Person der Woche

Person der Woche: Recep Erdogan Trump schenkt Erdogan Osmanisches Reich

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Trumps wilder Rückzug aus Syrien macht Erdogan den Weg frei für seinen historischen Masterplan: Ein Eroberungsfeldzug zur Wiederherstellung des Osmanischen Reiches. Nicht nur die Kurden sind in Gefahr. Auch Europa droht gewaltiges Ungemach.

"Wir haben unsere Grenzen nicht freiwillig akzeptiert", droht der türkische Präsident seit Jahren, und er schwadroniert ebenso lange über eine baldige Expansion der Türkei: "Wir müssen überall sein, wo unsere Ahnen waren." Europa hat die osmanischen Großmachtträume bislang als bizarre Kraftmeierei überhört und abgetan. Ab sofort ist das anders. Mit dem angekündigten Rückzug der Amerikaner aus Nordsyrien geht für Erdogan die Tür zur Rückeroberung des Osmanischen Reiches auf. "Es geht ihm nicht um einen kleinen Sicherheitskorridor in Nordsyrien, er sieht die historische Gelegenheit, die Grenzen der Türkei in großem Stil zu verschieben", warnt ein hochrangiger Diplomat in Brüssel. Im türkischen Internet, in AKP-Foren, aber auch im staatlich kontrollierten Fernsehen werden länger schon Karten verbreitet, die das Land in den Grenzen von 1918 zeigen - inklusive Nordsyrien und Nordirak mitsamt den Metropolen Aleppo und Mossul.

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Trump und Erdogan

(Foto: imago/ZUMA Press)

Auch ein Teil Griechenlands beansprucht Erdogan unverhohlen "zurück": "Im Vertrag von Lausanne haben wir Inseln weggegeben. So nah, dass wir eure Stimmen hören können, wenn ihr hinüberruft. Das waren unsere Inseln. Dort sind unsere Moscheen." In Lausanne waren 1923 die heutigen Grenzen der Türkei völkerrechtlich festlegt worden.

Trumps polternder Rückzug hat in den Hauptstädten Europas und in Washington einen diplomatischen Schock ausgelöst. Denn tatsächlich stehen nun die Grenzen von Lausanne infrage. Erfahrene Außenpolitiker warnen, dass hier mit einer undurchdachten Spontaneität die gesamte Sicherheitsarchitektur des Nahen Ostens ins Wanken geraten könnte.

Insbesondere aber für die USA-treuen Kurden bedeutet der Entscheid einen historischen Verrat. Es waren die Kurden, die mit amerikanischer Hilfe erst das Saddam-Regime und dann das IS-Kalifat besiegt haben. Nun werden sie schlagartig zum Abschuss durch Erdogans Truppen freigegeben. Trump hat zwar nach heftigen Protesten - auch seiner eigenen Parteifreunde - reagiert und der Türkei in übertriebener Weise Wirtschaftssanktionen angedroht, sollte sie den Freibrief zu offensiv interpretieren. Doch das Tor zur Invasion ist auf.

Erdogan schaut auch nach Europa

Für Europa bedeutet dies Ungemach. Zum einen droht nun eine neue Flüchtlingswelle infolge von Krieg und Massenvertreibungen. Erdogan sieht Flüchtlinge ohnedies als politische Waffe, um Europa unter Druck zu setzen. Unter europäischen Diplomaten und Militärs ist seit 2015 von der "Migrationswaffe" die Rede, weil der türkische Geheimdienst die Wanderungsbewegung von Muslimen immer dann massiv und gezielt befördert, wenn die Türkei mehr Geld oder politisches Wohlverhalten von Europa erpressen will.

Für Europa sind aber auch die Tausendschaften an IS-Kämpfern, die derzeit noch in kurdischen Gefangenenlagern bewacht werden, ein hohes Risiko. Viele von ihnen sind vor Jahren aus Europa nach Syrien gekommen, um für das IS-Kalifat zu kämpfen. Sie gelten als gefährlich und als latente Terroristen. Mit einem Feldzug Erdogans würden sie befreit und sich womöglich auf den Weg nach Europa machen.

Das dritte Problem für Europa besteht darin, dass Erdogan auch Europa direkt als Ziel seiner neo-osmanischen Politik betrachtet. Einerseits sucht er neuerdings in Zypern den offenen Konflikt mit der EU, ausgerechnet zum 45. Jahrestag der türkischen Invasion auf Nordzypern. Erdogan schickt seit kurzem demonstrativ Militärschiffe an die Insel und startet ein umfangreiches Gasbohrprogramm in Hoheitsgewässern der Insel. Die EU protestiert halbherzig, und Erdogan läßt vermelden: "Niemand solle bezweifeln, dass die Türkei dasselbe tun würde wie vor 45 Jahren."

Andererseits will Erdogan mit seiner Religionsbehörde Diyanet Europa (explizit auch Deutschland) planvoll islamisieren; die Flüchtlinge spielen dabei eine Schlüsselrolle, etwa mit systematischen Moscheebauten, um den geflüchteten Gläubigen in der Fremde "eine Heimat zu schenken". Erdogans Lieblingszitat dazu stammt aus einem Gedicht von Ziya Gökalp: "Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette." Erdogan versteht sich innen- wie außenpolitisch als religiöser Kulturkämpfer, als Schutzpatron der islamistischen Expansion.

"Die Tore bis Wien öffnen"

Die Europa-Strategie zielt zuvorderst auf den Balkan. Neo-Osmanismus mit offen proklamierten Eroberungsgelüsten ist festes Element seiner Parteipropaganda. Eroberungen heiße auch, "die Tore bis Wien zu öffnen für unsere Leute". In muslimisch dominierten Balkanstaaten wie Albanien, Bosnien und dem Kosovo betreibt Erdogan daher osmanische Imperialpolitik mit weichen Mitteln: Investitionen, Finanzhilfen, Kulturarbeit und Religionsförderung. So finanziert die Türkei auf dem Balkan den Bau von muslimischen Schulen, Universitäten, Studentenheimen und Moscheen. Bei einem Besuch in Prizren im Kosovo sagte Erdogan, Kosovo sei die Türkei, und die Türkei sei Kosovo.

Erdogans Losung dazu lautet: "Die Geschichte ist nicht nur Vergangenheit einer Nation, sondern auch deren Wegweiser für die Zukunft." Er sieht sich in der Tradition eines imperialen Sultans, der als Schutzherr des Islam die Welt verändert. Auch eine bunte Symbolpolitik ist dazu bereits entfaltet, das türkische Militär verfügt neuerdings über eine "Eroberungseinheit", Soldaten in osmanischen Uniformen mit überdimensionalen Schnäuzern zieren den Präsidentenpalast. Das Jahr 1453 und die Eroberung Konstantinopels durch Mehmed II. wird in der Erdogan-Propaganda ein Fixpunkt der türkischen Politik. TV-Serien, Historienschriften und Kinofilme werden in Auftrag gegeben, sogar einen Bogenschützenwettbewerb hat Erdogans Sohn Bilal an symbolischer Stätte der ehemaligen osmanischen Festungsanlage Istanbuls durchgeführt.

Bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in der vergangenen Woche hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan einen Einblick in die politische Strategie seines Neo-Osmanismus gegeben. Er hielt dabei eine Karte von Nordsyrien hoch, auf der die von der Türkei besetzten kurdischen Gebiete wie Afrin verzeichnet waren. Er schlug vor, dass die Türkei nun Nordsyrien übernehmen solle, wie Israel den Golan übernommen habe, um dort eine "Sicherheitszone" zu schaffen. Die Türkei hat bereits in zwei kleineren Militäroperationen 2016 ein Gebiet in der Nähe von Jarabulus und 2018 die Region um Afrin übernommen. Nun sollen die Gebiete dazu kommen, aus denen die USA und die syrisch-kurdischen Demokratischen Kräfte (SDF) in langjährigen und verlustreichen Kämpfen die IS-Terroristen vertrieben haben. Die Einflusssphäre Erdogans würde sich auf beinahe ein Drittel Syriens erstrecken. Aus Erdogans Sicht aber wäre das nur die Wiederherstellung der Landkarte von 1918.

Quelle: ntv.de

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