Putin lässt die Puppen tanzen Die haben Putin, wir den doppelten Olaf


Carlson wie ein Labrador, Putin dominant.
(Foto: via REUTERS)
Der russische Kriegsherr hat ein Interview gegeben. Es ist eine Lehrstunde in Sachen Charisma und Dominanz. Olaf Scholz wärmt derweil einen alten Witz aus dem Dezember 2021 auf.
Die Welt redet über Wladimir Putin, den russischen Präsidenten. Er hat nämlich ein "Interview" gegeben - Interview in Anführungen, es wird noch deutlich, warum. Die Fragen stellte Tucker Carlson, ein inzwischen ins Verschwörermilieu abgedrifteter Ex-Moderator von CNN und Fox News. Er kündigte diesen Coup an, als würde er und nur er sich erbarmen, dem missverstandenen russischen Politiker endlich Gehör zu schenken.
Wie sich zeigen sollte, schenkte er dem Russen noch viel mehr als Gehör. Das Interview zeigt, wie sehr die moderne Medienrealität den Autoritären in die Hände spielt. Es wird Putin deutlichen Rückenwind geben: Teile gehen als übliche Politikermitteilung um die Welt, etwa, dass er Polen nicht angreifen werde, als hätte Putin dahingehend noch nie für Überraschungen gesorgt. Insgesamt sortieren russische Medien das Gespräch offenbar als Aufbäumen gegen die Lügen des Westens ein. Damit an dieser Erzählung ja keine Zweifel aufkommen, betont Carlson sogar in einer bizarren Einführung auf dem Roten Platz, für wie ehrlich er manche von Putins Aussagen hält.
Carlson Gesicht während des Interviews spricht Bände: Er sieht aus wie ein nackter Labrador, der in einem großen russischen Kochtopf auf einer großen russischen Herdplatte sitzt und sich über die allmählich steigende Temperatur wundert. Immerhin, es ist ein stimmiges Gesicht: Denn Carlson wird vorgeführt. Immer tiefer ziehen sich in der ersten halben Stunde die Falten über seinem Nasenrücken, immer kleiner blinzeln die überforderten Äuglein zu Putin, den Dominator dieses Treffens.
Rhetorisch das Messer am Hals
Putin wirft Carlson sofort zu Beginn aus der Bahn, mit einem fast halbstündigen Monolog. Zuvor legt er Carlson rhetorisch das Messer an den Hals: "Haben wir eine Talkshow oder ein ernsthaftes Gespräch?" Da lacht Carlson hysterisch auf, mit weit aufgerissenem Mund und geschlossenen Augen, als würde er gerade von Josef Stalin durchgekitzelt. "Hier ist das Zitat" jubelt Carlson ironisch und wirr. Putin stellt fest, auch ein wenig ironisch: "Sie sind ausgebildeter Historiker, soweit ich weiß." Es klingt wie eine Ermahnung. "Ja", antwortet Carlson brav.
Putin beginnt dann seine Geschichtsstunde mit dem warägischen Fürsten der Rus, Rjurik, er erzählt mit professoraler Gemütlichkeit, räuspert sich, hebt dezent den Zeigefinger, doziert, räuspert sich noch einmal, zählt Dinge mit den Fingern auf, stellt sich selbst rhetorische Fragen, kurz, er macht durch und durch deutlich, wie komplett wolfswohl er sich gegenüber dem herbeizitierten amerikanischen Labrador gerade fühlt.
Putins Körper unterstreicht dabei die Rollenverteilung wie kein Schauspieler es besser könnte: Er sitzt phasenweise heruntergerutscht im Stuhl, wie ein Teenager, die Beine leicht gespreizt. Diese Schrittpräsentation ist eine Dominanzgeste sondergleichen: Man präsentiert jenen Körperort, der Quelle der allergrößten Schmerzen sein kann, weil man weiß, der andere traut sich keinen Schlag zu - und alle sollen es sehen. Auf die Spitze treibt diesen Zug eine Szene im Thriller "Sicario", in der ein zwielichtiger Alejandro Gillick (Benicio del Toro) vor dem Waterboarding seines gefesselten Opfers einige Sekunden lang den Schritt direkt vor dessen Gesicht presst.
Jetzt bloß keinen Blickkontakt
Carlson sieht kein Land mehr: In welchem Teil der Geschichte man grad sei, er habe den Überblick verloren, fragt er irgendwann. Putin, geduldig: "Ich werde die Daten angeben, damit es keine Verwirrung gibt." Carlson klammert sich an einen kleinen Zettel, Putin lässt eine dicke Mappe mit Geschichtsunterlagen reichen. Hausaufgaben für die Presse, sozusagen - allein diese Geste ist propagandistisch betrachtet Gold wert.
Nach über zwanzig Minuten kommt Carlson erstmals länger zu Wort, konfrontiert Putin mit dem, was dieser als Begründung für den Krieg anführte. Während Carlson spricht, schaut er ganz überwiegend an Putin vorbei, wie ein geprügelter Hund, erkennbar bedacht darauf, den Präsidenten nicht durch die eigenen Pupillen zu provozieren. Den Blickkontakt wagt er immer nur dann, wenn er dem Russen gerade schmeichelt ("...wie Sie natürlich wissen…"). Aber, immerhin, Carlson traut sich.
Er wird es bereuen: Putin reagiert mit Eiseskälte. "Ich verstehe, dass meine lange Einleitung das Genre eines Interviews übersteigt", täuscht er Konzilianz vor. "Deshalb habe ich Sie ja zu Beginn gefragt: Werden wir eine ernsthafte Unterhaltung führen oder eine Show? Sie haben gesagt, eine ernsthafte Unterhaltung." Carlson bemerkt seinen Fehler noch während Putin ihn ermahnt, seine Lippen werden schmaler und schmaler, dann explodiert er für eine halbe Sekunde wieder in ein hysterisches, hohes Lachen.
Lustig, der sieht aus wie ich
Hier scheitert ein Mann an purer Dominanz. Putins Auftritt wird in westlichen Medien (und auch ntv) fast einhellig kritisiert und doch trägt er Propaganda-Erfolge davon: Er wirkt stark, kontrolliert und belesen. Er will der Welt nichts Böses, nur ein Stück von der Ukraine, aber nicht von Polen - ach so ist das! Schnipsel dieses zweistündigen Gesprächs wird man noch Monate in sozialen Medien herumreichen als vermeintlichen Beweis für Putins Überlegenheit und die Redlichkeit Russlands.
Weil das Zeitgeschehen keine Gnade kennt, tritt fast zur gleichen Zeit wie Putin auch Joe Biden auf, der amtierende Führer der freien Welt. Er zeigt uns das exakte Gegenteil von Charisma und Dominanz: Der wegen etlicher Fehler unter Senilitätsverdacht stehende US-Präsident wollte eigentlich seine Geistesgegenwart demonstrieren - und verwechselte dann vor laufender Kamera die Präsidenten Mexikos und Ägyptens.
Bei uns zu Hause sieht es, das ist allmählich bekannt, in Charisma-Dingen nicht besser aus. Der Bundeskanzler neigt inzwischen zu einem seltsamen Unernst: Als Hunderttausende gegen Rechtsextreme demonstrierten, teilte der Kanzler mit, dass er lieber Mayonnaise als Ketchup auf seinen Pommes isst. Jetzt ist Scholz in den Vereinigten Staaten und freut sich, dass US-Senator Chris Coons so große Ähnlichkeit mit ihm hat. Lustig! Beziehungsweise: Noch immer lustig! Denn den Witz kennen wir schon aus dem Dezember 2021.
Es ist eine schlichte Wahrheit mit bitterem Abgang: Die heutige Medienwelt dürstet nach Charisma. Wladimir Putin, Donald Trump und andere sind dahingehend hochgerüstet. Sie müssen kein Duell fürchten - nicht mit einem verwirrten Labrador, nicht mit einem desorientierten Greis. Und auch nicht mit dem doppelten Olaf.
Quelle: ntv.de