöhnt: "Cum Schulden, doch ex Verfassung".
Doch erlebt man tatsächlich den in vielen Leitartikeln angekündigten "Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Scholz"? Ist es wirklich schon so weit? Dafür sprechen auf den ersten Blick fünf Gründe:
Erstens ist die Problemlage (Migrationskrise, Rezession, Haushaltsnotstand) dramatisch, Deutschland droht mit dieser schwachen Regierung tatsächlich ein Wohlstandseinbruch und die Schwächung seiner Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich findet sie keine Kraft, die Migrations- und Standortkrise entschieden zu lösen.
Zweitens lastet ein enormer Vertrauensverlust durch den Verfassungsbruch (noch nie hat das Verfassungsgericht eine Bundesregierung so hart zurechtgewiesen) auf der Koalition. Die tiefe Akzeptanzkrise zeigt sich auch darin, dass die AfD in Umfragen inzwischen so stark ist wie SPD und FDP zusammen. Es droht bei den Europawahlen, dass die Rechtspopulisten in Ampeldeutschland sogar stärkste Kraft werden könnten.
Das Ampelklima gilt als "vergiftet"
Drittens ist die Koalition so tief zerstritten wie die Partner einer zerrütteten Ehe beim Scheidungsanwalt. Wesentliche Akteure sind bitter verfeindet und agieren offen gegeneinander. Selbst innerhalb der Regierung wird die Ampelkoalition als "grauenhaft" bis "vergiftet" beschrieben.
Viertens steckt die Regierung in einem fatalen Dilemma des Etat-Notstands. Sie muss entweder weiter gegen die Verfassung arbeiten und die Schuldenbremse aushöhlen, massiv Steuern erhöhen oder tiefe soziale Einschnitte wagen. Jede der Optionen verstärkt die Negativwirkung der Ampelpolitik.
Und fünftens droht der machtpolitische Bruch. Vor allem die FDP ist zum schieren Selbsterhalt geradezu gezwungen, die Haushaltskrise streng zu gestalten und damit die Koalition mit großem Knall platzen zu lassen. Innerhalb der FDP formieren sich bereits mächtige Gruppen, die einen sofortigen Ausstieg aus der Koalition erzwingen wollen. Aus Sicht der FDP ist ein Verbleib in dieser Koalition wie eine Anbahnung des Totaldesasters in Form eines zweiten Parlamentsrauswurfs bei der nächsten Bundestagswahl. Die Liberalen brauchen einen Exit der Tapferkeit, und die Haushaltskrise gibt ihnen den perfekten Anlass.
Trotz dieser düsteren Fünfer-Konstellation gibt just der Kanzler selbst Anlass zur Prognose, dass die Ampel doch irgendwie überleben könnte. Scholz gilt als ein Meister der Resilienz. Schon oft in seiner Karriere schien er am Ende und aussichtslos abgeschlagen - so auch vor der letzten Bundestagswahl, als er mit miserablen Umfrage- und Sympathiewerten der sichere Wahlverlierer schien. Eine seiner Stärken besteht in der Geduld, unangenehme Lagen einfach stoisch auszusitzen.
Wie in Berlin zu hören ist, hat Scholz auch diesmal die Devise "Durchhalten" ausgegeben. Scholz setzt dabei darauf, dass keine Koalitionspartei Interesse an Neuwahlen hat. Viele Abgeordnete und Regierungsmitglieder fürchten den Verlust ihrer Mandate bei vorgezogenen Neuwahlen. "Die schiere Angst vor dem totalen Machtverlust hält uns noch zusammen", erklärt ein FDP-Bundestagsabgeordneter. Zahlreiche Abgeordnete sind durch die jüngsten Wahlergebnisse, die Umfragen und die Stimmung an der Basis regelrecht geschockt und igeln sich in der Ampel ein.
Was Scholz und der Schnabelwal gemeinsam haben
Scholz setzt auf eine zweite seiner Durchhalte-Techniken: Ab-Schichten. Aus großen, schier unlösbaren Problemlagen macht er gern viele kleine. So soll erst einmal ein Nachtragshaushalt für 2023 her, dann seien einige Wochen vergangen, ehe der Haushalt 2024 zur Debatte stehe. Den teile man dann auch in Einzelthemen mit Fristenoptionen auf. Die dritte Scholz-Technik des Durchlavierens besteht darin, dass er abtaucht und die Problemlage systematisch klein schweigt und so Zeit gewinnt - wie ein Schnabelwal, der bei Gefahr kilometertief ins Meer taucht und zwei Stunden unter Wasser bleiben kann. Die Schnabelwal-Taktik hat Scholz nach dem historischen Entscheid aus Karlsruhe perfekt angewandt, als er eine verunsicherte Republik tagelang völlig ohne Kommentar allein ließ.
Fazit: Scholz will sich durchwurschteln - wie weiland Kurt Georg Kiesinger, der von 1966 bis 1969 überraschende Krisen in einer zerstrittenen Koalition lavierend bewältigte. Doch Kiesinger war wenigstens ein redseliger Bildungsbürger. Scholz hingegen zelebriert seinen Technokraten-Nimbus mit aufreizender Kargheit in Wort, Geste und Tat. Seine Resilienz besteht vor allem aus demonstrativer Bräsigkeit. Keiner der acht Kanzler zuvor kam so spröde daher wie er. Kiesinger galt bislang als klassischer Übergangsregent, als schwächster Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik. Scholz könnte ihm diesen Platz streitig machen.
Quelle: ntv.de