
Harmonischer wollte die Ampel werden, doch daraus wurde nichts - Familienministerin Paus ist die Kindergrundsicherung wichtiger.
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Das Dreierbündnis kehrt mit ordentlich Krach aus den Ferien zurück. Die Deutschen wünschen sich Wachstum und Harmonie, aber eine grüne Ministerin profiliert sich mit Blockade.
Eine Menage à trois ist eine heikle Konstruktion: Liebe zu dritt eröffnet viele Möglichkeiten, von denen schon die Berliner Synthiepop-Kombo Stereo Total zu singen wusste. "Ist der eine müde, der zweite ist fit, Uuuh! Bei der Liebe zu dritt!" Ähnlich hätte es ja auch für die Ampel laufen können: Eine Art shared leadership zwischen dem charismalosen Kanzler und den Rhetorikprofis Lindner und Habeck. War nicht das berühmte Zitronenselfie geradezu ein verruchtes, schlecht beleuchtetes Sexy Pic auf der Startrampe ins verwegene Glück?
Doch, ach, der Realitätscheck: Komplett zerstritten und mit einer peinlichen Ermahnung durch das Bundesverfassungsgericht ging der politische Dreier in die Ferien. Auch das kennt man aus dem romantischen Leben: Noch einmal gemeinsam Urlaub, vielleicht läuft es dann ja rund. Wieder nichts: Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) lässt den Beschluss für Steuererleichterungen platzen, der Kinder wegen. Sogar Habeck hatte da zugestimmt.
Die grüne Politikerin hat wohl in einer Schublade eine lange schlummernde Bombe entdeckt: Kinder. Mit Kindern lässt sich politisch alles Mögliche wuppen, was immer man da macht, trifft ins Herz, das Herz der Väter und Mütter in Redaktionen, in den eigenen Reihen, im Wählervolk. Es war abzusehen, dass dieses Thema nicht ohne Beziehungskrach über die Bühne gehen würde.
Stimmung der Selbständigen "verdüstert"
Der Zeitpunkt ist leider fatal. Die Stimmung in Deutschland ist so prall mit Wirtschaftslust gefüllt wie selten, also Lust auf funktionierende Wirtschaft. Alle erwarten das vom europäischen Wachstumsmotor a.D. Kaum jemand bringt die deutsche Lage im Wandel der Zeit so gekonnt auf den Punkt und in alle Köpfe wie der britische "Economist". Die Zeitschrift schafft es mit zwei Worten, echte Sprachmagie. Deutschland war da schon "der kranke Mann Europas", dann der "widerstrebende Hegemon" und nun wieder: "Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas"?
Lassen wir das identitätspolitische Fragezeichen außer Acht, ob Deutschland eigentlich ein Mann ist und konzentrieren uns auf das Ökonomische: Ist der Mann krank? Die Wirtschaft schrumpft, das Ausland lockt die Investitionen, die Aussichten für Selbständige, zu denen auch der Kolumnist zählt, hätten sich "verdüstert", teilt gerade das Ifo-Institut mit.
Die politische Dimension ist noch schlimmer. Denn die Deutschen verhalten sich gerade wie ein Brasilianisches Dreibindengürteltier in Stresssituationen: Sie rollen sich zusammen. "Deutschland auf der Flucht vor der Wirklichkeit" überschreibt das Kölner Rheingold-Institut eine aktuelle tiefenpsychologische Untersuchung der Stimmungslage. Nur 34 Prozent der Bürger vertrauten der Regierung, stand da. 59 Prozent fühlten sich überfordert, viele flüchteten sich in Heimeligkeit, suchten Sündenböcke, schauten Netflix.
Mach's wie das Gürteltier
Er habe einfach keine Lust mehr auf Politik, sagt mir ein eigentlich recht politischer, ja sogar ehemals parteiangehöriger Freund mit matter Stimme. Er traue keiner Partei mehr irgendetwas zu und möchte sich dann aber auch den Stress ersparen. Es gebe Wichtigeres: Familie, Arbeit, Vergnügungen. Nachrichtenkonsum hat er begrenzt, was, wie an dieser Stelle schon einmal erläutert, ja auch zu straffer Haut führt.
Kommunikative Führung könnte die Realitäten eines schwierigen Dreierbündnisses übertünchen helfen, aber der Kanzler bevorzugt beredte Tatsachen. Ähnlich wie amerikanische Progressive verfällt er der Idee, das Abverwalten von Gesetzesvorhaben werde das Volk schon überzeugen. Richtig ist: Die Ampel hat einiges erreicht. Der Füllstand der Gasspeicher etwa liegt schon bei über 90 Prozent. Ein Schulterklopfen dafür erreichte die Ampel, soweit ersichtlich, nicht.
Fakten haben gegen Streit eben keine Chance. Genau als Lisa Paus ihre Stinkbombe warf, hatte das Kabinett durchaus einiges beschlossen: Solarförderung etwa und das Zukunftsfinanzierungsgesetz, eine Vorlage zur kommunalen Wärmeplanung und ein Gesetz, mit dem der Justizstandort in Deutschland modernisiert werden soll - was öde klingt, aber für die Wirtschaft, also das, was gerade zu brummen aufhört, sehr wichtig ist. Paus ballert aber mehr, denn die Ampel hatte vor den Ferien Harmonie versprochen, nun aber wirklich.
Parteien-Tinder hilft nicht weiter
Wenn in romantischen Beziehungen die Zweifel stark genug werden, wirft womöglich einer in einem schwülen Moment eine Dating-App an und schaut, was der Markt noch so hergibt. Da tritt dann schnell Ernüchterung ein und man kauft doch lieber Blumen. Auch für die Ampelparteien gibt es derzeit nichts zu holen: Die Merz-Union zittert sich uneins durch die Wochen, gerade hat der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer die NATO-Verbundenheit der Union quasi aufgekündigt. "Ruhe und Gelassenheit" beim Ukraine-Konflikt forderte er ein, während im Westen des Landes die Luftangriffe vier Menschen töteten.
Manche erinnern sich vielleicht daran, wie Kretschmer einst mit dem Kriegsherren Vladimir Putin telefonierte: Auf einem plüschigen Sofa, eilfertig an den Rand gerutscht, wie ein Enkel, der auf Geheiß der Eltern sich für das Naschpaket bedanken soll.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter kiesewetterte den Parteifreund daraufhin nach allen Regeln der Kunst zusammen, doch von Parteichef Friedrich Merz ist keinerlei Kursbestimmung überliefert.
Der kranke Mann braucht Pflege
Dann also vielleicht doch lieber Ampel? Olaf Scholz denkt in langen Linien und weiß, bei der Kabinettsklausur in Meseberg soll alles wieder rund laufen. Was Scholz nicht berücksichtigt: Das Vertrauen der Deutschen ist in der Zeit rheingoldmäßig noch einmal gesunken, es zurückzuverdienen wird mehr kosten, als die Koalition durch diesen Unsinn verspielt hat.
Der politische Dreier ist eine Premiere der deutschen Bundespolitik, wenn man einmal die CSU großzügig ignoriert. In der Koalition sollten alle glänzen können, so hatte Scholz sich die Machtarchitektur erdacht und sich damit gleich zu Beginn der Führungsverantwortung enthoben. Der kranke Mann Europas braucht Pflege, aber die Ampel ist gefangen in einem permanenten Vorwahlkampf. Dass die Liberalen mit großem konservativen Anteil um Profil und Existenz ringen, ist verständlich. Sie müssen lärmen, sonst gehen sie im Jahr 2025 unter. Dass die Grünen allerdings jetzt die innere Opposition proben, ist strategisch dumm: Sie haben Sympathien schon durch das Heizungsgesetz verzockt. Sie müssten sich nun als Statthalter ökologisch-ökonomischer Vernunft präsentieren. Dass Lisa Paus diesen Kurs nicht mithalten will, ist allerdings gut erklärlich: Sie war bislang weitestgehend unsichtbar.
Womöglich hatte Stereo Total ja mit allem Recht. Über "Liebe zu Dritt" singen die nämlich auch: "das ist total out, das ist Hippieshit". Aber auch zu dieser wichtigen Frage hört man vom Kanzler leider nichts.
Quelle: ntv.de